# taz.de -- Schwuler NBA-Spieler Jason Collins: Kalkuliertes Coming-out | |
> Jason Collins ist der erste NBA-Spieler, der offen über seine | |
> Homosexualität spricht. Dabei nutzt seine Ehrlichkeit vor allem einer | |
> Person: Jason Collins. | |
Bild: Jason Collins habe nicht vorgehabt, der erste offen homosexuelle aktive U… | |
Vor wenigen Tagen war der Name Jason Collins nur eingefleischten NBA-Fans | |
ein Begriff. Der stets etwas pummelig wirkende, hüftsteife Collins spielte | |
für die Washington Wizards, einen chronisch erfolglosen Klub, dessen Fans | |
schon mal mit Plastiktüte auf dem Kopf kommen, um zu zeigen, wie sehr sie | |
sich für ihr Team schämen. | |
Collins sah meistens von der Ersatzbank aus zu, wie seine Mannschaft | |
regelmäßig besiegt wurde. Ab und zu durfte er dann doch mal für wenige | |
Minuten auf den Court stolpern. Dabei erzielte er durchschnittlich 3,6 | |
Punkte. Dann endete die reguläre Saison, und die Wizards gaben ihm zu | |
verstehen: „Sorry, Jason, wir brauchen dich hier nicht mehr.“ | |
Basketballrente. | |
Doch dann sagt Collins am Montag in einer groß angelegten Titelgeschichte | |
mit dem US-Magazin Sports Illustrated diesen Satz: „Ich bin ein 34 Jahre | |
alter NBA-Center, ich bin schwarz und ich bin schwul.“ Der erste aktive | |
männliche Profiathlet in den USA, der sich öffentlich zu seiner | |
Homosexualität bekennt. Eine Sensation und ein mediales Erdbeben. Um zu | |
verstehen, weshalb das Coming-out besonders in den USA eine so | |
elektrisierende Wirkung hat, muss man sich kurz vergegenwärtigen, was für | |
eine Art Liga die NBA ist. | |
Die NBA ist eine reine Machoveranstaltung. Ein archaisches Terrarium | |
veralteter Verhaltensweisen. Titel und Trophäen sind wichtig, aber bei | |
weitem nicht so wichtig, wie die Frage, wer den Längsten hat. Der typische | |
NBA-Profi ist eine zwei Meter große Tätowierung, unter der ein aus Muskeln | |
bestehender afroamerikanischer Körper mit Ghettosozialisierung wuchtet. Das | |
Spiel an sich ist extrem rau, sowohl physisch als auch psychisch. | |
Das Publikum liebt es, wenn einem Spieler besonders hart ins Gesicht | |
gedunked wurde. Dann stellt sich der stärkere Athlet über sein zu Boden | |
gegangenes Opfer und brüllt es an: „I just made you my Bitch!“ Applaus, | |
Replay, großer Vertrag. Und wenn die Partien am Ende eng werden und es auf | |
den einen entscheidenden Wurf ankommt, gilt die Cowboylogik. Der Stärkere | |
kriegt den Ball und muss es richten. Wenn er trifft, hat er tatsächlich den | |
Größten. Wenn er scheitert, ist er ein Eunuch. | |
Im Mikrokosmos der NBA gilt letztlich vor allem eins: Stärke. Da ist kein | |
Platz für Sensibilität und Schwäche. Kein Berechtigung für ehrliche | |
Empfindungen, geschweige denn Angreifbarkeit. Und ausgerechnet in dieser | |
Atmosphäre stellt sich Collins hin und macht sich mit seinem Coming-out | |
verwundbar. Dadurch verwandelt sich die sportliche Randfigur Collins | |
schlagartig in eine politische Ikone. | |
## Obama und Clinton gratulieren | |
Sofort ruft US-Präsident Barack Obama an, um Collins seine Bewunderung | |
auszusprechen. Expräsident Bill Clinton schreibt, dass er stolz sei, mit | |
einem solch großartigen Menschen befreundet sein zu dürfen. | |
Lakers-Superstar Kobe Bryant twittert: „Lass die Ignoranz anderer nicht | |
bestimmen, wer du bist.“ Regisseur Spike Lee applaudiert: „Danke für deine | |
Courage. Das war ein Slam Dunk gegen Homophobie!“ Diese Liste ließe sich | |
noch weit fortführen. Statt wie sonst 4.000 Followern [1][auf Twitter] | |
folgen Collins inzwischen fast 100.000 Menschen, die es interessiert, was | |
er zu sagen hat. | |
Zwar haben in den USA in den vergangenen Jahren bereits mehrere männliche | |
Athleten mit ihrem Coming-out von sich reden gemacht. So feierte nach dem | |
Ende seiner Karriere der NBA-Profi John Amaechi vor sechs Jahren sein | |
Geständnis. Doch weil Collins der erste aktive Spieler ist, gilt er nun als | |
historische Figur, als Tabubrecher, als Held und mutiger Vorkämpfer für die | |
Gleichstellung homosexueller Athleten im Leistungssport. | |
Aber sind diese Lobeshymnen wirklich gerechtfertigt? Wo kein Risiko ist, da | |
ist auch kein Mut. Und was hat Collins an diesem Punkt seiner Karriere | |
durch sein Bekenntnis denn überhaupt zu verlieren? Nichts. Im Gegenteil, | |
sein Coming-out kann ihm fast nur nutzen. Es ist ein Strohhalm, um | |
irgendwie noch an einen Vertrag zu kommen. Sein letzter Zug in Richtung | |
Aufmerksamkeit. Es ist kein Zufall, dass Collins im selben Interview, in | |
dem er seine Homosexualität eingesteht, auch betont, wie fit er sich noch | |
fühle. Und dass er einem neuen Klub definitiv sportlich helfen könnte. | |
## Dopingspritze voll gutem Image | |
Sportlich bestimmt nicht, aber Collins könnte nun tatsächlich fast jedem | |
Klub helfen. Und zwar mit einer riesigen Dopingspritze voll gutem Image. | |
Sein neuer Arbeitgeber wäre der erste Verein, der bewusst einen | |
homosexuellen Spieler verpflichtet. Die Fans, die sich dann sein neues | |
Trikot kaufen, wären die ersten Fans, die sich bewusst das Trikot eines | |
schwulen NBA-Spielers kaufen. Wer Collins unter Vertrag nimmt und das Ganze | |
richtig vermarktet, könnte viel Geld und noch viel mehr positive | |
Schlagzeilen einstreichen. | |
Um Missverständnisse auszuschließen: Hier geht es nicht darum, Jason | |
Collins vorzuwerfen, dass er seine Homosexualität bewusst als | |
Marketingstrategie einsetzt. Es ist ja leider auch nicht so, dass Collins | |
nur Verständnis und Wohlwollen entgegengeschlagen wäre. | |
Da gab es beispielsweise noch relativ harmlose Kritik wie die vom | |
ehemaligen NBA-Spieler Larry Johnson, der heute Sprecher der New York | |
Knicks, einem der einflussreichsten und populärsten Vereine der NBA, ist. | |
Johnsons Statement: „Ich kenne Jason Collins nicht persönlich. Er ist | |
bestimmt ein großartiger Typ, aber ich würde mich mit einem schwulen Mann | |
in der Kabine unwohl fühlen.“ Oder die Äußerung von Footballspieler Mike | |
Wallace, der sich nun wunderte: „Bei so vielen schönen Frauen auf der Welt | |
verstehe ich das nicht.“ | |
Etwa ein Viertel aller Tweets, die den Namen Collins enthalten, sind | |
negativ bis offen homophob. Neben dem eigentlichen Trend #Jason Collins ist | |
der zweite Haupttrend #JasonCollinsSucks. Das Wort suck kann dafür stehen, | |
dass man schlecht in etwas ist. Oder als Synonym für Oralverkehr dienen. | |
Dementsprechend gab es eine Menge Witze, die mit den Worten Balls und suck | |
zu tun hatten. | |
Außerdem ist auch unklar, wie viel von der Bewunderung und dem Verständnis | |
für Collins bleibt, wenn die Scheinwerfer der politischen Korrektheit | |
ausgehen. Der US-Sportsender ESPN befragte 14 hohe NBA-Funktionäre anonym, | |
ob sie eine Zukunft für den homosexuellen Collins in der Liga sehen. Acht | |
von ihnen glauben nicht, dass Collins noch einmal Fuß fassen kann. Denn | |
Homosexualität werde intern noch einmal ganz anders diskutiert. | |
## Risiko-Nutzen-Rechnung | |
Trotzdem: Jason Collins ist nicht nur ein Held. Sein Coming-out jetzt als | |
großen Akt der Courage zu glorifizieren, ist nicht ganz sauber. Wo bitte | |
ist das Heldenhafte an seiner Risiko-Nutzen-Rechnung? Wäre Collins ein | |
aufstrebender 23-Jähriger Spieler, der vor seinem ersten großen Vertrag | |
steht und durch sein Bekenntnis seine Karriere aufs Spiel setzt, okay. Aber | |
so? Halb aus dem Ruhestand outen? Soll das die Vorbildfunktion für andere | |
homosexuelle Athleten sein? | |
Wahrscheinlich wird Collins eines neues Vertragsangebot bekommen. Ein | |
Angebot, das er ohne Coming-out wohl nicht bekommen hätte. Dann spielt er | |
noch eine Saison. Es wäre die erste Saison, die er als besonderer Spieler | |
absolviert. | |
2 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://twitter.com/jasoncollins34 | |
## AUTOREN | |
Dmitri Kapitelman | |
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