# taz.de -- Tanzsport und Homophobie: Der Führungswechsel | |
> Schwule und Lesben haben in den vergangenen Jahren den Tanzsport | |
> verändert. Nur die Wertungsrichter bleiben konservativ. | |
Bild: „Der Sport ist sehr traditionell“. Impression vom Tanzwettbewerb im R… | |
„Die Tanzgruppen müssen von den Abartigen gereinigt werden.“ Christian | |
Wenzel erinnert sich an diese Bemerkung noch sehr genau, auch wenn sie | |
schon über zehn Jahre her ist. | |
Die Abartigen, damit waren die Schwulen und Lesben in den Vereinen gemeint, | |
die im Paartanz mit dem gleichen Geschlecht tanzen. Also auch Christian | |
Wenzel. Heute findet der 39-Jährige nur eine Erklärung dafür: „Das war | |
Homophobie aus Angst vor der eigenen Homosexualität.“ | |
Die Szene kämpft um ihre Anerkennung. Wenn Wenzel im TIB Sportzentrum am | |
Columbiadamm bei den deutschen Meisterschaften im Equality-Tanzsport mit | |
seinem Standardpartner Pascal Herrbach die Führung wechselt, ist das ein | |
Statement. Dies wäre bei gemischten Tanzpaaren undenkbar. Zusammen hat das | |
Paar schon einen Europa- und einen Weltmeistertitel geholt. Dabei sehen sie | |
sich nur ein paar Mal im Jahr zum Training. Denn Wenzel wohnt in | |
Düsseldorf, Herrbach lebt in Berlin. | |
Auf Turnieren treten Männer und Frauen getrennt voneinander an, im Training | |
tanzen sie jedoch zusammen. „Männer sind oft größer“, sagt Kerstin Kallm… | |
vom pinkballroom, der Berliner Tanzsportgruppe, die die deutsche | |
Equality-Meisterschaft dieses Jahr ausrichtet. „Wenn die einen Schritt | |
machen, legen die ganz andere Distanzen hin“. Kallmann tanzt selbst an | |
diesem Abend in der Tanzrichtung Latein. | |
## Strass und Haarwachs | |
Die Leuchtstoffröhren neben dem Parkett der Meisterschaft sind mit | |
pinkfarbener Folie beklebt. Auch Kallmann und ihre Partnerin sind | |
gestriegelt. Bei den Frauen glänzt der Strass, bei den Männern das | |
Haarwachs. | |
Christian Wenzel und Pascal Herrbach tragen beide bordeauxrote Weste, denn | |
beim Frack bekommen sie bei der Rückbeugung Probleme, sagen sie. Herrbach | |
tanzte auch schon mit anliegendem Body und Tuch über den Schultern, „aber | |
die Wertungsrichter sehen das nicht gerne“. Diese seien in der Regel | |
nämlich mindestens eine Generation älter. Bei den Frauen geht alles, aber | |
bei den Männern traue sich keiner, sagt Wenzel. | |
Was jedenfalls nicht gehe, ist, Kinder in eine Geschlechterrolle zu | |
pressen: „Eigentlich dürften Kinder nicht tanzen“, sagt Herrbach. „Es | |
werden ihnen Verhaltensweisen antrainiert. Muss man einer Fünfjährigen | |
beibringen, kokett zu sein und Minirock zu tragen, nur damit sie dem | |
50-jährigem Wettkampfrichter besser gefällt?“ Er selbst hat im Alter von | |
sieben mit dem Tanzen angefangen – und unterrichtet jetzt selbst. | |
Die Richter vergeben Punkte für die Kategorien Musik, Takt, Balance, | |
Choreografie. Da der Führungswechsel in keinen davon vorgesehen ist, kann | |
er belohnt, aber auch mit Punktabzug gewertet werden. „Tanzsport ist sehr | |
traditionell“, sagt Kerstin Kallmann, „und ein Führungswechsel ist | |
ungewohnt“. | |
## Weniger Diskriminierung in Berlin | |
„Insgesamt ist Diskriminierung in den Tanzvereinen zumindest in Berlin | |
nicht mehr die große Sache“, sagt Cornelia Wagner, Kallmanns Tanzpartnerin. | |
Für Christian Wenzel gibt es drei Gründe, warum die Homophobie innerhalb | |
des Tanzsports abnimmt. Einmal, weil sich die offizielle Verbandsmeinung | |
geändert hat. „Seitdem der Deutsche Verband für Equalitytanzsport Mitglied | |
im Deutschen Tanzsportverband geworden ist, ist es nun von ganz oben | |
angeordnet, dass die gemischten Vereine auch gleichgeschlechtliche Paare | |
zulassen müssen.“ | |
Außerdem gibt es weniger Nachwuchs in der Tanzsportcommunity insgesamt, die | |
ökonomische Situation der Vereine ist oft schlecht. „Wir bringen Geld und | |
sind deshalb attraktiv.“ Zudem gibt es noch die soziale Komponente. Die | |
Generation, deren Rollenverständnis anders geprägt ist, wird alt und hat | |
nicht mehr so viel Einfluss im Verein. | |
Anders war es im Berlin der Achtziger. Damals begann man in der Urbanstraße | |
„entgegen Knigge und fester Rollenverteilung“ zu tanzen, in den ersten | |
Tanzschulen etablierten sich gleichgeschlechtliche Paare. Mitte der | |
Neunziger wurde die Szene dann größer, und die ersten deutschlandweiten | |
Equality-Tanzturniers wurden ausgerichtet. | |
Im Kreuzberger SO 36 startete das „Café Fatal“, und bis heute tanzt die | |
Szene dort jeden Sonntag. Dazu gab es Tee und Varieté-Auftritte. Aber | |
vieles hat sich verändert. Mit der Zeit kamen viele heterosexuelle | |
Mitglieder und dazu die Diskussion: „Die sind ja gar nicht echt“, dürfen | |
die trotzdem mittanzen? Sie durften. | |
Heute kämpft die Bewegung vor allem mit sich selbst. „Vor 15 Jahren waren | |
wir noch exklusiv gleichgeschlechtlich“, sagt Kerstin Kallmann. „Jetzt sind | |
nur noch die Anfängerkurse exklusiv, und die Fortgeschrittenen trainieren | |
zusammen mit den gemischten Paaren.“ | |
12 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bednarczyk | |
## TAGS | |
Tanzen | |
Homophobie | |
Diskriminierung | |
Homophobie | |
Fußball | |
Europa | |
Homosexualität | |
DJ | |
Michelle Obama | |
Homosexualität | |
Basketball | |
Homophobie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Homophobie im Sport: Das Glück auf der Bowlingbahn | |
Ein schwules Bowlingteam – das wird doch in Berlin kein Problem sein, | |
dachte Michael Relling. Da irrte er sich aber gewaltig. | |
Schwul-lesbische Fußball-EM: Freistoß statt Zuchthaus | |
Zum zweiten Mal findet die schwul-lesbische Fußball-Europameisterschaft in | |
Dublin statt. Bis 1993 war Homosexualität in Irland illegal. | |
Studie zu Homophobie in Europa: Küssen besser unterlassen | |
Zwei Drittel trauen sich nicht Händchen zu halten, jeder Zweite erlebt | |
Diskriminierung, ein Fünftel körperliche Gewalt. Homophobie ist in Europa | |
weit verbreitet. | |
Studie zu Akzeptanz von Homosexualität: Schwul und lesbisch in Osteuropa tabu | |
Die Mehrheit der Bevölkerung in Polen, Bulgarien, Litauen oder Russland | |
akzeptiert keine Homosexualität. Das ist das Ergebnis einer | |
niederländischen Studie. | |
Westbam über 30 Jahre als DJ: „Auch tolle Läden müssen sterben“ | |
DJ Westbam über Drogen, Touristen in Berlin, die Lebenszyklen von Clubs, | |
die Vorteile digitaler Technik und das Verhältnis zum Publikum. | |
Fitness-Initiative „Let’s Move“: Kampf dem Fett | |
Michelle Obamas Fitness-Initiative „Let’s Move“ bewegt Amerika. Ganz | |
nebenbei stigmatisiert sie auch arme Afroamerikaner. | |
Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann … | |
Je näher die völlige Gleichstellung homosexueller Paare kommt (und sie | |
kommt!), umso dreister werden die Gegner. | |
Schwuler NBA-Spieler Jason Collins: Kalkuliertes Coming-out | |
Jason Collins ist der erste NBA-Spieler, der offen über seine | |
Homosexualität spricht. Dabei nutzt seine Ehrlichkeit vor allem einer | |
Person: Jason Collins. | |
Homophobie im Fußball: Urteil gegen Diskriminierung | |
Fußballvereine sind Arbeitgeber. Als solche müssen sie den Normen der | |
Gleichbehandlung genügen, entschied der Europäische Gerichtshof gegen eine | |
homphobe Clubgröße. | |
Interview: Homophobie und Justiz: „Für Staatsanwälte unerträglich“ | |
Ines Karl, Ansprechpartnerin für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bei der | |
Berliner Staatsanwaltschaft, beklagt die niedrige Aufklärungsquote | |
homophober Gewalt. |