# taz.de -- Journalisten in Parteien: Sag's besser keinem | |
> Journalisten sollten nicht Mitglied in einer Partei sein, das mache sie | |
> angreifbar. Da sind sich viele Kollegen einig. Aber warum eigentlich? Ein | |
> Bekenntnis. | |
Bild: „Hier steh ich nun und kann nicht anders.“ Autor Felix Dachsel ist in… | |
Diesen Text sollte ich besser nicht schreiben. Er wird mir Wege verbauen | |
und Dinge unmöglich machen. Er wird mir vielleicht Diskussionen einbringen. | |
Er wird Kritikern Argumente geben, früher oder später. Auf der einen Seite. | |
Andererseits ist es so, dass mir dieser Text guttun wird, weil er ein | |
Bekenntnis ist. Und Bekenntnisse, sind sie ehrlich gemeint, tun immer gut. | |
Das klingt nun pathetisch, nach „Hier steh ich nun und kann nicht anders“. | |
Und wahrscheinlich riecht dieser Text auch nach Selbstbespiegelung. Soll er | |
aber gar nicht. Mir wäre lieber, das Thema wäre keins. Deshalb schreibe ich | |
darüber. | |
Es gibt Kollegen, viele Kollegen, eigentlich fast alle, mit denen ich | |
bisher darüber gesprochen habe, in der taz und außerhalb, die ein Problem | |
mit etwas haben, das ich als unproblematisch empfinde. Das war nicht immer | |
so. In den Siebzigern zum Beispiel, höre ich. Wolf von Lojewski, ehemals | |
Leiter des ZDF-„heute-journals“, bekennt sich bis heute zu seiner | |
Mitgliedschaft. Er ist trotzdem ein herausragender Journalist. | |
Es geht also um eine Mitgliedschaft, um eine Mitgliedschaft in einer | |
Partei. Bisher habe ich sie, seitdem ich mein Geld als Journalist verdiene, | |
teilweise verheimlicht, manchmal halbherzig, oft glühend verteidigt, einmal | |
wollte ich sie beenden, aber das ist kompliziert. Mein Herz hängt daran und | |
ich müsste Formulare ausfüllen. Wenn es um diese Mitgliedschaft geht, dann | |
sagen Kollegen wie aus der Lehrbuchpistole geschossen: „Das geht nicht. Das | |
dürfen Journalisten nicht.“ Warum eigentlich nicht? | |
## Ich bin Mitglied | |
Ein Kollege sagte, ich solle besser niemandem davon erzählen, seine Stimme | |
wurde leise dabei. Eine andere Kollegin, sie war selbst mal Parteimitglied, | |
wandte ein, dass sie mich zwar gut verstehe, aber diese Mitgliedschaft | |
nicht von Vorteil sei. Die Zeiten seien eben andere. Es wird guttun, diesen | |
Satz zu schreiben, und es ist auch etwas Trotz dabei: Ich bin Mitglied der | |
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. | |
Vor fünf Jahren, ich studierte Politik in Freiburg, der SPD ging es so na | |
ja, kam eines Nachmittags Jörn in unsere WG, ein stämmiger Norddeutscher | |
mit Wikingerbart. Er legte einen roten Ordner auf den Tisch und ein | |
Büchlein mit eingeprägten Initialen. „Willkommen“, sagte Jörn. Das war m… | |
letztes Date mit der Partei. | |
Ich weiß nicht, ob ich Mitgliedsbeiträge zahle. Ich habe mein Parteibuch | |
verloren. Ich glaube es, liegt bei meinen Eltern. Ich war noch nie auf | |
einer Veranstaltung der Partei, noch nie in einem Gebäude der Partei, und | |
wenn ich durch Kreuzberg wandere und das Willy-Brandt-Haus sehe, dann | |
bekomme ich Angst. Im Vorwärts, der Parteizeitung, las ich eine | |
Bildunterschrift, die mich erschaudern ließ, sie erinnerte mich an | |
Nordkorea. Sie ging ungefähr so: Alle Delegierten jubelten frenetisch für | |
Frank-Walter Steinmeier. | |
Trotzdem: Ich bin stolz, Sozialdemokrat zu sein. Mein Bekenntnis lautet: | |
Ich glaube, wir brauchen Parteien. Ich glaube, es gibt rechts und links. Es | |
gibt Arbeitgeber und Arbeitnehmer, und solange es die gibt, wird es einen | |
Konflikt zwischen ihnen geben, egal wie freundlich und kumpelhaft der | |
Arbeitgeber tut. Ich glaube, wir brauchen starke Gewerkschaften. | |
## Grüne und Piraten, nein Danke! | |
Ich glaube, wir brauchen mehr Streik, mehr mutige Betriebsräte, mehr | |
Aufstand der Belegschaften. Ich glaube, die soziale Marktwirtschaft ist | |
eine Illusion – aber solange es sie gibt, sollten wir das Soziale | |
einfordern, so gut es geht. Ich glaube nicht an die Grünen, weil ich Leute | |
kennengelernt habe, die sich als grün bezeichnen und gleichzeitig vom Ende | |
des ideologischen Zeitalters faseln. Geht doch zu McKinsey! | |
Ich glaube nicht an die Piraten, weil ich nicht weiß, für wen sie sich | |
einsetzen. Ich glaube, die Piraten sind mehr eine Warnung als eine Partei: | |
Seht her, das kommt raus, wenn ihr euren Kinder zu lange erzählt, es gibt | |
nicht mehr rechts und links, sondern nur noch falsche und richtige Lösungen | |
– Stimmt ab! Jetzt! Im Internet! Ich glaube, die Linkspartei ist okay – | |
aber ich habe schon eine Partei. | |
Das war das Bekenntnis. Und jetzt kommen die Probleme. Mein Großvater ist | |
Pfarrer. Wenn er Menschen mit seinem Glauben tröstete, dann gab es jene, | |
die mit einem Satz antworteten, der meinen Großvater so wütend machte, dass | |
er sich noch heute an ihn erinnert – und dabei wütend wird: „Sie müssen d… | |
sagen, sie sind ja Pfarrer.“ | |
Wenn ich in Zukunft einen Text schreibe, dem man nachweisen kann, dass er | |
der SPD hilft, was auch immer das heißen mag, dann werden Kollegen | |
vielleicht sagen: „Du musst das schreiben, du bist ja in der Partei.“ Mein | |
Großvater sagte dann: „Ich muss gar nichts. Ich sage das, weil ich daran | |
glaube.“ Ich werde sagen: „Ich muss gar nichts. Ich schreibe das, weil ich | |
daran glaube.“ | |
## Es war Überzeugung! | |
Vor kurzem habe ich in einem Kommentar Peer Steinbrück verteidigt. Es hätte | |
bessere Kanzlerkandidaten gegeben. Es hätte vor allem bessere Wege gegeben, | |
einen Kandidaten auszuwählen. Aber ich mag seine anarchische Ader, Dinge | |
auszusprechen, von denen er überzeugt ist. Ich glaube, das tut der | |
Demokratie gut. Ich habe Steinbrück nicht aus Parteiräson verteidigt – | |
warum sollte ich mich der auch verpflichtet fühlen? –, sondern aus | |
Überzeugung. | |
Ich würde auch Angela Merkel verteidigen, wenn sie einmal etwas Markantes, | |
Unpopuläres sagt, von dem sie überzeugt ist – und für diese Ehrlichkeit in | |
die Kritik geriete. Das wäre ihr wohl reichlich egal, für mich aber | |
wichtig. | |
Meine Mitgliedschaft hält mich nicht davon ab, die SPD zu kritisieren. Im | |
Gegenteil. Man kann eine Partei noch leidenschaftlicher, noch lauter, noch | |
kratzender attackieren, wenn man sie mag. Weil man enttäuscht ist. Und es | |
gibt Anlässe: Die Agenda 2010 (hat sich nur teilweise erledigt), Wolfgang | |
Clement (hat sich erledigt), Thilo Sarrazin (wird sich hoffentlich noch | |
erledigen). | |
Einmal hatte ich einen Streit mit der SPD-Pressestelle im Bundestag. Ein | |
prominentes Mitglied der Fraktion wollte der taz nichts zu der Frage sagen, | |
ob Asylbewerber nicht mindestens Hartz IV bekommen sollten. Es ging um ein | |
sehr knappes Statement. Doch der Abgeordnete mochte sich nicht äußern. Er | |
sagte ab – aus Termingründen, wie es hieß. Währenddessen twitterte er | |
intensiv, dafür hatte er Zeit. | |
## Den heftigsten Streit mit der Familie | |
Ich stritt mich mit der Pressestelle, vielleicht war ich etwas zu | |
emotional, vielleicht auch etwas zu selbstgerecht, vielleicht etwas naiv, | |
es ging hin und her, schließlich dokumentierten wir die | |
[1][Auseinandersetzung auf dem Hausblog] der taz. Hätte ein prominentes | |
Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion abgesagt, ich wäre cooler damit | |
umgegangen. Den heftigsten Streit hat man eben in der eigenen Familie. | |
Nun kann man einwenden, dass einem Journalisten als Parteimitglied die | |
professionelle Distanz fehlt, die Objektivität, dass ein Chirurg auch nicht | |
die eigene Mutter operieren sollte. Aber es gibt eben einen Unterschied | |
zwischen Chirurgen und Journalisten. Chirurgen sollten bei der Arbeit | |
möglichst cool bleiben. Journalisten hingegen nicht. Sie dürfen sich | |
durchaus mal aufregen – und sich auch bekennen. Sie müssen. Wenn sie das | |
nicht können, dann sollten sie ihren Beruf wechseln. | |
7 Jan 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://blogs.taz.de/hausblog/2012/07/10/spd-pressesprecher-will-privat-blei… | |
## AUTOREN | |
Felix Dachsel | |
Felix Dachsel | |
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