# taz.de -- Kriterien der Transplantationsmedizin: Das große Leberversagen | |
> Der Skandal um die Vergabe von Spenderlebern sollte aufgearbeitet werden. | |
> Doch der Prüfbericht ist schlampig, widersprüchlich und willkürlich. | |
Bild: Dialysepatienten haben eine Sonderstellung im komplizierten Punktesystem … | |
BERLIN taz | Kameramänner rangelten um Plätze, Journalisten standen bis in | |
den Gang, unten auf der Straße warteten Ü-Wagen. Selten fand eine | |
Pressekonferenz in den Räumen der Bundesärztekammer in Berlin so viel | |
öffentliches Interesse wie jene am 4. September 2013, in der es noch | |
einmal, ein letztes Mal, um die Lebern und den Skandal gehen sollte. | |
Der Glaube an die Gerechtigkeit in der Transplantationsmedizin war im Jahr | |
zuvor abhandengekommen. Es hatte Manipulationsvorwürfe an mehreren | |
Universitätskliniken gegeben. Ärzte, so der Vorwurf, hätten die Richtlinien | |
der Bundesärztekammer zur Vergabe von Spenderorganen bewusst missachtet, um | |
ihre eigenen Patienten bei der Zuteilung zu bevorzugen. Dazu hätten sie | |
Falschangaben gegenüber der Organvermittlungsstelle Eurotransplant gemacht, | |
etwa was den Alkoholkonsum ihrer Patienten betraf, die | |
Dialyse-Pflichtigkeit oder die Größe ihrer Leberkrebstumoren. | |
Parameter also, die die Aussichten auf eine Spenderleber beeinflussen. Und | |
dies in einem Bereich der Medizin, in dem es aufgrund der | |
Ressourcenknappheit um Leben oder Sterben geht. Aber jetzt, versprach der | |
Ärztepräsident, gehe es aufwärts: „Transplantationsmedizin“, sagte Frank | |
Ulrich Montgomery, „ist heute so sicher wie nie“. | |
Doch genau daran gibt es jetzt, ein halbes Jahr später, Zweifel unter | |
Medizinern und Juristen. Sie richten sich gegen die Kontrolleure der | |
„Prüfungs- und Überwachungskommissionen“, kurz PÜK, ausgerechnet gegen | |
diejenigen Prüfer also, die Montgomerys Bundesärztekammer zusammen mit dem | |
Spitzenverband der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft | |
in den Monaten zuvor hatte ausschwärmen lassen. Alle 24 deutschen | |
Lebertransplantationszentren sollten die PÜK-Prüfer, darunter Ärzte, | |
Juristen und Vertreter von Landesministerien, auf Unregelmäßigkeiten bei | |
der Organvergabe in den Jahren 2010 und 2011 durchleuchten. Doch wie | |
objektiv, wie belastbar, wie glaubwürdig ist das Urteil der Prüfer? | |
## Ein Gegengutachten | |
Der Reihe nach. An jenem 4. September legten die Kontrolleure in Berlin | |
ihren Abschlussbericht vor. Die Ergebnisse bestätigten, was ohnehin | |
vermutet worden war, und vielleicht deswegen hinterfragte zunächst niemand, | |
was da vorgetragen wurde: Von 24 Zentren hatten 20 gegen die Richtlinie der | |
Bundesärztekammer verstoßen, und davon wiederum vier Zentren, so der | |
Prüfbericht, „systematisch“ und „schwerwiegend“. Namentlich waren dies… | |
Uni-Kliniken Göttingen, Leipzig, München – Rechts der Isar und Münster. | |
Sie galten fortan als Bösewichte ihrer Zunft. In Regensburg waren zuvor | |
ebenfalls systematische Verstöße entdeckt worden, allerdings lange vor dem | |
Untersuchungszeitraum 2010/2011. „Prüfungs- und Überwachungskommissionen“, | |
lobte der Ärztepräsident, „sind zügig arbeitende Kontrollgremien, die den | |
Anforderungen des komplexen Gebiets fachlich, inhaltlich und rechtlich | |
gerecht werden.“ | |
Wirklich? Norbert Roeder, Ärztlicher Direktor der Uniklinik Münster (UKM) | |
und Chef einer der vier in Verruf geratenen Kliniken, spricht als Erster | |
die Kritik an der Kommission öffentlich aus: „Wir weisen die Feststellung, | |
dass es am UKM zu ’systematischen Richtlinienverstößen‘ gekommen ist, mit | |
Nachdruck zurück“, erklärte Roeder gegenüber der taz. Der Ausdruck | |
suggeriere „ein methodisches und planvolles Vorgehen im Wissen und in der | |
Absicht, einschlägige Vorschriften bewusst zu verletzen“. Ein solcher | |
Schluss lasse sich aber nicht ziehen, „auch aufgrund der in dem Bericht | |
dargestellten Faktenlage“. Von den 25 in Münster beanstandeten Fällen will | |
Roeder 9 als Verstöße gegen die Richtlinie anerkennen; diese seien jedoch | |
Dokumentations- und Kommunikationsproblemen geschuldet, nicht aber | |
Systematik oder Vorsatz. | |
Roeder stützt seine Kritik – auch – auf ein Rechtsgutachten des Münsteran… | |
Juraprofessors Thomas Gutmann im Auftrag der Klinik. Auf 45 Seiten | |
analysiert Gutmann akribisch sämtliche Bewertungen der Prüfungskommission | |
zu Münster und charakterisiert die meisten als „abwegig“, manche nennt er | |
„frei erfunden“. „Die Begründung des Prüfberichts leidet an schweren | |
Mängeln“, schreibt er. „Die einschlägigen Richtlinien werden in einer kaum | |
verständlichen Weise fehlinterpretiert.“ Gutmann zählt seit 20 Jahren zu | |
den profilierten Rechtsexperten für Transplantationsmedizin; ein | |
Gefälligkeitsgutachten gilt in Fachkreisen als ausgeschlossen. | |
Die Kommissionen hätten, so Gutmann, zur Begründung der zentralen Vorwürfe | |
„richtlinienfremdes Material“ herangezogen, dem keinerlei Normqualität | |
zukomme. Und: „Die Kommissionen haben wesentliche Nachweise zum Stand der | |
Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft außer Acht gelassen und sich | |
zudem systematisch und nachhaltig nahezu allen Tatsachen verschlossen, die | |
belegt hätten, dass die Hauptvorwürfe unbegründet sind.“ | |
## Mit zweierlei Maß gemessen? | |
Der Verdacht ist erheblich: Hat die Kommission bei der Bewertung der | |
Uniklinik Münster – und möglicherweise bei der Beurteilung anderer Zentren | |
auch – mit zweierlei Maß gemessen? Hat sie ihren Auftrag – die Einhaltung | |
der Richtlinie zu überprüfen – überschritten? Hat sie als Bewertungsmaßst… | |
auch andere Dokumente als die Richtlinie selbst herangezogen oder Dinge in | |
die Richtlinie hineininterpretiert, die dort gar nicht stehen? Hat all dies | |
dazu geführt, dass einzelne Zentren womöglich zu Unrecht als | |
„systematische“ Fälscher geoutet wurden und ihre Reputation verloren, | |
während andere Kliniken mit einem blauen Auge davonkamen? Und, und das ist | |
vielleicht die zentrale Frage, die zu beantworten eine der positiven | |
Konsequenzen aus dem Organskandal sein könnte: Sind die Richtlinien zur | |
Organvergabe noch zeitgemäß? Entsprechen sie dem Stand der Wissenschaft – | |
und können sie die Realität im Transplantationswesen hierzulande abbilden? | |
Er selbst, sagt der Klinikchef Roeder, habe erlebt, wie die Prüfer in | |
Münster „identische Patienten“, etwa mit Krebstumoren in der Leber, | |
„unterschiedlich bewertet“ hätten. Mal wurde bei ein- und demselben | |
Patienten eine bestimmte Tumorgröße zunächst als richtlinienkonform für die | |
Listung zur Transplantation gewertet, dann plötzlich als | |
Ausschlusskriterium. Dies verwundert insofern, als die Vorschriften aus der | |
Richtlinie eindeutig sind; sie sollen abbilden, in welchem Krebsstadium | |
eine Transplantation sinnvoll, also aussichtsreich ist: Als transplantabel | |
gelten dabei laut Richtlinie solche Patienten, die entweder einen einzelnen | |
Tumor zwischen 2 und 5 Zentimeter Größe haben. Oder sie haben bis zu drei | |
Tumoren, die jeweils kleiner als 3 Zentimeter sind. | |
Über Sinn und Unsinn dieser starren Werte lässt sich streiten. Allerdings | |
sind sie Bestandteil der Richtlinie – und nur deren Einhaltung sollte die | |
Kommission überprüfen. Die Prüfer aber erkannten Regelverstöße auch dann, | |
wenn Patienten mit bis zu drei Tumoren, die jeweils kleiner als 1 | |
Zentimeter waren, für eine Transplantation vorgesehen wurden. Dahinter | |
steckt die – unter Medizinern umstrittene – Annahme, mit den derzeit | |
verfügbaren bildgebenden Verfahren seien Knoten solcher Größe gar nicht | |
eindeutig als Tumoren zu identifizieren. Folglich sei die Notwendigkeit | |
einer Transplantation zweifelhaft. | |
Die Richtlinie selbst aber legt, wie gesagt, keine untere Begrenzung der | |
Tumorgröße fest. Ihre Entscheidung, dennoch Richtlinienverstöße zu | |
erkennen, begründete die Kommission unter anderem mit „international | |
akzeptierten Leitlinien zum HCC“ (hepatozelluläres Karzinom, d. Red.). | |
Diese Leitlinien stammen aus dem Jahr 2012 und haben rein empfehlenden | |
Charakter. Mit den nationalen Richtlinien, die gesetzesähnliche Funktion | |
haben, haben sie nichts zu tun. Bereits an diesem Punkt hinkt die | |
Argumentation, es handele sich um einen Richtlinienverstoß. | |
## Die Kriterien sind nicht klar definiert | |
Nachfragen hierzu ließen die Kommissionen ebenso unbeantwortet wie weitere | |
21 Fragen der taz zu dem Prüfbericht. Stattdessen teilten ihre | |
Vorsitzenden, Anne-Gret Rinder und Hans Lippert, der taz mit Schreiben vom | |
27. Februar 2014 mit: „Hinsichtlich Ihres Fragenkatalogs dürfen wir auf den | |
Kommissionsbericht 2012/2013 sowie die anliegenden Einzelberichte | |
verweisen, aus denen sich eine abschließende Beantwortung Ihrer Fragen | |
ergibt. […] Eine weitere Erläuterung des Berichts mit den anliegenden | |
Einzelberichten ist angesichts dessen nicht geboten.“ | |
Am Universitätsklinikum Münster sieht man das anders. Denn auch die | |
Vergleichbarkeit der Beurteilungen der Zentren untereinander halte | |
wissenschaftlich objektivierbaren Kriterien nicht stand, kritisiert der | |
Ärztliche Direktor Roeder. „Bei vergleichbarem Sachverhalt“, etwa bei | |
Patienten, die zur Therapieunterstützung eine der – ähnlich | |
funktionierenden – kombinierten Leber- und Nierendialysen namens | |
Prometheus, Mars oder Albumindialyse erhielten, sei die Kommission zu | |
„unterschiedlichen Ergebnissen“ gekommen, etwa in Kiel, Münster und Rechts | |
der Isar in München. | |
Tatsächlich erkennt die Kommission in ihrem Prüfbericht zum Leberzentrum in | |
Kiel einen „Richtlinienverstoß“ deswegen, weil die Ärzte das von ihnen | |
angewendete Kombi-Dialyseverfahren Prometheus gegenüber Eurotransplant als | |
Dialyse meldeten. In Münster hält sie die Einstufung des Mars-Verfahrens | |
als Dialyse unterdessen für einen „systematischen Richtlinienverstoß“. Am | |
Rechts der Isar in München, wo eine Patientin mit einer Albumindialyse | |
versorgt wurde, kommt die Kommission hingegen zu dem Schluss: „Die | |
Dialysemeldung kann in diesem Fall jedoch wegen nicht eindeutiger Regelung | |
in den Richtlinien selbst nicht als Richtlinienverstoß gewertet werden.“ | |
## Kommission stellt sich taub | |
Aufzuklären vermag die Kommission diese Widersprüche nicht. Stattdessen | |
empfiehlt sie, man möge ihren Bericht genauer lesen: „So ist zum Beispiel | |
das Prüfschema der Leberprüfungen jeweils in den Einzelberichten | |
dargestellt.“ Tatsächlich heißt es im Prüfbericht, dass „jedes | |
Transplantationszentrum nach einem von der Prüfungskommission und der | |
Überwachungskommission festgelegten Schema nach einheitlichen Kriterien | |
geprüft“ wurde. | |
Allein: Die Definition dieser „einheitlichen Kriterien“ lässt der Bericht | |
offen. Er gibt keine Auskunft darüber, welche Tatbestände erfüllt sein | |
mussten, damit die Kommission einen Vorfall als „Auffälligkeit“, als | |
„unbeabsichtigten Fehler“, als „Richtlinienverstoß“, als „systematis… | |
Richtlinienverstoß“, als „schwerwiegenden Richtlinienverstoß“, als | |
„bewusste Missachtung“, als „systematische Missachtung“, als „systema… | |
oder bewusste Falschangaben“ oder als „Manipulation“ einstufte. Dieser | |
Umstand, kritisiert auch der Gutachter Gutmann, macht es | |
Nichtkommissionsmitgliedern unmöglich, nachzuvollziehen, weshalb welches | |
Zentrum wie bewertet wurde. | |
Genau das aber wäre nötig. Denn gerade die Beurteilung der Dialysen gab bei | |
vielen Zentren offenbar den Ausschlag dafür, ob die festgestellten Verstöße | |
insgesamt als systematisch eingestuft wurden oder nicht. | |
## Welche Art der Dialyse? | |
Zum Hintergrund: Ursprünglich waren die Dialysepatienten deswegen ins | |
Visier der Prüfer geraten, weil sie eine Sonderstellung innehaben in dem | |
komplizierten Punktesystem zur Organvergabe. Der Grund: Wer so schwer | |
erkrankt ist, dass neben der Leber auch die Niere geschädigt ist, der rückt | |
auf der Warteliste sehr schnell nach oben – was die Aussicht auf eine | |
Transplantation erheblich steigert. | |
Manche Zentren nun – beispielsweise Leipzig – hatten viele ihrer Patienten | |
gegenüber der Organvergabestelle Eurotransplant zu Dialysepatienten | |
erklärt, obwohl diese nie eine Blutwäsche erhalten hatten. Auch in Münster | |
gab es eine Handvoll solcher Fälle. Die Prüfer wie das Zentrum selbst aber | |
schrieben diese Fälle eher ärztlicher Schludrigkeit und Ungenauigkeiten bei | |
der Dokumentation zu. So weit, so nachvollziehbar. | |
Daneben aber hatten die Ärzte in Münster bei einigen Patienten sogenannte | |
Mars-Dialysen durchgeführt. Und ausgerechnet diese – tatsächlich erfolgten | |
– Therapien und deren Deklaration als Dialysen geraten ihnen nun zum | |
Verhängnis: Sie sind paradoxerweise der Grund dafür, dass die Verstöße in | |
Münster als „systematische“ gewertet wurden. Warum? | |
## „Medizin ist keine exakte Wissenschaft“ | |
Mars-Dialysen sind – anders als klassische Nieren-Blutwäschen – | |
kombinierte, innovative Blutreinigungsverfahren, die sowohl die Leber als | |
auch die Niere von Giftstoffen befreien. Die Prüfungskommission indes | |
beanstandete sie aus drei Gründen. Erstens hätten Nieren-Dialysen bei den | |
infrage stehenden Patienten gar nicht angewendet werden müssen. Denn: Die | |
Laborwerte der Patienten seien, vereinfacht gesagt, gar nicht so schlecht | |
gewesen, als dass sie eine Dialyse gebraucht hätten. Zu diesem Urteil kam | |
die Kommission aufgrund im Nachhinein gesichteter Krankenakten – nach | |
Ansicht des Klinikums Münster unter Missachtung des Standes der | |
medizinischen Erkenntnisse auf diesem Gebiet. | |
Zweitens, so die Kommission, hätten die Mars-Dialysen gegenüber | |
Eurotransplant nie als Dialysen gemeldet werden dürfen. Als Dialysen | |
gemeldet werden dürften nur „Nierenersatzverfahren“. Die Mars-Dialysen aber | |
seien, drittens, keine Nierenersatzverfahren. Der Leiter der | |
Geschäftsstelle Transplantationsmedizin bei der Bundesärztekammer, | |
Claus-Dieter Middel, präzisierte gegenüber der taz: „Die Richtlinien für | |
die Wartelistenführung und die Organvermittlung zur Lebertransplantation | |
schließen die Mars-Therapie als […] Nierendialysetherapie aus, falls nicht | |
ein Nierenversagen vorliegt.“ | |
Doch auch diese Argumentation hält der Rechtsgutachter Thomas Gutmann für | |
„abwegig“. Zum einen habe die Organvergabestelle Eurotransplant über Jahre | |
die Meldung der Münsteraner Mars-Patienten als „Dialysepatienten“ | |
anstandslos akzeptiert – und das, obwohl Eurotransplant bei etwaiger | |
Nichtplausibilität der Daten eine Rechtspflicht zur Rücksprache mit der | |
Klinik gehabt hätte. | |
Zum anderen finde sich in den Richtlinien zur Lebertransplantation | |
keinerlei Angabe dazu, wann welche Dialyse für leberkranke Patienten | |
indiziert ist oder nicht indiziert ist. Aus gutem Grund: „Medizin ist keine | |
exakte Wissenschaft, jeder Patient ist unterschiedlich. Da ist es generell | |
schwer, im Nachhinein mit Bestimmtheit festlegen zu wollen, dass eine | |
Therapieoption unter mehreren möglichen völlig ausgeschlossen war“, erklärt | |
Andreas Kribben, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für | |
Nephrologie. | |
## Antworten bleibt die Kommission schuldig | |
Speziell für Menschen mit Erkrankungen an der Leber kommt nach Angaben des | |
Rostocker Universitätsprofessors Steffen Mitzner, Leiter der Abteilung für | |
Nierenkunde, hinzu: „Zur Frage nach dem am besten geeigneten | |
Nierenersatzverfahren gibt es keine kontrollierten Untersuchungen bei | |
Leberpatienten.“ | |
Die Richtlinie zur Organvermittlung unterscheidet überdies nicht zwischen | |
herkömmlichen Dialysen und der Albumindialyse, dem Mars- oder | |
Prometheus-Verfahren. An keiner Stelle schreibt sie fest, welche Sorte von | |
Dialyse als Nierenersatzverfahren gewertet werden dürfe und welche nicht. | |
Und schon gar nicht erwähnt sie, dass gegenüber Eurotransplant einzig | |
„Nierenersatzverfahren“ als Dialysen gemeldet werden dürften. Stattdessen | |
findet sich in der Richtlinie zu dem hoch komplexen Thema der Dialysen ein | |
einziger, dürrer Satz. Er lautet, dass „bei Dialysepatienten“ der | |
Kreatininwert, das ist ein Blutwert, der auf eine Nierenfunktionsstörung | |
hindeutet, automatisch „auf 4 mg/dl festgesetzt“ wird. Ein derart erhöhter | |
Wert soll, vereinfacht gesagt, die Dringlichkeit des Patienten abbilden. | |
Mehr steht dort nicht. | |
Warum wird dennoch seit September 2013 unverändert an der Argumentation | |
festgehalten, es handele sich um systematische Verstöße? Und wenn allein in | |
Münster so viele Unklarheiten bestehen, müssten dann nicht auch die | |
Prüfergebnisse an den anderen Zentren verifiziert werden? Die | |
Prüfungskommission bleibt Antworten hierauf schuldig. | |
Claus-Dieter Middel, Leiter der Geschäftsstelle Transplantationsmedizin bei | |
der Bundesärztekammer, teilt mit: „Zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der | |
Ergebnisse der Prüfungen der Lebertransplantationsprogramme fand am 18. und | |
19. November 2013 in Berlin eine Klausurtagung der Ständigen Kommission | |
Organtransplantation statt. In diesem Rahmen gab es u. a. einen fachlichen | |
Austausch mit Vertretern des Universitätsklinikums Münster. Die Ständige | |
Kommission Organtransplantation hat die Auffassung der Prüfungskommission | |
und der Überwachungskommission bestätigt.“ Dies ist nicht weiter | |
verwunderlich: Die personellen Überschneidungen zwischen der Ständigen | |
Kommission Organtransplantation, die die Richtlinien erlässt, und der | |
Prüfungskommission, die ihre Einhaltung kontrolliert, sind beachtlich. | |
## Inquisitorisches Auftreten | |
Der Ärztliche Direktor Norbert Roeder sagt: „Es war sicher eine schwierige | |
Aufgabe für die Kommission, unter Zeitdruck durch Öffentlichkeit und | |
Politik Ergebnisse zu erzielen. Dennoch hätten wir es begrüßt, wenn | |
insbesondere bei den Fällen, bei denen die unterschiedlichen Auslegungen | |
auf die unserer Meinung nach nicht eindeutigen Richtlinien zurückzuführen | |
sind, eine dokumentierte Fachdiskussion mit allen Beteiligten geführt | |
worden wäre.“ Doch danach sieht es auch künftig nicht aus. Die Kontrolleure | |
im Auftrag der Bundesärztekammer, der Krankenkassen und der | |
Krankenhausgesellschaft sind längst anderswo unterwegs: Derzeit prüfen sie | |
die Transplantationskliniken auf Unregelmäßigkeiten bei Herzen und Nieren. | |
Ein Arzt, der eine der zahlreichen Visitationen miterlebte, empörte sich | |
anschließend gegenüber der taz: „Die Inquisition war nichts dagegen. | |
Etliche Stunden auf dem ’heißen Stuhl‘. Die Richtlinien sind ein Witz. In | |
der aktuellen Situation kaum mit dem Leben vereinbar. Mal wieder wurden die | |
Kompetenzen der Prüfungskommission überschritten, und wir mussten uns vor | |
einer ehemaligen Richterin und einer Juristin für die medizinische | |
Indikation zu dieser oder jener medizinischen Maßnahme rechtfertigen. Das | |
war schon ein besonderes Erlebnis, zumal die Damen medizinisch völlig blank | |
waren.“ | |
Die Ergebnisse werden noch in diesem Jahr erwartet. Auch sie sollen der | |
Öffentlichkeit zur Kenntnis gegeben werden – als Prüfbericht. | |
26 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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