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# taz.de -- Fitness-Initiative „Let’s Move“: Kampf dem Fett
> Michelle Obamas Fitness-Initiative „Let’s Move“ bewegt Amerika. Ganz
> nebenbei stigmatisiert sie auch arme Afroamerikaner.
Bild: Sorgt für Bewegung: Michelle Obama.
Michelle Obama rückt dem Fett zu Leibe. [1][„Let’s Move“ heißt ihr
Programm], das sie in die zweite Amtszeit als First Lady mitgenommen hat
und das die Fettleibigkeit unter amerikanischen Kindern bekämpft. Dabei
geht sie selbst mit bestem Beispiel voran und präsentiert sich hüpfend,
tanzend und schwitzend.
Neben mehr Bewegung ist bessere Ernährung die zweite Säule ihrer
Initiative: Gärtnernd und Gemüse zubereitend gibt sich Obama als Vorbild.
In ihrem Buch „American Grown“ beschreibt sie die Reanimation des
Nutzgartens im Weißen Haus.
Obamas Anliegen wird weithin geteilt. Auch wenn der Body-Mass-Index (BMI)
als strenge Richtschnur in die Kritik geraten ist und man heute davon
ausgeht, dass ein wenig Körperfülle der Lebenserwartung zuträglich ist,
werden die Zahlen von den meisten Beobachtern doch als alarmierend
eingestuft: Ein Drittel der amerikanischen Erwachsenen und fast ein Fünftel
der Kinder gilt als adipös. Die Rate fettleibiger Kinder hat sich im Laufe
der letzten Generation verdreifacht.
Doch „Let’s Move“ wird auch kritisiert, und das am lautesten von
Republikanern, die das Programm als bevormundenden Staatsinterventionismus
geißeln. Allerdings lässt sich der Kampf gegen Bevormundung und „pro
choice“ nicht so einfach politischen Lagern zuordnen, ist er doch an
grundlegende amerikanische Freiheitsvorstellungen gekoppelt. Der Versuch
des New Yorker Bürgermeisters Michael Bloomberg, den Verkauf von
Zuckerdrinks mit mehr als 473 Millilitern Inhalt zu verbieten, ist
[2][jüngst gerichtlich gestoppt worden], weil dies die Wahlfreiheit
einschränke.
## Gesunde Wahl als naheliegende Wahl
Natürlich ist sich Michelle Obama der amerikanischen Obsession mit
„choices“ voll und ganz bewusst, und sie versucht den Eindruck zu
vermeiden, „Let’s Move“ wolle den Bürgerinnen und Bürgern vorschreiben,…
sie zu tun und zu lassen, zu essen und zu meiden hätten. Man dürfe den
Menschen nicht die Wahlmöglichkeiten nehmen, betont sie, aber man müsse
deren Denken, den Informationsfluss und damit die Bedingungen des Wählens
so verändern, dass „die gesunde Wahl zur naheliegenden Wahl werde“.
Obamas Programm folgt damit einem leitenden Prinzip des Liberalismus, das
fest in der amerikanischen Geschichte verankert ist: Nicht über Zwang soll
regiert werden, sondern über Freiheit und die Anleitung zu deren
„richtigem“ Gebrauch. Seit der Unabhängigkeit 1776 wird das Recht auf
Freiheit, auf Wahl und auf „das Streben nach Glück“ in den USA wie ein
Mantra wiederholt. Doch beileibe nicht alle Menschen konnten und können an
den amerikanischen Freiheiten in gleichem Maße teilhaben.
So hieß es etwa von Afroamerikanern, sie seien gar nicht in der Lage, ihre
Freiheiten zu nutzen, und bedürften daher der Bevormundung und Kontrolle.
Die Sklaverei wurde als Form von Patronage verbrämt, und in den
Bürgerrechtsbewegungen seit dem 19. Jahrhundert gab es auch
afroamerikanische Stimmen, die betonten, man müsse erst behutsam lernen,
mit Freiheit umgehen zu können, bevor man Ansprüche stelle.
## Massenphänomen Adipositas
Die Facetten des Freiheitsdiskurses hallen auch in den Debatten um
Fettleibigkeit wider. Denn der dicke Körper erscheint als Zeichen der
Unfähigkeit, die gesunde und richtige Wahl zu treffen, mit der eigenen
Freiheit umgehen und den Anforderungen einer liberalen Gesellschaft zu
genügen. Als Massenphänomen schürt Adipositas sogar die Furcht vor einer
Krise des Prinzips liberalen Regierens als solchem und dem Scheitern der
USA.
Nun ist es aber nicht so, als wären alle Amerikaner dick. Man braucht nur
im armen Baltimore in den Zug zu steigen und eine halbe Stunde später in
Washington auf den durch und durch gentrifizierten Capitol Hill zu
schlendern. Dort ist man von schlanken, trainierten Körpern umgeben, wie
sie heutzutage begehrter denn je sind, weil sie als Zeichen eines
erfolgreichen Selbst gelten. Lebensumfeld, Bildung und Job – also alles,
was man in den USA unter „class“ zusammenfasst – beeinflussen das
Körperformat.
Fettleibigkeit geht oft mit Armut einher, und nach wie vor ist Armut in den
USA schwarz – nicht immer und nicht ausschließlich, aber doch tendenziell.
Statistisch sind Afroamerikaner und auch Hispanics deutlich eher adipös als
Euroamerikaner, und auch Michelle Obama verweist immer wieder darauf, dass
schwarze Kinder häufiger dick seien. Es hat also einen zumindest leicht
faden Beigeschmack, wenn Obama zum gemeinsamen „Move“ bittet: Schließlich
wird wieder besonders denjenigen Anleitung zur Selbstführung angetragen,
die im Laufe der US-Geschichte als unfähig zur Freiheit markiert wurden.
## Faible für fettiges „Soul Food“
Kritik in diese Richtung klingt allerdings nur verhalten an. So fragt etwa
die Ernährungsexpertin Harriet Brown, ob es in einer Gesellschaft mit einem
solchen Körperkult (den Michelle Obama mit ihren Oberarmen durchaus nährt)
nicht besser wäre, das Selbstbewusstsein und die Akzeptanz von dicken
Kindern zu befördern, anstatt ihnen andauernd vorzuhalten, sie sollten
lernen, eine bessere Wahl zu treffen und sich besser ernähren und sich mehr
bewegen. Mit Susan Sontag ließe sich sagen, dass Dicksein als Metapher
eigenen Versagens firmiert.
Wie schwierig und verschachtelt das Verhältnis von Essen, „race“ und
„class“ ist, zeigt auch ein Blick in eine etwas andere Richtung: Angeblich
gab das Essverhalten der Obama-Töchter den Anstoß zu „Let’s Move“, und
Ehemann Barack gibt sich immer wieder als Freund des „Soul Food“ zu
erkennen. Als einfache Küche armer Leute, die auf afrikanische Traditionen
und die Sklaverei zurückgeht, wurde „Soul Food“ ab den 1960er Jahren zu
einem Motor schwarzer Identifikation.
Der Black Panther Eldridge Cleaver allerdings spottete, es sei vor allem
die schwarze Bourgeoisie, die ihr Faible für fettiges „Soul Food“ vorführ…
Die Menschen im Ghetto wollten lieber Steaks statt Innereien essen. Es
passt zu Cleavers Machismo, dass er meinte, Hunger auf Steaks würde die
Revolution vorantreiben. Michelle Obama hingegen entwirft „Soul
Food“-Rezepte mit gesünderen Zutaten und weniger Fett.
Um nicht missverstanden zu werden: „Let’s Move“ und die Debatte um Dickse…
und Fitness kritisch zu kommentieren, heißt nicht, gegen Gesundheit zu
sein. Zugleich aber hallt in jeder Aufforderung zu einer gesünderen
Lebensführung der Vorwurf der Faulheit, der Unfähigkeit und des Versagens
mit. In einer Gesellschaft, die um Freiheit und die Fähigkeit zur
Selbstoptimierung kreist, ist dies äußerst wirkmächtig – zumal er in
Geschichte und Gegenwart insbesondere an Afroamerikaner, Arme und Frauen
gerichtet war und als Argument für ihre politische Ausgrenzung diente.
12 May 2013
## LINKS
[1] http://www.letsmove.gov/
[2] /Gericht-stoppt-Verbot-der-Riesen-Becher/!112651/
## AUTOREN
Jürgen Martschukat
## TAGS
Michelle Obama
Fitness
Zucker
Adipositas
Übergewicht
Tanzen
Barack Obama
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