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# taz.de -- Wie Fahrräder zu Pedelecs werden: Mach mal schneller
> Pedelecs und E-Bikes werden beliebter, nicht nur bei Senioren. Start-ups
> und Do-it-yourself-Pakete helfen, das Lieblingsrad umzurüsten.
Bild: Ganz schön flott. 2015 gab es schon mehr als zwei Millionen Elektroräde…
Mein behäbiges, altes Hollandrad rostet unten, an den Pedalen und oben, auf
der Schraube am Lenker. Auf dem Schutzblech kleben noch die Aufkleber vom
Herrn Papa: „Atomkraft? Nein Danke“. Favoriet heißt es, mit ie, es ist
schließlich ein Holländer. Zuverlässig stemmt es sich gegen jeden Sturm.
Bedächtig. Doch wenn die Fußgänger mich auf dem Bürgersteig fast überholen,
da will man manchmal nicht mehr mitstemmen. Bei dem schweren Rad. Bei dem
Wind.
Es soll also Anschub her. Doch das Rad ersetzen – lieber nicht. Favoriet
bleibt Favoriet. Zum Glück kann man das Rad mit einem Motor aufrüsten. Doch
soll er fest installiert sein oder austauschbar? Sichtbar oder versteckt?
Vorne – mittig – hinten?
Das Fahrrad könnte ein Pedelec werden und damit bis zu 25 Kilometer die
Stunde fahren. Der Pedelecmotor unterstützt nur beim Treten. Ich könnte es
aber auch zum Flitze-E-Bike mit maximal 45 Stundenkilometer umbauen. Das
E-Bike kann dann auch ohne Gestrampel fahren. Doch bringt diese höhere
Geschwindigkeit auch mehr Pflichten wie Helm, Spiegel und Versicherungen
und Führerschein mit sich. Ein Aufrüstpaket für E-Bike oder Pedelec kostet
zwischen 400 und 1.500 Euro, abhängig von der Leistung von Motor und Akku.
Ein komplettes Pedelec läge bei 2.000 Euro in der billigsten Variante. Und
die ist meist altbacken mit klobigen Rahmen und großem Motor. E-Bikes sind
noch teurer. Aber das Favoriet, das schöne Favoriet, das will ich nicht
austauschen. Die Entscheidung steht fest: Es soll zum Pedelec aufgerüstet
werden.
„Eigentlich kann aus jedem Fahrrad ein Pedelec gemacht werden“, verspricht
Matthias Broda. Mit seinem Berliner Laden Aceteam baut er Fahrrädern einen
Elektromotor an. Oder er verkauft seine handgefertigten Eschenholzräder
gleich aufgerüstet. Ein Holzrad zum Testen wird noch aufgeladen und lehnt
an der Wand des Showrooms in Berlin-Mitte. Broda sitzt auf dem Ledersofa
mit Blick auf den Reichstag. Seine Ärmel sind angefressen, seine Schuhe
abgewetzt von der Arbeit. Der Ladenhund, ein Akita-Inu, schlabbert
neugierig am Rucksack.
Rund 1.000 Euro kostet das elektrisch verstärkte Hinterrad, das Smartwheel
der Firma FlyKly. Es verspricht einen Antrieb für Pedelecs, der sich nicht
nur überall einbauen lässt, sondern auch unauffällig ist. Der Motor ist
neben der Nabe des Hinterrads eingebaut, dezent hinter weißem Plastik
versteckt. Seit zwei Jahren bietet Broda das Smartwheel an. Rund zwanzig
Antriebe verkauft er im Jahr, nicht besonders viele. Sie sind teurer als
die viele Umrüstpakete im Internet. Aber es gehe halt um das schöne Design.
Mit der Idee des schicken Pedelecs ist der Berliner nicht allein. Hippe
Start-ups möchten eine jüngere Käufergruppe erreichen, denn bisher leisten
sich vor allem Senioren den Komfort. Bundesweit gründen sich Firmen, die es
sich zur Aufgabe gemacht haben, Pedelecs und E-Bikes als lifestylefähig zu
etablieren. Sie heißen The Urban Factor oder Power Bikes. Das Smartwheel
der Firma FlyKly, das Brodas Laden verkauft, wird hingegen in Italien
hergestellt. Die Produktion wurde über das Crowdfundingportal Kickstarter
finanziert.
Den drei Kilo schweren Motor kann man als Komplettsatz in der Felge kaufen
oder ihn im Laden einspannen lassen. Das ist einfacher als bei vielen
anderen Nachrüsterkits, die meist aus Motor, Display, Akku und vielen
Kabeln bestehen. Dafür sind die Sets für fast die Hälfte des Geldes zu
haben. Broda empfiehlt die Varianten ab 600 Euro, beispielsweise von
Bafang, Ansmann und Heinzmann. Do-it-yourself-Tutorials im Internet helfen
bei der Montage zu Hause.
## Zerzauselte Haare
Beim Smartwheel stellt eine Handyapp die Maximalgeschwindigkeit ein. Broda
kniet sich vor das Rad, er hält das goldene Smartphone hoch und stellt den
Antrieb auf 25 km/h. Dann ist das Rad bereit zum Testausflug. Das
elektronisch unterstützte Treten ist zackiger, flotter, man fühlt sich wie
ein geräuschloser Easy Rider. Der Wind zerzauselt die Haare, und es kommt
ein wenig Freiheit auf – zumindest für die nächsten 60 Kilometer. Dann muss
eine Steckdose her.
Das Pedelec gibt spürbar Anschub von hinten. Es ist ein bisschen wie
damals, als ich bei den langen Fahrradtouren so lange gejammert habe, bis
ein Erwachsener endlich Erbarmen gezeigt und angeschoben hat. Und geschoben
und geschoben und geschoben. Ich überhole elegant einen Fahrradkurier. Auf
dem Bürgersteig ist es mit dem Pedelec bei so viel Power doch etwas eng, da
hat man das Bedürfnis öfter zu bremsen, das Fahrrad in Ruhe ausrollen zu
lassen. In den Kurven ist Vorsicht geboten. Aber daran sollte man sich auch
gewöhnen können.
„Eigentlich fahren die Leute mit ihren Pedelecs nicht unbedingt schneller
als mit normalen Rädern“, sagt René Filippek vom ADFC, dem ADAC-Pendant für
Radfahrer. Bei gleicher Geschwindigkeit muss einfach nur weniger selbst
getreten werden.
E-Bikes und Pedelecs setzen sich immer stärker durch. 2014 gab es laut
Statistischem Bundesamt 1,6 Millionen Elektrofahrräder in deutschen
Haushalten, 2015 schon rund 2 Millionen. „Gerade bei Mountainbikes werden
vermehrt Elektromotoren eingebaut“, beobachtet auch René Filippek.
Verständlich, den Berg herunterzurasen hat ja immer mehr Spaß gemacht, als
ihn dann per Rad wieder umständlich zu erklimmen.
## Mehrgewicht könnte Schäden schneller entstehen lassen
Mein Favoriet ist aus dem Jahr 1979. Kann das alte Hollandrad überhaupt den
Schritt ins elektrische 21. Jahrhundert schaffen? „Der Rahmen wird durch
den eingebauten Motor stärker belastet und ist darauf nicht unbedingt
ausgerichtet“, sagt René Filippek vom ADFC. Das Mehrgewicht des Motors
könnte Schäden schneller entstehen lassen, gerade wenn das Fahrrad mal in
einen Unfall verwickelt war. Das war das Favoriet mal in den Achtzigern,
sagt mein Vater.
Der Experte steht dem Umrüsten eher kritisch gegenüber. Er gibt zu
bedenken: „Das Umrüsten ist für den Laden auch ein rechtliches Risiko“,
sagt Broda, er gelte jetzt als Hersteller und müsse bei Schäden haften. Er
rät lieber zu einem kompletten Neukauf.
Mein Favoriet hat eine Rücktrittbremse und ein Dreiganggetriebe. Das müsste
für den Elektroantrieb raus, denn an der Hinterradnabe ist der Platz für
den Motor reserviert. Ist das Rad dann grundsaniert und glänzend, muss auch
ein gutes Schloss angeschafft werden. Sonst mag man es vor lauter Sorge um
das 1.000-Euro-Smartwheel nicht mehr abends auf der Straße anketten.
Wie sieht die Zukunft des Pedelecs aus? Matthias Broda vom Aceteam glaubt
an das Elektrorad. Sie könnten den Stadtverkehr entlasten. Seine Räder
sollen nachhaltig sein. Und schön. Vor allem auch schön. Broda ist ein
Ästhet. Er schwärmt von leistungsstärkeren Akkus, von Antrieben, die mit
verschiedenen Gangschaltungen kompatibel sind. „Der Markt verändert sich im
Moment sehr stark“, sagt Broda. Und die Entwicklungen sind auch sehr
schnell. Schon im Herbst kommen neue Modelle heraus, mit denen sich noch
mehr verschiedene Räder umbauen lassen.
Vielleicht ist die erste Investition in das Favoriet ein unplattbarer
Reifen aus Spezialkautschuk. Dann ist erst einmal das ewige Flicken
abgewendet. Der große Umbau wartet noch auf den technischen Fortschritt,
dass die Antriebe leichter und günstiger werden. Und damit zumindest die
Gangschaltung fürs Fahrgefühl erhalten bleibt. So lange stemmen sich das
Favoriet und ich noch den Märzstürmen entgegen.
27 Feb 2016
## AUTOREN
Geraldine Oetken
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