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# taz.de -- Organspendeskandal in München: Vom Chefarzt zum Praktikanten
> Das Klinikum Rechts der Isar kommt nicht zur Ruhe: ein zunächst
> geschasster Chefarzt soll demnächst wieder operieren dürfen.
Bild: Immer Ärger mit den Organen.
BERLIN taz | Am Ende, Wahlkampf hin oder her, hatten sich alle zusammen
gerauft. Und als Konsequenz aus dem Organskandal an den Unikliniken
Göttingen, Regensburg, München Rechts der Isar und Leipzig das
Transplantationsgesetz in einem zentralen Punkt geändert. Union und FDP,
SPD und Linkspartei und auch die Grünen beklatschten am Freitag im
Bundestag ihren gemeinsamen Beschluss: Jeder, der falsche Angaben zu
Patienten macht in der Absicht, diesen einen aussichtsreicheren Platz auf
der Warteliste für ein Spenderorgan zu besorgen, riskiert hierfür künftig
bis zu zwei Jahre Gefängnisstrafe.
Die Zustimmung im Bundesrat zu der Gesetzesänderung gilt als sicher. Es
habe ihn „geärgert“, sagte der Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP)
nach der Debatte in Berlin, dass „einzelne“ das Vertrauen in das System der
Transplantationsmedizin erschüttert hätten, aber damit sei nun Schluss.
Jetzt gelte es, nach vorn zu blicken, erklärte der Minister.
Nach München hatte er da offenbar nicht geblickt. Der seit Monaten währende
Kleinkrieg um Fragen der Schuld, Verantwortung und Konsequenzen aus den
Manipulationsfällen bei der Organvergabe am Klinikum Rechts der Isar der
Technischen Universität München (TUM) hat eine neue Eskalationsstufe
erreicht: Der ehemalige Direktor der Chirurgischen Klinik, dem das Klinikum
erst im Februar mit Verweis auf das zerrüttete Vertrauensverhältnis die
fristlose Kündigung ausgesprochen hatte, wird nach Angaben seines Münchner
Anwalts Eckhard Schmid „hoffentlich binnen der nächsten zwei Wochen“ an
seinen ehemaligen Arbeitsplatz zurückkehren.
Zwar werde der Professor zunächst nicht wieder als Chefarzt tätig sein, so
Schmid zur taz, „aber bis zur endgültigen Klärung der Kündigungsstreits
muss er wieder operieren dürfen in dem Maß, in dem er das zuvor auch getan
hat“. Zuvor hatte das Landesarbeitsgericht München entschieden, dass es ein
„besonderes Interesse“ am Erhalt der handwerklichen chirurgischen
Fähigkeiten des Arztes gebe; er gilt als Spezialist für
Bauchspeicheldrüsenoperationen. Deswegen sei der Mann bis zu einer
erstinstanzlichen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess zu beschäftigen,
bestätigte eine Sprecherin des Rechts der Isar, wenngleich weder als
Universitätsprofessor noch als Leiter der Chirurgie.
## Vom Chefarzt zum Praktikanten
Vom Chefarzt zum Praktikanten? Organisatorische Details würden derzeit
geklärt, so die Sprecherin. In der chirurgischen Klinik wird die
bevorstehende Rückkehr unterdessen als Affront empfunden. „Es kann nicht
sein, dass einer, der jahrelang von den gefälschten Patientenangaben wusste
und trotz seiner Verantwortungsposition weggeschaut hat, hier einfach
wieder aufkreuzt“, sagte ein Mitarbeiter der taz.
Der Zorn vieler Beschäftigter richtet sich daneben gegen das FDP-geführte,
bayerische Wissenschaftsministerium als Aufsichtsbehörde über die
Uniklinik. Das Ministerium hatte zunächst im vergangenen Herbst die
Aufnahme neuer Patienten in das Lebertransplantationsprogramm gestoppt.
Nach Erhärtung der Manipulationsvorwürfe durch ein Gutachten des Wiener
Chirurgieprofessors Ferdinand Mühlbacher wurde das Leberzentrum im Mai ganz
geschlossen.
Auch wurde im Herbst 2012 den drei ehemaligen Chefs des
Transplantationszentrums die Verantwortung hierfür entzogen. Ihre
Chefarztpositionen aber behielten sie – mit Ausnahme des
Chirurgie-Direktors. Der Direktor der Klinik für Inneres wurde inzwischen
immerhin weitgehend entlastet durch ein vorläufiges Gutachten der
Bundesärztekammer, das dem bayerischen Wissenschaftsministerium vorliegt
sowie mehreren Medien zugespielt wurde, darunter der taz: Danach soll er
sich darum bemüht haben, die Vorfälle klinikintern öffentlich zu machen,
heißt es in dem Gutachten.
Wann die Öffentlichkeit Kenntnis von dem Bericht erhält, ist indes unklar.
Halten kann sich bislang auch der Ärztliche Direktor Reiner Gradinger, der
ebenfalls von mehreren Manipulationen oder Manipulationsversuchen wusste,
ohne dieser Kenntnis Konsequenzen folgen zu lassen. Gradinger blieb nicht
nur untätig; ungewöhnlich früh erklärte er die – damals nur wenigen
Klinikmitarbeitern bekannten – Fälle für belanglos.
In einem Schreiben Gradingers an die drei involvierten Chefärzte vom 5.
Februar 2010 heißt es, „dass bei objektiver Prüfung der Unterlagen kein
Fehlverhalten oder bewusster Verfahrensfehler vorliegt“. Die Beschäftigten
wurmt diese laxe Haltung. „Es ist absurd, dass wir hier gerade Patienten,
Renommee, Forschungsgelder und Kompetenz verlieren, also bestraft werden –
während für die tatsächlich Verantwortlichen alles weiter geht wie bisher“,
sagte ein Arzt. Der Schutz, den der Ärztliche Direktor sowohl durch den
Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) erfahre als auch durch den
Präsidenten der TU München, Wolfgang Herrmann, sei „auffällig“.
## Disziplinarverfahren gegen sich selbst
In Gradingers Selbstwahrnehmung freilich sind die Dinge anders gelagert.
„Seit Monaten sieht sich der Ärztliche Direktor im Zusammenhang mit den
Regelverstößen bei der Lebertransplantation ungerechtfertigten Angriffen
ausgesetzt“, ließ er Ende der Woche seine Pressestelle mitteilen. Und
leitete ein Disziplinarverfahren bei der Landesanwaltschaft Bayern ein –
gegen sich selbst. Gradinger gegen Gradinger also; nach Artikel 20 Absatz 1
des Bayerischen Disziplinargesetzes ist auch dies möglich. „Ziel seines
Antrags ist es“, so die Pressestelle, „von unabhängiger amtlicher Stelle
seine Rolle bei der Aufklärung klären zu lassen und sich von dem Verdacht
eines Dienstvergehens zu entlasten“.
Entlastung sucht neuerdings auch der Chefarzt der Klinik für
Nierenheilkunde, bis Oktober 2012 war er zugleich Geschäftsführender
Vorstand des Transplantationszentrums am Rechts der Isar. Auch gegen ihn
ist ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Zudem wächst in der
Transplantationsszene der Unmut darüber, dass der Professor ausgerechnet in
einer solchen Situation über Monate festhielt an Funktionärs-Posten bei der
für die Organvergabe zuständigen Stiftung Eurotransplant (ET), bei der
Bundesärztekammer sowie bei der Deutschen Transplantationsgesellschaft.
Posten also, mit denen sich Einfluss nehmen lässt auf Entscheidungen und
Entwicklungen in der Transplantationsmedizin. Unter anderem hatte der
Professor sich im Oktober 2012, nur wenige Tage, nachdem er von der Leitung
des Transplantationszentrums am Rechts der Isar entbunden worden war, als
so genanntes „A-Mitglied“ in das Board der Organvergabestelle
Eurotransplant wieder wählen lassen. Laut ET-Internetseite dagegen setzt
die A-Mitgliedschaft die Arbeit in einem Transplantationszentrum voraus.
Am Freitag nun ging der Professor in die Offensive: „Um jedweden
Imageschaden durch eine Berichterstattung über meine Person von den
beteiligten Institutionen abzuwenden, lasse ich meine Tätigkeit in den
Gremien der Bundesärztekammer, bei der Deutschen
Transplantationsgesellschaft und Eurotransplant ab dem gestrigen Datum bis
zum Abschluss des Verfahrens ruhen“, schrieb er am Freitag der taz.
„Nahegelegt“ habe ihm diese Entscheidung bis dahin jedoch „niemand“. Der
Präsident der Stiftung Eurotransplant, Bruno Meiser, bestätigte diese
Darstellung und stellte diese Entscheidung als eine freiwillige dar: „Die
Voraussetzungen für die Mitgliedschaft im ET-Board sind nach wie vor
gegeben“, so Meiser zur taz.
Und: „Die Ermittlungen im Zusammenhang mit den Manipulationsvorwürfen sind
nicht abgeschlossen.“ Mitarbeiter des Rechts der Isar indes bezweifeln,
dass der Professor irgendeinen öffentlichkeitswirksamen Posten jemals
freiwillig räume. Aktuelles Beispiel: Der Informationstag für nierenkranke
Patienten, ursprünglich geplant für dieses Wochenende, schlussendlich „aus
organisatorischen Gründen“ verschoben. Das ist die offizielle
Klinikversion.
Die Geschichte, die an der Planung für den Patiententag Beteiligte
erzählen, geht anders: Danach habe sich der Professor während der
Planungsphase für den Patiententag nachdrücklich dafür eingesetzt, auf dem
Ankündigungsflyer für diese Info-Veranstaltung namentlich erwähnt zu
werden. Nachdem dieser Bitte nicht entsprochen worden sei mit dem Verweis,
dass er nicht mehr mit der Leitung des Transplantationszentrums betraut
sei, habe er gegenüber der Klinikleitung angeregt, den Patiententag in
diesem Fall gar nicht stattfinden zu lassen. Beschäftigte der Klinik
erwähnen in diesem Zusammenhang das Wort „Rumpelstilzchen“.
In jedem Fall sei die Intervention erfolgreich gewesen; für den
Patiententag muss nun ein neuer Termin gesucht werden. Zu all diesen
Vorwürfen teilte der Professor der taz mit: „Ich habe auch
selbstverständlich keinen Patiententag aufgrund persönlicher Kränkungen
verhindert.“ Angesichts solcher Verhältnisse erscheint es konsequent, dass
die Direktion der Technischen Universität München, kurz TUM, sich aktuell
auf Fragen identitätsstiftender Projekte konzentriert. Am 6. Juni etwa bat
der Ärztliche Direktor, Reiner Gradinger, in einer Email an den Dekan sowie
zahlreiche Klinikdirektoren: „der Präsidialstab der TUM möchte gerne
wissen, welche medizinischen Einrichtungen unter einem „TUM“-Zusatz
firmieren.
Als Beispiele werden angegeben: MelaTUM, ImaTUM und die Forschungsbauten
TranslaTUM, MomenTUM etc.“ Die Angeschriebenen sollten nun
freundlicherweise mitteilen, „mit welcher Bezeichnung in Ihrem Bereich der
TUM-Zusatz verwendet wird“. Hans Förstl, Direktor der Klinik für
Psychiatrie und Psychotherapie am Rechts der Isar, antwortete dem
Verteilerkreis keine 24 Stunden später: „Aufgrund seiner hohen Popularität
und Medienwirksamkeit hat sich für unser Wirken gerade im Bereich der
Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis und unsere psychoedukativen
Massnahmen der Begriff irrTUM durchgesetzt und wir unternehmen gerade
intensive Bemühungen den Terminus patentrechtlich schützen zu lassen und
unverrückbar mit dem Image der TUM zu verquicken (irrTUM®).
Wir werden Sie auf dem Laufenden halten und sind offen für Vorschläge
bezüglich einer lizensierten Verwertung für einschlägige Aktivitäten an
Campus und Alma mater.“ Die Reaktionen, die er erhalte, so Förstl zur taz,
seien übrigens „durchweg positiv“.
16 Jun 2013
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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