# taz.de -- Homophobie im Sport: Das Glück auf der Bowlingbahn | |
> Ein schwules Bowlingteam – das wird doch in Berlin kein Problem sein, | |
> dachte Michael Relling. Da irrte er sich aber gewaltig. | |
Bild: Bunte Elefanten: Yaron Shamir aus Tel Aviv (l.) und sein Partner Henning … | |
BERLIN taz | Wenn Michael Relling auf der Bowlingbahn steht, vergisst er | |
leicht, was alles geschehen ist. Dann gibt es nur noch ihn, die rot-schwarz | |
marmorierte Kugel in seiner Hand und die Pins, zehn weiße Kommata hinten an | |
der Wand. Die Beleidigungen, die üblen Scherze, all das ist weit weg. | |
Im kalten Licht der Neonstrahler spurtet er los, ein schwerer Mann von 43 | |
Jahren. Der Ball rast über die glatte Fläche, es bollert leise. Michael | |
Relling hält die Luft an. Die Kegel fallen, einer taumelt kurz, bleibt aber | |
stehen. „Haarscharf!“, ruft er, dann steuert er auf die Gruppe zu, die | |
hinter ihm auf den Kunstlederbänken sitzt. Er schlägt einem nach dem | |
anderen in die flache Hand. „So gibt man das Glück weiter“, sagt er. Aber | |
mit dem Glück auf der Bowlingbahn ist es für die Rosa Elefanten so eine | |
Sache. | |
Knapp zehn Spieler des Teams sind gekommen. Sie alle wirken bodenständig. | |
Brave Frisuren, rechteckige Brillen, kurze Bärte. Am auffälligsten ist die | |
einzige Frau, die ihre Haare kurz geschoren trägt, bis auf ein pinkfarbenes | |
Büschel in der Stirn. Relling hat sich vor zwei Jahren mit ein paar | |
Freunden zusammengetan und die Rosa Elefanten gegründet. Die erste offen | |
homosexuelle Mannschaft in der Bowling-Liga in Berlin. Er weiß noch, wie er | |
dachte: Das wird doch kein Problem sein. Er hat sich getäuscht. | |
„Ich hatte bisher noch nie mit Homophobie zu tun, im ganzen Leben noch | |
nicht“, sagt er leise. | |
## „Von euch habe ich gehört“ | |
Sie treffen sich zweimal pro Woche in der Berolina Bowling Lounge nahe dem | |
Nollendorfplatz in Schöneberg, einem Viertel, das als Zentrum der Berliner | |
Homoszene gilt. Über eine Treppe geht es hinab zu den Bahnen, die Theke ist | |
elektrisch blau beleuchtet. Am Eingang blinken Flipperautomaten und | |
Shuffleboards. „Wir genießen jeden Tag hier“, sagt Michael Relling. | |
Er hatte gezögert, noch einmal mit der Presse zu sprechen. Vor einigen | |
Wochen hatte ein Radiosender über die Rosa Elefanten berichtet. Es hat | |
ihnen nicht geholfen. Im Gegenteil. Wenig später spielten sie in einer | |
Halle in Neukölln. Relling bat einen Wartungsarbeiter um Schmirgelpapier. | |
Er wollte die Löcher in seiner Kugel etwas vergrößern. „Von euch habe ich | |
gehört“, sagte der Mann, es klang nicht freundlich. „Dann fragte er, ob er | |
bei mir auch das Loch vergrößern soll“, sagt Relling, noch ganz betreten. | |
Zudem landeten feindselige Nachrichten in seiner Mailbox. Einer schrieb, er | |
sei auch Bowler und schwul. Aber er würde darüber nicht sprechen: „Wenn man | |
schon pervers ist, sollte man es nicht an die große Glocke hängen.“ Die | |
Mail hat Relling zugesetzt: Ein Homosexueller, der sich selbst pervers | |
nennt, „so was mussten wir uns anhören“. | |
## Rosa Maskottchen | |
Die Geschichte der Rosa Elefanten handelt davon, wie schwierig es für | |
homosexuelle Sportler auch heute noch sein kann, anerkannt zu werden. Zwar | |
gilt Berlin als liberale Stadt, in der Schwule dazugehören, aber im Sport | |
ergibt sich oft ein anderes Bild, sagt die Göttinger | |
Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling, die zu dem Thema forscht. „Es ist | |
nach wie vor ein sehr gravierendes Thema. Weil viele Homosexuelle Sport | |
treiben, aber nicht darüber reden können.“ Zwar ist Homophobie im Profi- | |
ebenso verbreitet wie im Amateursport: „Der Unterschied ist, dass sich sehr | |
viel Aufmerksamkeit auf den Hochleistungssport richtet. Der Amateursport | |
wird weniger beachtet.“ | |
Es ist Sonntag, kurz nach 19 Uhr. Auf der Bahn ist wenig los, denn die | |
Ligaspiele sind mittwochs; heute wird nur trainiert. Die Rosa Elefanten | |
haben sich in zwei Gruppen aufgeteilt und spielen gegeneinander. „Drei | |
Runden, wer die meisten Punkte hat, hat gewonnen“, ruft Michael Relling. Er | |
hat BWL studiert und dann lange keine Arbeit gefunden. Jetzt ist er dabei, | |
sich mit einer Muffinmanufaktur selbstständig zu machen. Ab und an bringt | |
er selbst gebackene Muffins zum Bowlen mit, Schoko oder Apfel-Walnuss. Auf | |
dem Tisch vor ihm liegt das Maskottchen, ein rosa Plüschelefant. | |
Relling war nervös, als er zum ersten Mal bowlen war. „Trau dich“, sagte | |
ein Freund, „denk an rosa Elefanten.“ Das sollte ihm Mut machen, und weil | |
es funktionierte, dachte er sich: „Das ist der richtige Name für uns.“ Er | |
hatte nicht damit gerechnet, dass sich jemand daran stören könnte. Dann | |
fragte er in der Berolina Bowling Lounge an. Da hieß es: Ja, sie können | |
mitspielen. Aber nicht mit dem Namen. Zudem dürften sie nur schwarze | |
Kleidung tragen und keine Symbole der Schwulenbewegung. | |
## "Man offenbart sich ja sofort" | |
Daniel Oehme, sportlicher Leiter der Bowlinghalle, versteht nicht, wo das | |
Problem sein soll. „Wir sind da sehr offen, seit ewigen Zeiten. Die Rosa | |
Elefanten sind voll anerkannt.“ Aber er räumt ein, dass er dem Team geraten | |
hat, den Namen abzulegen. „Ich hab gesagt: Man könnte damit … nicht direkt | |
Probleme haben, aber man offenbart sich ja sofort.“ | |
Mit dem Team an sich gebe es keinerlei Schwierigkeiten, nur mit Relling | |
persönlich. So wie Oehme es sieht, spielt Relling sich auf. „So jemand kann | |
auch anecken“, sagt er. „Dann muss man sich nicht wundern, wenn man in | |
Misskredit gerät.“ | |
Die Rosa Elefanten sitzen ganz ruhig da, vertieft in ihr Spiel. Meistens | |
fühlen sie sich ja wohl in der Liga. Denn es gibt viele Spieler, die zu | |
ihnen halten. An diesem Abend hat sich ihnen ein junges Pärchen | |
angeschlossen, dessen eigenes Team heute nicht spielt. Oli und Vivien | |
hocken nebeneinander und füttern sich gegenseitig mit Vanilleeis. Die | |
beiden wüssten keinen Grund, warum sie sich nicht mit den Rosa Elefanten | |
verstehen sollten. „Das ist doch ganz normal“, sagt Oli. | |
## Viele verstecken sich | |
Nur weiß Michael Relling auch, dass die Rosa Elefanten nicht die einzigen | |
schwulen Bowler in der Liga sind. So mancher hat sich ihm anvertraut. In | |
deren eigenen Teams darf das aber niemand wissen. Relling sieht nicht ein, | |
sich verstecken zu sollen. Aber es gibt Menschen, die ihn spüren lassen, | |
dass ihnen das nicht passt. Ihm wurde schon öfter gesagt, er solle sich | |
zurückhalten. Für ihn ist das so, als würde man ihm das Recht absprechen, | |
er selbst zu sein. | |
Erst im Februar ist etwas geschehen, das er noch nicht überwunden hat. Ein | |
Mann trat auf ihn zu. Er war um die 60 Jahre alt, betrunken, drohte ihm mit | |
Schlägen und schrie: „Ihr seid hier alle unerwünscht.“ Relling streitet | |
nicht gern. Doch so einen Angriff einfach auf sich beruhen lassen, das | |
sieht er nicht ein. Er meldete den Vorfall dem Verband, der Fachvereinigung | |
Bowling (FVB). Geschehen ist nichts. Die Funktionäre sagten, er müsse | |
seinen Streit selbst regeln. „Das kann doch nicht angehen“, sagt Relling. | |
Er hat den Verband schon mehrfach gebeten, Diskriminierungsregelungen zu | |
formulieren. Ohne Erfolg. | |
Uwe Tronnier, Vorsitzender des FVB, hält das für unnötig. „Bei uns gilt, | |
dass jeder spielen kann. Dass keiner benachteiligt wird.“ Die Rosa | |
Elefanten seien willkommen; das Team habe keine anderen Probleme als andere | |
auch, sagt er. „Stänkereien oder Leute, die ein Bier zu viel getrunken | |
haben, das kommt in den meisten Sportarten mal vor.“ | |
Manuel Guse steht nahe der Bahn, er schielt hoch zu dem Bildschirm, auf dem | |
der Punktestand angezeigt wird. Es steht 343 zu 303 für seine Gruppe. | |
„Bowling ist mein Sport“, sagt er. „mein Ausgleich zur Arbeit.“ Guse ist | |
Heilerziehungspfleger und kümmert sich um behinderte Jugendliche. Im Sommer | |
2011 ging seine Beziehung in die Brüche. Dann stieß er im Internet auf die | |
Rosa Elefanten. „Ich dachte: Das ist ein neuer Lebensabschnitt: Jetzt | |
traust du dich was.“ | |
## Das Team wächst | |
Es ist ein Gedanke, der bei den Rosa Elefanten immer wieder mitschwingt: | |
Für einige ist das Bowlen ein Schritt zu einer Gemeinschaft, die ihnen | |
vorher gefehlt hat. Ein kleines Wagnis. | |
Auch Michael Relling ging es darum, Anschluss zu finden. „Ich wollte etwas | |
machen, wo man Leute kennenlernt“, sagt er, „wo man ein bisschen | |
rauskommt.“ Zwar haben die Rosa Elefanten noch keine Sponsoren, und es war | |
lange schwer, Mitglieder zu finden. Doch nun wächst das Team langsam; | |
inzwischen gehören auch drei heterosexuelle Spieler dazu. Das macht Relling | |
Hoffnung. „Wir werden immer mehr“, sagt er, „und das ist cool.“ Doch den | |
anderen Spielern ist anzumerken, dass sie nicht gerne über die Probleme | |
sprechen. | |
„Ich seh das so“, brummt Jürgen Bendler „entweder man kann mich leiden o… | |
nicht.“ Bendler, Mitarbeiter im Kundendienst der Berliner Verkehrsbetriebe, | |
streitet nicht ab, dass sein Team manchmal mit Abwehr zu kämpfen hat; er | |
zuckt die Schultern. „Von meinem Job bin ich das gewohnt. Ich lass manches | |
nicht so an mich ran.“ | |
## Selbstgebasteltes | |
Aber inzwischen ist, ganz allmählich, etwas in Bewegung gekommen. Das | |
Misstrauen löst sich auf, die Vorbehalte zerstreuen sich. Jürgen Bendler | |
sagt, dass einige der Bowler hier noch nie Kontakt zu Homosexuellen hatten, | |
bevor die Rosa Elefanten auftauchten: „Da ist eine Frau, die hatte am | |
Anfang Angst. Jetzt freut sie sich, wenn sie uns sieht, und begrüßt uns mit | |
Küsschen.“ | |
So ist das auf der Bowlingbahn. So sind die Rosa Elefanten. Sie geben sich | |
Mühe, sind freundlich zu allen. An Ostern haben sie selbst gebastelte | |
Osternester für alle Spieler der Liga mitgebracht. „Es gibt viele Leute, | |
die uns lieb haben“, sagt Relling, „das ist es, was wichtig ist.“ Dann ist | |
er wieder an der Reihe. Er nimmt Anlauf, die Hitze steigt ihm in den Kopf | |
und gerinnt als Schweiß auf seiner Stirn. | |
Auch Relling würde gern einfach bowlen, ohne sich immer wieder mit diesem | |
Thema befassen zu müssen. Aber er kann es nicht hinnehmen, wenn er sich | |
verletzt oder ausgegrenzt fühlt. Gerade weil ihm der Sport so wichtig ist. | |
„Weißt du“, sagt er, „ich war immer der Dicke, der ein bisschen anders w… | |
Und es gab nie einen Sport, den ich gut konnte.“ | |
Nun hat er endlich einen Platz gefunden, an dem er sich, trotz allem, | |
zugehörig fühlt. | |
Nur ab und an fragt er sich, ob sie sich das Leben nicht etwas leichter | |
machen könnten. Sie hatten sogar überlegt, ob sie nicht doch ihren Namen | |
ändern sollen. Sie haben sich dagegen entschieden, sagt Relling. „Der | |
Jürgen hat gesagt: Das wäre aufgeben.“ Und aufgeben, das kommt gar nicht | |
infrage. Nicht, wo sich die Dinge so gut entwickeln: Zu Beginn ihrer ersten | |
Saison in der Liga hatten sie sich ein Ziel gesetzt: Nur nicht Letzte | |
werden. Sie wurden Sechste von zehn Teams. Für die neue Saison haben sie | |
sich vorgenommen, es auf Platz fünf zu schaffen. | |
18 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Gabriela Keller | |
## TAGS | |
Homophobie | |
Amateursport | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Homophobie | |
Homophobie | |
Russland | |
Sotschi 2014 | |
Homosexualität im Profisport | |
Tanzen | |
Homosexualität | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sportler für Toleranz: Homophobie verlernen | |
Kanadische Collegesportler plädieren für einen entspannten Umgang mit | |
Homosexuellen. Die Reaktionen auf Outings im Profisport haben Mut gemacht. | |
Demo gegen Homophobie in Russland: Auf die Straße für die Liebe | |
In Berlin haben rund 5000 Menschen gegen die russischen | |
Anti-Homosexuellen-Gesetze demonstriert. Der einzige Politiker am Mikrofon | |
wurde ausgebuht. | |
Protest gegen russische Homo-Politik: Wodka-Boykott erreicht Deutschland | |
Eine Berliner Homo-Bar schenkt keinen russischen Wodka mehr aus. Sie | |
protestiert gegen die Unterdrückung von Homosexuellen. Die sind dankbar, | |
aber auch skeptisch. | |
Kommentar Homophobie in Russland: Sotschi oder nie | |
Der russische Sportminister schließt Sonderregelung für | |
„Homosexuellenparagraphen“ für die Winterspiele 2014 kategorisch aus. | |
Boykott ist aber keine Lösung. | |
DFB-Leitfaden für homosexuelle Sportler: Dann kommt mal raus! | |
Der DFB veröffentlicht einen Leitfaden für den Umgang mit homosexuellen | |
Sportlern. In einer „Berliner Erklärung“ wird Respekt und Akzeptanz | |
gefordert. | |
Tanzsport und Homophobie: Der Führungswechsel | |
Schwule und Lesben haben in den vergangenen Jahren den Tanzsport verändert. | |
Nur die Wertungsrichter bleiben konservativ. | |
Coming-Out eines US-Fußballers: „Ich bin ein freier Mann“ | |
Der frühere US-Nationalspieler Robbie Rogers bekennt sich zu seiner | |
Homosexualität. Danach beendet er seine Fußball-Karriere. |