# taz.de -- Mobil in der Stadt morgen: Unterwegs in der Welt von morgen | |
> In 15 Jahren müssen Großstädter kein Auto mehr besitzen, um bequem | |
> überall hinzukommen. Eine Vision am Beispiel Hamburg. | |
Bild: Fahrradfreundliche Stadt: Vier Fahrradautobahnen führen bereits in Londo… | |
HAMBURG taz | Die 41-jährige Karen Müller ist müde. Es ist halb zwei Uhr in | |
der Nacht an diesem Donnerstag im Mai im Jahr 2028, als die Chefin einer | |
Werbeagentur ihre letzte E-Mail verschickt. Als sie aus dem Bürogebäude in | |
der Hamburger Innenstadt tritt, sagt sie ihre Wohnadresse im Stadtteil | |
Winterhude. Auf dem Display ihrer Google-Brille erscheint eine virtuelle | |
Karte: Eingezeichnet sind die Fahrtrouten von verschiedenen | |
Transport-Möglichkeiten für die sechs Kilometer bis zu ihrer Haustür. | |
Umwelt-Taxi mit Hybridmotor: Fahrtdauer 12 Minuten, eine Minute Wartezeit, | |
15 Euro; Carsharing, Elektro-Auto: 425 Meter entfernt, Fahrtdauer 12 | |
Minuten, 4.50 Euro; Elektro-Stadtrad: 50 Meter entfernt, Fahrtdauer 15 | |
Minuten, kostenlos (Monatsabo); Induktions-Elektro-Nachtbus: Fahrtdauer 20 | |
Minuten, 200 Meter bis zur Haltestelle, 15 Minuten Wartezeit, kostenlos | |
(Monatsabo). | |
Seit einigen Jahren besitzt Karen Müller kein Auto mehr, wie rund 70 | |
Prozent aller Haushalte in Hamburg. Autofahren hat in der Stadt an | |
Attraktivität verloren. Innerorts gilt Tempo 30, Parkplätze sind selten und | |
teuer. Fahrstreifen wurden reduziert, um Platz für Radwege zu schaffen, der | |
öffentliche Verkehr, Fahrrad- und Auto-Leihsysteme wurden massiv ausgebaut. | |
Die Innenstadt rund um die Binnenalster ist eine sogenannte „emissionsfreie | |
Begegnungszone“, in der Fußgänger und Radfahrer Vortrittsrecht haben. Hier | |
dürfen nur Fahrzeuge ohne Verbrennungsmotor fahren, ohne die teure | |
City-Maut zu bezahlen – bei Höchsttempo 20. Ein Großteil der Städter nutzt | |
ab und zu das große Carsharing-Angebot. Carsharer genießen in der ganzen | |
Stadt Parkprivilegien. | |
„Der öffentliche Verkehr wird künftig in neuen Formen erscheinen“, sagt d… | |
Verkehrswissenschaftler und Stadtplaner Heiner Monheim aus Trier. | |
„Öffentliche Fahrräder, Lastenräder und Autos, Mitnahmedienste, | |
Quartierbusse, Ruf- und Bürgerbusse – der ÖPNV wird differenzierter, | |
engmaschiger und dank des Internets vernetzter und intelligenter.“ Monheim | |
ist Mitbegründer des Verkehrsclubs Deutschland und des Allgemeinen | |
Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) und überzeugt: „Der massenhafte private | |
Autobesitz wird aussterben.“ Vier Millionen Autos, so hat er berechnet, | |
würden ausreichen, um in Deutschland das private Mobilitätsbedürfnis auf | |
PKW-Fahrten zu befriedigen – den Rest würden Taxen, Leihfahrräder, | |
Carsharing, Bus oder Bahn übernehmen. | |
Gegenwärtig besitzen 83 Prozent aller deutschen Haushalte ein Auto: 42 | |
Millionen Fahrzeuge sind das, die durchschnittlich etwa 23 Stunden | |
ungenutzt herumstehen. Etwa 130 Millionen Stellplätze stehen den | |
„Stehzeugen“ in Deutschland zur Verfügung, schätzt Monheim. Laut der Stud… | |
„Mobilität in Deutschland“ von 2008 werden 58 Prozent aller täglichen Wege | |
mit dem Auto zurückgelegt und nur neun Prozent mit dem öffentlichen | |
Verkehr. Der Fuß- und Radverkehr kommt auf 34 Prozent. | |
Doch langsam findet offenbar ein Umdenken statt. Schon jetzt sind in | |
Stadtstaaten die Besitz-Quoten für Autos im Schnitt tiefer als in den | |
übrigen Bundesländern, in Hamburg liegt sie bei 66 Prozent. So erlebt | |
Carsharing im Moment einen Boom: Fast eine halbe Million Menschen haben | |
sich in Deutschland laut Bundesverband Carsharing bereits bei einem | |
Anbieter registriert. Der Carsharing-Markt wächst vor allem durch neue | |
Angebote von Autofirmen wie Daimler (Car2Go) oder BMW (Drive-Now). | |
Auch das Fahrrad wird in vielen Städten wieder öfter genutzt. In Münster | |
erreicht es fast 40 Prozent Verkehrsanteil – bundesweiter Rekord. Als | |
größtes Vorbild gilt noch immer Kopenhagen mit seinen getrennten | |
Fahrradwegen und dem Rad-Ampelsystem, den Fahrrad-Schnellbahnen und | |
Radler-Nettigkeiten wie Fußstützen an Ampeln. Bis 2015 will die Stadt einen | |
Radverkehrsanteil von 50 Prozent erreichen. | |
In dieser lauen Frühlingsnacht im Jahr 2028 entscheidet sich Karen Müller | |
für das Stadtrad. Sie will nach dem stressigen Büro-Tag noch ein wenig | |
ihren Kopf lüften. Sowieso ist sie mit dem Pedelec fast so schnell wie mit | |
dem Auto. Wenige Schritte weiter an der Ausleihstation entriegelt sie per | |
Sprachbefehl und Google-Brille das Elektrorad. Sie fährt los, ohne stark in | |
die Pedale treten zu müssen: Der Elektromotor übernimmt den Großteil des | |
Antriebs. Bis zu ihrer Haustür muss sie an keiner Ampel halten. Denn die | |
Sensoren an ihrem Stadtrad senden permanent Signale aus, die die Ampeln auf | |
Grün schalten lassen. Karen Müller fährt über eine Fahrrad-Schnellstrecke �… | |
ein bis zu fünf Meter breiter Radweg, der im Winter sogar mit Erdwärme | |
beheizt wird, sodass er stets schneefrei bleibt. Nach wenigen Minuten Fahrt | |
stöpselt sie das Fahrrad an einer Mobil-Station wieder ein – keine hundert | |
Meter von ihrer Wohnung entfernt. Sie kam nicht einmal ins Schwitzen. | |
Im heutigen Hamburg ist es für Fahrradfahrer ziemlich ungemütlich: Hamburgs | |
Infrastruktur ist auf den Autoverkehr ausgerichtet. Der Radverkehr kommt | |
hier gerade mal auf einen Anteil von zwölf Prozent. Wenige Radwege, die oft | |
zugeparkt oder in schlechtem Zustand sind, gefährliche Situationen bei | |
Straßenkreuzungen, viele Ampeln oder gar Bettelampeln – das sind einige | |
Gründe, warum die Stadt im ADFC-Ranking von 2012 nur den 34. Rang von | |
insgesamt 38 Großstädten erreicht. In Hamburg, sagt Dirk Lau, Sprecher des | |
ADFC Hamburg, mangele es an „ernsthaftem politischem Willen, die Stadt | |
fahrrad- und damit menschenfreundlich zu machen“. Der ADFC fordert deshalb | |
Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts, autofreie Innenstadtbezirke, | |
Radstreifen auf den verbleibenden Tempo-50-Straßen, mehr Fahrradparkhäuser | |
und bessere Abstellanlagen. „All das wäre ohne großen Aufwand schon heute | |
möglich“, sagt Lau. | |
Dabei ist sich die Politik der Bedeutung des Fahrrads für die zukünftige | |
Mobilität bewusst: So beschloss etwa das Bundeskabinett im September den | |
Nationalen Radverkehrsplan 2020, der „umfangreiche Maßnahmen zur Förderung | |
des Radverkehrs“ vorsieht und den Radverkehr in den Städten auf 16 Prozent | |
steigern will. Auch das EU-Parlament will Radverkehr fördern und strebt | |
Tempo 30 für den Autoverkehr in europäischen Städten an. | |
„Es fällt auf, dass in den Ranglisten attraktiver Städte kaum autogerechte | |
Städte dabei sind“, sagt Mobilitätsforscher Weert Canzler vom | |
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Für Canzler ist klar: | |
Damit private Autobesitzer auf diesen neuen öffentlichen Verkehr umsteigen, | |
ist eine Vernetzung zwischen den unterschiedlichen Transportmöglichkeiten | |
zwingend nötig. Zwar gibt es heute schon unzählige Carsharing-Anbieter und | |
Stadtrad-Systeme, doch führen diese ein Inseldasein: Nutzer müssen sich für | |
alle Angebote einzeln registrieren oder sie sind ungenügend mit dem | |
öffentlichen Verkehr verknüpft. Canzler kann sich jedoch gut vorstellen, | |
dass es demnächst Anbieter geben wird, die sogenannte intermodale | |
Mobilitätsangebote bereitstellen: Bahn, Bus, Stadtrad, und Carsharing. | |
„Alles in einer App, mit einmaliger Anmeldung und einer Abrechnung.“ | |
Im Jahr 2028 können Hamburger per „Stadtverkehr-App“ ihre Abonnements | |
individuell zusammenstellen. Die Angebote des HVV reichen von | |
Basisangeboten (nur Bus und U-Bahn) über Spezial-Abos für Senioren | |
(Quartierbus-Flat) bis hin zum teuren Stadtflitzer-Abo (alles inklusive). | |
Nach ihrem anstrengenden Donnerstag freut sich Karen Müller auf ein | |
Wochenende an der Nordsee – mit der Familie. Für den Weg dorthin hat sie | |
über die „Stadtverkehr-App“ einen Kombi mit Hybridantrieb reserviert, den | |
sie an der nächsten U-Bahn-Station abholen kann. Beim HVV ist sie | |
„Stadtverkehr Plus“-Kundin: Nebst einer Flatrate für U-Bahn, Bus, Stadtrad | |
hat sie damit auch zwei Tage im Monat einen Leihwagen inklusive – für | |
längere Fahrten außerhalb des Stadtgebietes. Früher waren genau diese | |
Wochenendausflüge mit Gepäck der Hauptgrund für ein eigenes Auto. Doch | |
darauf muss Karen Müller auch ohne Privatwagen nicht verzichten. | |
10 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Adrian Meyer | |
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