# taz.de -- Pro Waffenrecht: Das Recht, zu schießen | |
> Wegen Amokläufen strengere Waffengesetze zu fordern, ist falsch. | |
> Gesellschaftliche Probleme löst man nicht durch Verbote. | |
Bild: Peng! Strengere Waffengesetze schwächen die Macht des Volkes gegenüber … | |
Deutschland hat schlechte Erfahrungen mit staatlicher Schusswaffenkontrolle | |
gemacht. Etwa mit dem Reichswaffengesetz von 1938, in dessen Folge Sinti, | |
Roma, Homosexuelle und Juden kategorisch entwaffnet wurden. | |
Die staatliche Verfolgung dieser Minderheiten wäre episodenweise anders | |
verlaufen, hätte die Mehrheit in bester bürgerlicher Manier auf dem Recht | |
zum Tragen von Waffen beharrt, seit der Französischen Revolution | |
Kennzeichen des Citoyen schlechthin. Möglicherweise wäre auch die so | |
folgenreich gescheiterte demokratische Revolution von 1848 in Deutschland | |
geglückt, hätte es im Vorfeld liberalere Waffengesetze gegeben. | |
Umso erstaunlicher, dass hierzulande so breites Einvernehmen in Bezug auf | |
strengere staatliche Waffenkontrolle herrscht, wie sie gerade in den USA | |
diskutiert wird. Gerne auch verbunden mit einer allgemeinen Entrüstung über | |
jenes Reich des Trivialen jenseits des Atlantiks, in dem Hinterwäldler aus | |
Jux ein Magazin nach dem anderen leer ballern. | |
Natürlich kommt es dort zu Campus-Schießereien wie jüngst am Lone Star | |
College in – na klar – Texas. Natürlich passieren Amokläufe wie in Newtow… | |
Und selbstverständlich kann die Antwort auf all das nur heißen: | |
„Verbieten!“ – am Besten den Schusswaffenbesitz insgesamt und Killerspiele | |
gleich mit, etwa jene neue Teufels-App der NRA, die für Empörung sorgte, | |
weil man mit ihr virtuell denselben Gewehrtyp wie der Attentäter von | |
Newtown abfeuern kann. Egal, dass fast jeder Egoshooter besagtes | |
Sturmgewehr M16 im Arsenal hat. Egal, dass es seit 50 Jahren Standard bei | |
den US-Streitkräften ist. | |
## Den Bock zum Gärtner machen | |
Bei solcher Einhelligkeit könnte man meinen, die politischen Katastrophen | |
des 20. Jahrhunderts, die Leichenberge des 21. Jahrhunderts im Irak und in | |
Afghanistan wären das Werk jugendlicher Amokläufer gewesen, und | |
Jungpsychopathen segneten Waffenexporte in Krisenregionen ab. Natürlich | |
trifft dies nicht zu. Und natürlich heißt staatliche Waffenkontrolle | |
deswegen immer auch, den Bock zum Gärtner zu machen. | |
Ähnlich wie im deutschen Mainstream sieht man dieses Problem auch an der | |
demokratisch dominierten Ostküste. Als Antwort auf Newtown hat der Staat | |
New York hastig das bisher strengste Waffenrecht des Landes durchgewinkt. | |
Es beinhaltet etwa psychologische Kriterien und das Verbot von | |
Sturmgewehren wie dem M16. Obama wird dem Kongress demnächst einen | |
ähnlichen Entwurf vorlegen. Egal, ob er damit durchkommt: Weitere | |
Bundesstaaten könnten dem New Yorker Beispiel folgen. | |
Dabei machen die Opfer von Morden mit Schusswaffen nur jeweils einen | |
Bruchteil derjenigen Toten aus, die auf die Konten von Verkehr, Selbstmord, | |
Tabak und Fastfood gehen. 2010 etwa gab es in den USA 11.078 Tote durch | |
Fremdeinwirkung mit Feuerwaffen, 37.961 durch Verkehrsunfälle, 38.364 durch | |
Selbstmorde, 158.318 durch Lungenkrebs und 780.213 durch die häufigsten | |
Herzgefäßkrankheiten. Wäre es da nicht sinnvoller, McDonald’s zu verbieten? | |
Aber es gibt bessere Argumente gegen die momentane Initiative zur | |
Waffenkontrolle als den Vergleich mit anderen tödlichen | |
Zivilisationsgewohnheiten. Was urbane Gewalt betrifft – der eigentliche | |
Kern des Waffenproblems –, sind sozioökonomische Gründe entscheidend, nicht | |
die bloße Verfügbarkeit von Feuerwaffen. | |
## Die Waffendebatte ist eine Scheindebatte | |
Obwohl weiße Waffenbesitzer aus der Mittelschicht zum Selbstmord und Mord | |
von Familienangehörigen neigen, ballern sie sich nicht gegenseitig in | |
Massen über den Haufen. Das wiederum tun aber chancenlose, junge schwarze | |
Männer. Die Waffendebatte ist eine Scheindebatte. Eigentlich müsste sie | |
sich um Rassismus und Klassenunterschiede drehen. | |
Der weiße Mittelschichtsamokläufer ist die bequeme Ausnahme, die die | |
Illusion erzeugt, ein unbequemes strukturelles Problem einfach verbieten zu | |
können. Eine Illusion, die umso weltfremder ist, da der Löwenanteil in | |
urbaner Gewalt zum Einsatz kommender Waffen aus illegalen Quellen stammt. | |
Verbote treffen nur diejenigen, die ihre Waffen legal erwerben. Der | |
Schwarzmarkt freut sich schon jetzt über einen Boom durch strengere | |
Gesetze. | |
So weit heißt das nur, dass Waffenregulierungen nicht unbedingt sinnvoll, | |
aber auch nicht wahnsinnig schädlich sind. Obwohl sich die | |
Mehrheitsverhältnisse mittlerweile gedreht haben, reagiert ein großer Teil | |
der Amerikaner aus gewichtigeren Gründen empfindlich auf die gegenwärtige | |
Initiative. Das hängt mit der amerikanischen und der liberalen Demokratie | |
überhaupt zusammen, dem in der „Bill of Rights“ verankerten Recht auf | |
Waffenbesitz. | |
## Ein Recht auf Selbstverteidigung | |
Es geht auf den liberalen Theoretiker John Locke zurück, der dem Bürger, | |
etwa im Unterschied zu Thomas Hobbes, ein Recht auf Selbstverteidigung | |
gegenüber dem Staat zugestand: „Muss sich das Volk der Tyrannei | |
ausliefern?“, schrieb er. „Selbstverteidigung ist ein Teil des Naturrechts; | |
sie darf der Gemeinschaft nicht verweigert werden, nicht einmal gegen den | |
König selbst.“ | |
Etwa hundert Jahre nach der Niederschrift dieser Sätze bezogen sich die | |
Founding Fathers in der Unabhängigkeitserklärung auf sie, legten | |
unveräußerliche Rechte fest und schrieben, „dass, wenn eine Regierung sich | |
für diese Zwecke als schädlich erweist, es das Recht des Volkes ist, sie zu | |
ändern oder abzuschaffen.“ | |
Der Passus liefert eine Legitimation des Unabhängigkeitskriegs. So ist auch | |
der maßgebliche Rechtstext zum amerikanischen Schusswaffenrecht zu | |
verstehen, der zweite Zusatzartikel zur Verfassung, in dem es heißt: „Da | |
eine gut ausgebildete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates | |
erforderlich ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu | |
tragen, nicht beeinträchtigt werden.“ | |
## Bedrohungen von innen | |
Obwohl es zunächst den Anschein hat, als sei damit nur die Verteidigung | |
gegen fremde Mächte gemeint, ist im Kontext des Unabhängigkeitskriegs klar, | |
dass auch Bedrohungen von innen gemeint sind. Oder besser: von oben. Wie | |
ähnliche Verordnungen im Zuge der Französischen Revolution ist der „Second | |
Amendment“ eine Art Widerstandsparagraf, der zudem die Bedingung des | |
Widerstands garantiert – nämlich Waffen zu besitzen und sich in ihrem | |
Gebrauch zu üben. | |
Ob es am „Second Amendment“ lag, dass die USA – im Unterschied zu vielen | |
europäischen Staaten mit strikteren Waffengesetzen – bisher keinem | |
Totalitarismus anheim fielen, kann man nicht wissen. Sicher ist: Der | |
Amoklauf von Newtown war kein politischer Widerstand. Trotzdem ist es | |
gefährlich, einzelne Geisteskranke dafür zu instrumentalisieren, ein | |
Gewaltmonopol zu verfestigen, das im Ernstfall unüberwindlich sein könnte. | |
Dem Recht auf Waffenbesitz liegt die liberale Utopie zu Grunde, dass die | |
Gesellschaft vom freien Willen Einzelner abhängt und dass man einander auch | |
in Fragen von Leben und Tod vertraut. Auf der Autobahn wird das akzeptiert. | |
Privaten Waffenbesitz kategorisch abzulehnen, ist daher eine politische | |
Geste, bei der es darum geht, autoritären Kontrollmechanismen gegenüber | |
liberalen den Vorzug zu geben. | |
Strikte Waffengegner beschönigen eine Tatsache, die trotz habermasianischem | |
Diskurskitsch gelten wird, solange es Menschen gibt: Dass die Macht aus den | |
Gewehrläufen kommt und ihre Konzentration nicht uneingeschränkt | |
wünschenswert ist. | |
25 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Johannes Thumfart | |
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