# taz.de -- Interview: Homophobie und Justiz: „Für Staatsanwälte unerträgl… | |
> Ines Karl, Ansprechpartnerin für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bei | |
> der Berliner Staatsanwaltschaft, beklagt die niedrige Aufklärungsquote | |
> homophober Gewalt. | |
Bild: Homosexualität: kein Grund für Phobien. | |
taz: Frau Karl, Sie haben einen ziemlich sperrigen Titel: | |
„Ansprechpartnerin für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bei der | |
Staatsanwaltschaft Berlin“. Gibt es dafür eine Kurzform? | |
Ines Karl: Im Kollegenkreis heiße ich nur noch „die Ansprechpartnerin“ | |
(lacht). | |
Ihr Amt ist bundesweit einzigartig. Und erstaunlicherweise war es gerade | |
die CDU, die es geschaffen hat. Haben Sie dafür eine Erklärung? | |
Die früheren von CDU und SPD geführten Senatsverwaltungen für Justiz waren | |
der Meinung, so eine Stelle bräuchten wir nicht. Aber dem Bündnis gegen | |
Homophobie und der „Initiative Akzeptanz sexueller Vielfalt“ ist es | |
gelungen, eine parteiübergreifende Basis zu schaffen. Dahinter steckt der | |
Gedanke, dass es nicht reicht, die Gleichstellung der Homosexuellen auf dem | |
Papier zu proklamieren, sie muss praktiziert werden. Man könnte sagen: Die | |
Zeit war einfach reif. | |
Ihre Abteilung ist seit Januar 2013 für die Bearbeitung aller Straftaten | |
mit homophobem Bezug zuständig. Was ist der Sinn dieser Zentralisierung? | |
Das Anliegen ist ganz klar eine Sensibilisierung, und zwar in alle | |
Richtungen. Unser Ausgangspunkt ist, dass aus der Zielgruppe | |
verhältnismäßig wenig Anzeigen kommen. Das spiegelt die Realität überhaupt | |
nicht wider. | |
Laut dem Selbsthilfeprojekt Maneo, das Übergriffe auf Homosexuelle | |
dokumentiert, liegt die Dunkelziffer der Straftaten gegen Schwule und | |
Lesben bei 90 Prozent. | |
Ich könnte mir vorstellen, dass die Zahl der Taten fünf- oder sechsmal so | |
hoch liegen wie die der erstatteten Anzeigen. 2011 wurden 400 homophobe | |
Delikte angezeigt. Darin sind auch Beleidigungen enthalten. 60 bis 70 waren | |
Gewalttaten im Sinne körperlicher Gewalt. Meine Abteilung ist gerade dabei, | |
Kriterien für eine seriöse Erhebung zu erarbeiten. Und wir versuchen uns | |
einen Überblick zu verschaffen: Wer sind die Opfer? Männer oder Frauen? | |
Gibt es Schwerpunkttatorte, wo Homosexuelle besonders gefährdet sind? Auf | |
welche Art werden die Taten begangen? | |
Schätzungen zufolge leben in Berlin 350.000 Schwule und Lesben. Ist das | |
realistisch? | |
Ich glaube schon. Und man darf nicht vergessen, dass wir jährlich 2 | |
Millionen Touristen in diesem Bereich haben, das ist eine sehr hohe Quote. | |
Es ist davon auszugehen, dass sich ein Täter eher auf Opfer konzentriert, | |
von denen er weiß, die sind nächste Woche wieder weg und haben kein | |
Interesse daran, ihre knappe Zeit in Berlin auf der Polizeiwache zu | |
verbringen. | |
Was könnte man tun, um das Anzeigeverhalten zu erhöhen? | |
Wenn ein Betroffener keine Anzeige erstattet, weil er sich nicht als | |
homosexuell outen möchte, können wir daran als Staatsanwaltschaft nichts | |
ändern. Das ist eine höchstpersönliche Entscheidung. Aber es gibt ja | |
Punkte, wo wir ansetzen können: Die Homosexuellen haben eine leidvolle | |
Geschichte mit Polizei und Justiz durchlebt. Bis 1994 galt Homosexualität | |
als strafbar, wenn auch in abgeschwächter Form. Auch die Berliner Polizei | |
führte lange Zeit rosa Listen, in denen homosexuelle Männer erfasst waren. | |
Aber die Zeiten haben sich geändert. In den Behörden ist eine andere | |
Generation vertreten, dieselbe Mischung wie in der ganzen Stadt. Es geht | |
darum, eine neue Kultur des vertrauensvollen Umgangs zu finden. | |
Auch für häusliche Gewalt musste erst ein Bewusstsein geschaffen werden. | |
Ist das vergleichbar? | |
Ich denke schon. Auch sexuelle Gewalt gegen Frauen wäre so ein Beispiel. | |
Der Hintergrund ist auch der, dass die Staatsanwaltschaft jahrzehntelange | |
Verfahren eingestellt hat, obwohl eine Strafverfolgung möglich gewesen | |
wäre. Das ist ein Unding. Der Staat muss eingreifen. Das ist genauso | |
wichtig wie bei Eigentumsdelikten und Wohnungseinbrüchen. | |
Sie haben alte Akten von Verfahren studiert, die eingestellt wurden. Haben | |
Sie ein Beispiel? | |
Es gab einen Fall, wo Männer nur Opfer geworden sind, weil sie Hand in Hand | |
gingen und somit als Paar erkennbar waren. Die Reaktion auf ihre | |
Strafanzeige war, dass mehrere Instanzen ein öffentliches Interesse – nach | |
altem Verständnis – verneint haben. Das ist ein unglaublicher Vorgang und | |
nicht nur für die Betroffenen schwer hinnehmbar. | |
Die Gesetze sind gleich geblieben, aber das öffentliche Interesse ist jetzt | |
anders definiert? | |
Richtig. Homophobe Straftaten sind als Hasskriminalität eingestuft worden. | |
Dahinter steckt der Gedanke: Nicht der Einzelne soll mit der Straftat | |
getroffen werden, er wird vielmehr als Repräsentant einer bestimmten Gruppe | |
angegriffen. Verunsichert wird damit eine ganze Gruppe, die wiederum | |
stellvertretend für die gesamte Zivilgesellschaft ist. Wenn man belegen | |
kann, dass die Tat auf einer hass- und vorurteilsmotivierten Einstellung | |
beruht, ist das bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. | |
Aber was konkret versprechen Sie sich jetzt von der zentralen Bearbeitung? | |
Wir erhoffen uns eine höhere Aufklärungsquote, zumal die Tätergruppe, an | |
die wir heranwollen, regelmäßig Übergriffe vornimmt. Viele Tatserien wurden | |
bisher nur nicht erkannt, weil die einzelnen Taten so selten angezeigt | |
werden. Wenn wir erkennen, dass es sich um eine Serie handelt, können wir | |
mit der Polizei am Tatort präsenter sein, und vielleicht gelingt auch mal | |
ein Zugriff. | |
Welche Orte in Berlin sind denn für Schwule besonders gefährlich? | |
Das sind die Partykieze, wo auch viele Homosexuelle wohnen: Schöneberg und | |
Kreuzberg, auch Mitte im Bereich des Tiergartens. Dann Parks und bestimmte | |
Klappen, also Toiletten. Orte, wo man sich trifft, um sexuelle Handlungen | |
vorzunehmen. Das ist natürlich ein Paradies für Täter, weil sie kaum mit | |
Strafverfolgung rechnen müssen. Im Gegenteil, sie werden ermutigt, weil | |
nichts passiert. Dabei gibt es Tätergruppen, die unterwegs sind, um | |
Homosexuelle zu „bestrafen“, aber auch Raubtäter, die es nur auf | |
Homosexuelle abgesehen haben. Für uns als Staatsanwälte ist das eine | |
unerträgliche Situation. Eine Serie haben wir nur erkannt, weil in einer | |
Klappe ein Heterosexueller zusammengeschlagen worden war. | |
Der hat Anzeige erstattet? | |
Richtig. Es waren schon mehrfach Homosexuelle an diesem Ort angegriffen | |
worden, aber erst über den heterosexuellen Mann als zufälliges Opfer haben | |
wir Erkenntnisse darüber gewonnen. Wären die anderen Taten angezeigt | |
worden, hätte man viel eher etwas unternehmen können. | |
Sie sind jetzt viel in der Homosexuellen-Community unterwegs, um sich | |
vorzustellen. Wie sind die Reaktionen? | |
Wir, also mein Vertreter Adrian Voigt und ich, haben viele Einladungen | |
bekommen. Wir werden sehr offen aufgenommen. Gerade bei | |
Interessenvertretern besteht eine große Freude, dass diese Stelle jetzt | |
eingerichtet ist. Dass das Echo so positiv sein würde, habe ich ehrlich | |
gesagt nicht erwartet. | |
Haben Sie etwas gelernt, was Sie vorher nicht wussten? | |
Sehr beeindruckt hat mich, was für ein hoch entwickeltes, hoch | |
qualifiziertes Beratungssystem in der Community existiert. Die Kehrseite | |
davon ist, dass nur wenig aus der Community nach außen dringt. Mein | |
Eindruck ist, man macht das meiste unter sich aus. Sicherlich gibt es auch | |
Gegenbeispiele wie das Bündnis gegen Homophobie. Aber dass der | |
Öffnungsprozess noch so am Anfang steht, hat mich dann doch überrascht. | |
Würden Sie von einer Parallelgesellschaft sprechen? | |
Ein bisschen in die Richtung geht es schon. Innerhalb der Community gibt es | |
eine Tendenz, zu sagen: Uns versteht ja sowieso keiner. Berührungsängste | |
werden auch dazu benutzt, sich abzuschotten. Aber dafür ist die Zeit zu | |
weit fortgeschritten. Ich denke, in der Berliner Metropolengesellschaft | |
besteht für gleichgeschlechtliche Lebensweisen eine Offenheit. Natürlich | |
nicht bei jedem. Aber auch andere Gruppen müssen gelegentlich mit Ablehnung | |
rechnen und damit umgehen. | |
Warum ist es so wichtig, dass sich die Community öffnet? | |
Eine Gleichstellung kann nur erreicht werden, wenn gesagt wird: Okay, wir | |
öffnen uns und leben als Gleiche unter Gleichen – egal aus welcher Gruppe | |
man kommt und mit was für Schwierigkeiten man zu kämpfen hatte in seinem | |
Leben. Das ist in meinen Augen auch der Anlass für unsere Funktion. Wir | |
sagen: Wir machen die Tür auf und sind für euch immer erreichbar. Der | |
Rückzug in die eigene, geschlossene Welt bedeutet, dass wir den | |
Straftätern, die euch bedrohen, nichts Wirksames entgegensetzen können. | |
Wie reagieren Ihre Kolleginnen und Kollegen in der Staatsanwaltschaft auf | |
die Neuerung? | |
Zwiespältig. Es gibt auch Kollegen, die sagen, die Homosexuellen würden | |
bevorteilt. Laut Verfassung darf niemand benachteiligt oder bevorteilt | |
werden. Und die Einrichtung dieser Abteilung ist ja eine Bevorteilung der | |
Opfergruppe. Ich finde, dass man das aus der Geschichte des Umgangs mit | |
Homosexuellen durch Polizei und Justiz gut begründen kann. Wir sind | |
gefordert, verstärkt aus unser Hütte herauszutreten. | |
Noch ein Wort zu Ihnen: Warum sind Sie Staatsanwältin geworden? | |
Ich wollte immer gern den Geschädigten zur Seite stehen. Die Opfer stärken, | |
dass sie ihre Interessen selbst wahrnehmen können, soweit das nicht nur von | |
Juristen gemacht werden kann. | |
Erlauben Sie die Frage nach Ihrer eigenen sexuellen Orientierung? | |
Gerne. Ich bin nicht homosexuell, habe aber immer viel Wert auf | |
Gleichstellung gelegt. Ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht | |
Voraussetzung ist, homosexuell oder transexuell zu sein, um diesen Job gut | |
zu machen. Entscheidend sind Berufserfahrung, Fachlichkeit und Offenheit. | |
Das Gleiche, was man von einem Arzt erwartet, muss auch für Strafverfolgung | |
und gute Polizeiarbeit gelten. Meiner Meinung nach ist es an der Zeit, sich | |
nicht nur über sexuelle Identität und Orientierung zu definieren – auch | |
wenn es sehr wichtig ist, diese zu finden und zu leben. Aber es ist nur | |
eine der Voraussetzungen für einen vertrauensvollen Umgang miteinander. | |
25 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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