# taz.de -- Respektpreis für Pinkballroom: Sie führt, sie folgt … | |
> Paartanz muss nicht hetero sein. Almut Freund und Doro Arning tanzen | |
> schon seit 24 Jahren bei der Berliner Tanzabteilung für Equality-Tanz. | |
Bild: Almut Freund (links) und Doro Arning bewegen sich wie im Dialog zur Musik | |
Berlin taz | Manchmal, wenn Doro Arning und Almut Freund tanzen, | |
verschmelzen die beiden zu einem eleganten Wesen. Dann drehen sie sich zum | |
Wiener Walzer über das Parkett und es ist nicht ganz klar, welches der | |
schwarzen Hosenbeine jetzt zu wem gehört. Doch schon im nächsten Takt | |
schiebt Arning ihre Partnerin in einen Richtungswechsel, sie blickt dabei | |
konzentriert geradeaus. Freund geht mit, wirft den Kopf leicht nach hinten, | |
lächelt. Aus dem verschmolzenen Paar werden zwei Frauen, die sich wie im | |
Dialog zur Musik bewegen – die eine führend, die andere folgend. | |
Seit 24 Jahren tanzen Doro Arning und Almut Freund miteinander, Standard | |
und Latein. Sie meinen es ernst mit ihrem Sport: Dreimal die Woche | |
trainieren sie in Gruppenkursen, dazu kommen meistens drei individuelle | |
Trainings, bei denen sie hin und wieder von ihrer Lehrerin beraten werden. | |
Mittlerweile gehören sie zu den erfolgreichsten gleichgeschlechtlichen | |
Tanzpaaren Deutschlands in ihrer Altersklasse über 60. 2018 gewannen sie | |
sogar die Weltmeisterschaften in der Kategorie „10 Tänze Seniorinnen“. Sie | |
repräsentieren damit einen Sport, der erst in den 1990ern offizielle | |
Anerkennung fand: den Equality-Tanz. | |
An diesem Montagmorgen haben Arning und Freund den Tanzraum der | |
[1][Turngemeinde in Berlin (TiB)] ganz für sich allein. Graues Herbstlicht | |
fällt durch die Fensterfront, eine einsame Diskokugel hängt von der Decke. | |
Sie üben fünf unterschiedliche Tänze, Slow Fox, Tango, Langsamen Walzer, | |
Wiener Walzer und Quickstep, durchqueren den Saal mit leichten Schritten, | |
jede Handbewegung, jeder Blick gehört zur Choreografie. Am Ende wischt sich | |
Arning etwas Schweiß von der Stirn. Es ist also doch anstrengend, dieses | |
scheinbare Schweben. „Es ist richtiger Sport“, sagt Freund. „Ich bin | |
fitter, als ich es vor 30 Jahren war.“ | |
Richtiger Sport – das wurde Equality-Tanz auch durch [2][Pinkballroom]. So | |
heißt die Equality-Tanzabteilung innerhalb des Tanzvereins des TiB. Als sie | |
1998 gegründet wurde, bot sie gleichgeschlechtlichen Tanzpaaren und | |
insbesondere queeren Tänzer*innen in Deutschland zum ersten Mal die | |
Möglichkeit, in einem Tanzverein des [3][Deutschen Tanzsportverbandes | |
(DTV)] zu trainieren. Die Bedeutung, die Pinkballroom für den Equality-Tanz | |
seit nunmehr 26 Jahren hat, wird dieses Jahr besonders gewürdigt: Die | |
Tanzabteilung ist eine der drei Nominierten für den diesjährigen | |
Respektpreis des Berliner Queer-Bündnisses, der am 2. Dezember vergeben | |
wird (siehe Kasten). | |
## Chronik der Meilensteine | |
Pinkballroom hat gleichgeschlechtliches Tanzen nicht erfunden. Auf der | |
Website erinnert eine Chronik an die Meilensteine, die den Paartanz aus | |
seinem heteronormativen Korsett befreiten. 1983 gibt es in Berlin ein | |
erstes freies Tanzangebot namens „taktlos“, das sich nach eigener | |
Beschreibung „gegen Knigge und feste Rollenverteilung“ positionierte. | |
Wenige Jahre später startet dann in Berlin der erste Paartanz-Unterricht | |
für Frauenpaare, ab 1986 bietet die Schokofabrik, ein aus einer | |
Hausbesetzung entstandenes lesbisches Wohnprojekt in Kreuzberg, Tanzkurse | |
für Lesben an. Kurze Zeit darauf folgt der erste dezidierte Tanzkurs für | |
schwule Männer. | |
Was als Freiraum für queere Menschen beginnt, entwickelt sich zu einer | |
eigenen Disziplin. Das erste Equality-Turnier Deutschlands findet 1994 in | |
Oldenburg statt. Als mit Pinkballroom ein Equality-Tanzverein Teil des DTV | |
wird und 1999 mit den „Berlin Open“ ein erstes eigenes Turnier | |
veranstaltet, stellen sich neue Fragen der Anerkennung. „Es gab die | |
Diskussion, ob die Wertungsrichter*innen des DTV ihre Lizenz | |
verlieren, wenn sie unser Turnier begleiten“, berichtet Kerstin Kallmann. | |
Sie gehört zur Leitung der TiB-Tanzsportabteilung und tanzt seit Jahren in | |
den Kursen von Pinkballroom. Der Berliner Landestanzverband habe sich | |
damals klar positioniert: „Der Präsident des LTV hat sich selbst als | |
Wertungsrichter an die Tanzfläche gestellt, und dadurch allen zukünftigen | |
Wertungsrichter*innen bei Equality-Turnieren den Rücken gestärkt.“ | |
Für Almut Freund und Doro Arning bedeutet Pinkballroom den Beginn einer | |
neuen Ära. Lange Zeit haben sie überhaupt keinen Bezug zu Paartanz. „Ich | |
hatte eher so Bilder im Kopf“, sagt Freund, „so was Spießiges“, ergänzt | |
Arning. Einerseits haben sie als junge Erwachsene Lust auf andere Musik. | |
„Ich habe lieber für mich getanzt“, sagt Arning und schüttelt den Kopf wie | |
auf einem Punk-Konzert. Andererseits schreckt sie auch die konventionelle | |
Mann-Frau-Aufteilung beim Paartanz ab. „Ich hätte mich nie in eine | |
Tanzschule begeben, ich fand schon damals Mädchen gut, und da wählen ja | |
dann die Jungs aus, das hätte ich bestimmt doof gefunden“, erzählt Freund. | |
Erste Erfahrungen mit Paartanz machen sie in den frühen 90er Jahren in den | |
Kursen der Schokofabrik, da sind sie schon seit ein paar Jahren zusammen. | |
„Damals gab es einen richtigen Tanzboom“, erinnert sich Freund. So richtig | |
auf den Geschmack kommen sie aber erst bei einem Tanzevent in Bremen, wo | |
sie einige Zeit auch wohnen: „Da haben wir gleichgeschlechtliche Paare | |
gesehen, die haben richtig gut getanzt, richtig knackig“, sagt Freund. | |
## Erster Turnierbesuch | |
Wenig später besuchen sie gemeinsam ein Equality-Turnier in Hannover. „Das | |
hat uns so berührt“, sagt Doro Arning. „Dieses Selbstverständliche, und m… | |
tollen Kostümen, und die Leute hatten einfach Spaß“, sagt Freund. Ein | |
Frauenpaar bekommt den Publikumspreis – es trainiert bei Pinkballroom. „Als | |
wir zurück nach Berlin gezogen sind, haben wir direkt Kontakt aufgenommen“, | |
sagt Almut Freund. Dass sie bald darauf an Turnieren teilnehmen würden, | |
damit hätten die beiden damals nicht gerechnet. „Aber dann waren die | |
‚Berlin Open‘ 2001 und schwups waren wir dabei. Von vier Paaren sind wir | |
auf dem dritten Platz gelandet, es gab also immerhin eine Medaille“, | |
erinnert sich Doro Arning. Seitdem fahren sie mehrmals im Jahr zu | |
Turnieren. „Es ist einfach toll, man sieht richtig gute Paare, die auch mal | |
besser sind als man selbst, man feiert sich gegenseitig.“ | |
Almut Freund berichtet, dass die Wertungsrichter, die zum ersten Mal bei | |
einem Equality-Turnier dabei sind, oft sagen, „dass die Stimmung auffällig | |
euphorisch ist“. Anders als im Hetero-Tanzen herrsche eine grundsätzliche | |
Freude darüber, so viele gleichgeschlechtliche Paare zu sehen. Und durch | |
eine flexiblere Kleiderordnung und weniger strikte Regeln, die den | |
Führungswechsel zulassen, lassen die Equality-Turniere den | |
Teilnehmer*innen mehr Freiheiten. | |
Freiheiten, die den Equality-Tanz ausmachen – und die Kerstin Kallmann | |
lieber öfter genutzt sähe. „Das Professionalisieren hat geklappt, aber mit | |
dem sportlichen Erfolg gibt es auch stärkere Assimilierungstendenzen.“ Zum | |
Beispiel, was das Erscheinungsbild betreffe. Zahlreiche Frauen-Paare | |
präsentierten sich mittlerweile wie ein Hetero-Paar: Die führende Person im | |
Hosenanzug, die folgende im Kleid. „Ich möchte den Paaren, die einem | |
Frau-Mann-Schema nahe kommen nicht unterstellen, dass sie es für den Erfolg | |
machen“, betont sie. „Aber wenn ich mit meiner Partnerin auf der Tanzfläche | |
stehe und wir das einzige Paar sind, wo beide Hosen tragen, dann fühle ich | |
mich wie ein Fremdkörper.“ | |
Auch den Führungswechsel, ein Alleinstellungsmerkmal des Equality-Tanzens, | |
beobachtet Kallmann auf Turnieren immer seltener. Um eine sehr gute | |
Bewertung zu erhalten, sei es nun mal leichter, nur eine statt beider | |
Rollen einzuüben. Kallmann möchte aber mit ihrer Tanzpartnerin bewusst | |
durchwechseln, mal führen, mal folgen. „Ich finde das super spannend, | |
einerseits um zu verstehen, was die andere Rolle will, und auch um die | |
Hierarchie zu glätten. Tanzen ist ja eigentlich ein sehr konservativer | |
Sport und es wird viel Hierarchie vermittelt: Führend gilt beim | |
konventionellen Tanzen sogar heute noch häufig als wichtiger, folgend soll | |
sozusagen einfach nur schön sein.“ | |
## Rollentausch auf dem Tanzparkett | |
Freund und Arning tanzen in festen Rollen. Nicht, weil das den | |
Bewertungsrichter*innen besser gefällt. „Ich hatte das Gefühl, beides | |
zu lernen, das könnte ich nicht“, sagt Freund. Trotzdem empfinden beide die | |
Aufteilung in führend und folgend nicht als Einengung, im Gegenteil. „Wir | |
haben ein bisschen die Rollen getauscht, in unserer Beziehung bin ich eher | |
die nachgiebige“, sagt Arning. „Für mich war es toll zu merken, wie gut | |
Doro die führende Rolle übernehmen kann und ich mich da reingeben kann“, | |
sagt Freund. | |
Was die Kleidung betrifft, haben sich Almut Freund und Doro Arning über die | |
Jahre tatsächlich angepasst. Sie zeigen ein altes Foto von einem Turnier, | |
bei dem sie noch im Partnerinnenlook antraten: Beide tragen ein schwarzes | |
Spitzenoberteil mit pinkem Kragen, dazu Hosen. „Das war am Anfang der | |
Trend, dass man etwas Ähnliches an hat“, sagt Freund. | |
Bei jüngeren Auftritten trägt sie nun Kleider, ein wallend langes Ballkleid | |
für die Standard-Tänze, ein Pailletten-Kleid für Latein. „Unser Trainer hat | |
auch gesagt, dass es gut wäre, die Rollen ästhetisch zu differenzieren“, | |
sagt Arning. Und Freund hat Spaß daran: „Man kann da so eine Seite | |
ausleben. Wann würde ich sonst mal so etwas anziehen?“ | |
2 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://tib1848ev.de/sportarten/tanzsport/ | |
[2] https://www.pinkballroom.de/ | |
[3] https://www.tanzsport.de/de/ | |
## AUTOREN | |
Nora Noll | |
## TAGS | |
Tanzen | |
Schwerpunkt LGBTQIA | |
Gleichstellung | |
GNS | |
Der Hausbesuch | |
Tanzen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Der Hausbesuch: Der Tag, den sie vergessen will | |
Sie ist Turniertänzerin in einer queeren Gruppe, Imkerin und | |
Hausverwalterin. „Das Leben ist mehr als nur der Job.“ Zu Besuch bei Simone | |
Götz in Berlin. | |
Diskriminierung im Tanzverein: Lesben dürfen nicht mittanzen | |
Tanzclub in Bremerhaven lehnt lesbisches Paar für Discofox-Kurs ab. Die | |
Grünen wollen deshalb die öffentliche Finanzierung des Vereins einstellen. | |
Tanzsport und Homophobie: Der Führungswechsel | |
Schwule und Lesben haben in den vergangenen Jahren den Tanzsport verändert. | |
Nur die Wertungsrichter bleiben konservativ. |