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# taz.de -- Debatte NPD-Verbot: Man darf auch Nazi sein
> Das Grundgesetz verlangt nicht, das alle seine Werte teilen und die NPD
> ist keine konkrete Gefahr für die Demokratie. Deshalb wird ein
> Verbotsverfahren vermutlich scheitern.
Bild: Das Grundgesetz erzwingt die Werteloyalität aber nicht.
Nach einem Jahr Debatte um ein NPD-Verbot, dem Fortgang der
NSU-Ermittlungen und der Materialsammlung der Innenminister ist klar, dass
die rechtlichen Voraussetzungen eines NPD-Verbots nicht vorliegen. Der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte würde ein Verbot schon deshalb
aufheben, weil Parlamentarier der verbotenen Partei nach deutschem Recht
zwingend ihr Mandat verlieren.
Die Innenminister haben die Öffentlichkeit aber ein Jahr lang glauben
lassen, die Abschaltung der „Verfassungsschutz“-Spitzel in der NPD
beseitigte die letzte Hürde, die einem Verbot entgegensteht. Aber sie
wollten nicht schriftlich zusichern, dass ihre Materialsammlung keine
Spitzelberichte als Beleg der Verfassungsfeindlichkeit der NPD enthält.
In ihrer Verbotsrhetorik gefangen, stürzten sie sich wie Lemminge über die
Klippe des absehbar scheiternden Karlsruher Verfahrens. Immerhin gaben
Hessen und das Saarland zu Protokoll, sie fürchteten „im Hinblick auf die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nach wie vor erhebliche Risiken“ und
„dass die NPD letztlich gestärkt aus einem Verfahren“ hervorgehe.
Die Materialsammlung der Innenministerkonferenz belegt zwar die
verfassungsfeindlichen Absichten der NPD. Allerdings hätte diese
Fleißarbeit keiner für diese Erkenntnis gebraucht. Zur Begründung eines
NPD-Verbots reicht sie nicht aus. Parteien sind nach Artikel 21 Abs. 2
Grundgesetz „verfassungswidrig“, wenn sie „nach ihren Zielen oder nach dem
Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische
Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der
Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“. Das Bundesverfassungsgericht
verlangt ein „aggressiv-kämpferisches“ Vorgehen der Partei gegen die
Demokratie.
Die Materialsammlung beruft sich auf den Wunsiedel-Beschluss des
Verfassungsgerichts von 2009, wonach das Grundgesetz eine Absage an den
Nationalsozialismus sei. Dabei übersehen die Innenminister aber, dass
nationalsozialistische Meinungsäußerungen in dem Beschluss gerade nicht
verboten werden, solange sie nicht den „öffentlichen Frieden“ gefährden.
Denn wie Karlsruhe ausführt, sind „die Bürger rechtlich nicht gehalten, die
der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen.
## Radikale Meinungen sind erlaubt
Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die
allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt
die Werteloyalität aber nicht. Geschützt sind damit auch Meinungen, die auf
eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig
davon, ob und wie weit sie im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung
durchsetzbar sind. Dementsprechend fällt selbst die Verbreitung
nationalsozialistischen Gedankenguts als radikale Infragestellung der
geltenden Ordnung nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Artikel 5
Absatz 1 GG heraus.“
Kurz: Man darf in der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes auch Nazi
sein und die Wiedereinführung des Nationalsozialismus fordern. Da dies vom
Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist, liegt kein
„aggressiv-kämpferisches“ Verhalten vor, das ein Parteiverbot begründete.
Der Ausschluss einer Partei von Wahlen würde die demokratische Legitimation
der gewählten Parlamente und der aus ihrer Mitte gebildeten Regierungen
verengen. Parteiverbote sind Operationen am offenen Herzen der Demokratie
und müssen wirklich das allerletzte Mittel bleiben.
Die Schaffung von Angst- und Gefahrenzonen durch Nazis ist inakzeptabel, da
der Staat in seiner Kernaufgabe des Schutzes der Bürgerinnen und Bürger
versagt. Sie stellt aber die Geltung der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung nicht in Frage. Schon 2003 verlangte Karlsruhe, dass von der
Partei eine „konkret nachweisbare Gefahr für den Fortbestand des
freiheitlichen Verfassungsstaates“ ausgehen müsse.
Das Bundesverfassungsgericht näherte sich damit dem EGMR-Kriterium für ein
Parteienverbot: dem einer „dringenden gesellschaftlichen Notwendigkeit“. So
konnte die baskische Batasuna verboten werden, weil sie unmittelbar von der
terroristischen ETA gesteuert war. Aber weder hat die Terrorzelle NSU die
NPD dirigiert, noch setzt die NPD als Organisation trotz zahlreicher
Straftäter in ihren Reihen auf Gewalt. Selbst die Materialsammlung
resümiert, eine systematische Gewaltanwendung der NPD mit terroristischer
oder umstürzlerischer Zielsetzung sei nicht nachweisbar.
## Fehlende Verhältnismäßigkeit
Im Fall der türkischen Wohlfahrtspartei, die die Scharia einführen wollte,
bestätigte der EGMR das Verbot, da diese die nächsten Wahlen tatsächlich
gewinnen und ihre Ziele umsetzen könnte. In Deutschland steht die
Machtergreifung der NPD aber nun wirklich nicht bevor. Trotzdem halten es
die Innenminister für ausreichend, wenn Handeln und Strategie der NPD
abstrakt geeignet seien, langfristig für deren verfassungsfeindliche Ziele
zu wirken.
Dagegen hat EGMR-Präsident Dean Spielmann auf die Notwendigkeit einer
Verhältnismäßigkeitsprüfung hingewiesen: Die Bekämpfung der Gefahr, die von
einer extremistischen Partei ausgehe, müsse in einem angemessenen
Verhältnis zu dem Eingriff in deren Freiheitsrechte stehen.
Die Verbotsdebatte lebt von dem verständlichen Wunsch, endlich „gegen
Nazis“ vorzugehen. Symbolpolitik hilft aber nicht, schon gar nicht im
Bündnis mit den Versagern vom „Verfassungsschutz“. Die Polizei muss vor
rechtsextremistischer Gewalt schützen, anstatt den Opfern wie in
Hoyerswerda den Wegzug zu empfehlen. Die Initiativen brauchen
Handlungssicherheit anstelle staatlichen Zwangs zu Treueschwüren.
Und wir als Bürgerinnen und Bürger sollten uns auf unseren Einsatz für die
Werte der Demokratie und gegen Rassismus, Nationalismus und
Demokratieverachtung besinnen – und zwar, wie es das Verfassungsgericht
hoffnungsfroh formuliert, im Vertrauen auf die „Kraft der freien
Auseinandersetzung als wirksamste Waffe gegen die Verbreitung totalitärer
und menschenverachtender Ideologien“.
29 Jan 2013
## AUTOREN
Johannes Lichdi
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