| # taz.de -- Anklage im Organskandal: Keine Vorteile, nur Risiken | |
| > Ein Chirurg soll Patienten Organe transplantiert haben, obwohl diese gar | |
| > nicht so lebensgefährlich erkrankt waren. Die Staatsanwaltschaft | |
| > Braunschweig erhebt Anklage. | |
| Bild: Schnell sollten Organe zum Patienten – am besten zu denen, die sie nöt… | |
| BERLIN taz | Der [1][Organskandal] an den Unikliniken Göttingen, | |
| Regensburg, München und Leipzig hat juristische Konsequenzen: Die | |
| Staatsanwaltschaft Braunschweig hat die erste Anklage erhoben gegen einen | |
| der mutmaßlich an den Manipulationen beteiligten Transplantationschirurgen. | |
| Sie wirft dem Mediziner aus Göttingen im Zusammenhang mit den Falschangaben | |
| zu Patienten, die auf eine lebensrettende Spenderleber warteten, versuchten | |
| Totschlag in elf Fällen sowie Körperverletzung mit Todesfolge in drei | |
| Fällen vor. | |
| Im Fall einer Verurteilung drohe dem Angeschuldigten eine Freiheitsstrafe | |
| nicht unter drei Jahren, teilte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch mit. | |
| Zudem komme die Verhängung eines Berufsverbots in Betracht. Der Prozess | |
| soll voraussichtlich im Herbst vor der Schwurgerichtskammer des | |
| Landgerichts Göttingen beginnen. | |
| Dem 46-jährigen Mediziner, der bereits seit Januar in Untersuchungshaft | |
| sitzt, wird vorgeworfen, in elf Fällen bei der Meldung von Patientendaten | |
| an die zentrale Vergabestelle von Spenderorganen „Eurotransplant“ bewusst | |
| wahrheitswidrig angegeben zu haben, dass bei diesen Patienten im Zeitraum | |
| von zwei Wochen vor der Meldung mindestens zweimal eine Dialyse | |
| durchgeführt werden musste. | |
| ## Alkoholabstinenz nicht eingehalten | |
| Fünf dieser Patienten, so die Anklage, seien Eurotransplant gemeldet | |
| worden, obwohl die nach den Richtlinien der Bundesärztekammer | |
| vorgeschriebene Alkoholabstinenz von sechs Monaten nicht eingehalten war. | |
| Zudem seien in drei dieser Fälle unzutreffende Blutwerte angegeben worden. | |
| Durch diese Falschangaben seien die Patienten auf der Warteliste für ein | |
| Spenderorgan so weit nach oben gerückt, dass ihnen innerhalb kürzester Zeit | |
| ein Spenderorgan zugewiesen und verpflanzt wurde. „Aufgrund der in | |
| Deutschland bestehenden Knappheit von Spenderorganen ist davon auszugehen, | |
| dass durch die unwahren Angaben des Angeschuldigten andere Patienten, die | |
| lebensbedrohlicher erkrankt waren als die von dem Angeschuldigten | |
| gemeldeten, kein Spenderorgan erhielten und möglicherweise aus diesem | |
| Grunde verstarben“, begründete die Staatsanwaltschaft ihre Anklage. | |
| Zumindest „billigend in Kauf genommen“ habe der Arzt diese Möglichkeit. | |
| Denn er habe schließlich nicht nur von der Organknappheit gewusst, sondern | |
| auch das „computergesteuerte System der Organvergabe“ gekannt, erklärte die | |
| Staatsanwaltschaft. Weil aber nicht mehr konkret zuzuordnen sei, welcher | |
| andere Patient aufgrund welcher Falschmeldung möglicherweise verstorben | |
| sei, werde dem Arzt lediglich versuchter und nicht vollendeter Totschlag | |
| zur Last gelegt. | |
| Ferner besteht nach Auffassung der Staatsanwaltschaft der „dringende | |
| Verdacht“, dass der Angeschuldigte drei weiteren Patienten Lebern | |
| transplantiert hat, die dem Göttinger Transplantationszentrum im Rahmen | |
| eines beschleunigten Verfahrens zugewiesen worden waren. | |
| ## Einwilligung unwirksam | |
| Diese Organe soll der Angeschuldigte den Patienten transplantiert haben, | |
| obwohl diese gar nicht so lebensgefährlich erkrankt waren, dass eine | |
| Organtransplantation erforderlich gewesen wäre. Zudem hätten medizinische | |
| Befunde vorgelegen, die gegen eine Transplantation gesprochen hätten. | |
| Dem Mediziner sei bewusst gewesen, dass die Transplantationen keinerlei | |
| gesundheitliche Vorteile, wohl aber Risiken für den Patienten beinhalteten. | |
| Die Patienten wiederum hätten zwar in die Operation eingewilligt, seien | |
| aber nicht darüber aufgeklärt worden, dass eine Transplantation nicht oder | |
| noch nicht erforderlich war. | |
| Deshalb müsse ihre Einwilligung in die Operation als nicht wirksam gewertet | |
| und die Operation als Körperverletzung angesehen werden. In diesen Fällen | |
| geht die Anklage von vorsätzlicher Körperverletzung aus. Die jeweilige | |
| Operation habe letztlich zum Tod der drei Patienten geführt, „dessen | |
| fahrlässige Herbeiführung dem Angeschuldigten angelastet wird“, so die | |
| Staatsanwaltschaft. | |
| Nicht bestätigt haben sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft dagegen die | |
| Vorwürfe der Bestechlichkeit und des Organhandels. Zu anderen etwaigen | |
| Motiven, die den Arzt zu den Manipulationen verleitet haben könnten – | |
| chirurgisches Renommee, ökonomischer Druck, finanzielle Anreize, Mitleid | |
| mit den Patienten, Allmachtsphantasien eines Arztes – äußern sich die | |
| Ankläger nicht. | |
| ## 21 weitere „Manipulationsfälle“ | |
| Eine Vielzahl weiterer Fälle, in denen zwar der Verdacht fortbestehe, dass | |
| der Chirurg weitere Straftaten im Zusammenhang mit Organtransplantationen | |
| begangen haben könnte, sei „mit Blick auf das Gewicht der übrigen | |
| angeklagten Vorwürfe“ vorläufig eingestellt worden, so die | |
| Staatsanwaltschaft. | |
| Es handele sich um weitere 21 so genannte „Manipulationsfälle“ und 7 so | |
| genannte „Indikationsfälle“. Bei letzteren sollen die jeweiligen Patienten | |
| eigentlich „zu krank“ gewesen sein, um sie operieren zu können. Gleichwohl | |
| wurden Operationen durchgeführt. | |
| Mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt wurde zudem das | |
| Ermittlungsverfahren gegen weitere Klinikangestellte wegen Mitwirkung an | |
| den Manipulationen. Eine „subjektive Kenntnis“ des manipulativen Vorgehens | |
| habe sich nicht nachweisen lassen, so die Staatsanwaltschaft. | |
| Von dem Verfahren gegen den einen Transplantationschirurgen abgetrennt | |
| wurden die Ermittlungen gegen vier weitere Mediziner der Uniklinik | |
| Göttingen, bei denen der Verdacht einer Beteiligung an den Manipulationen | |
| versuchten Tötungshandlungen fortbesteht. Das Ergebnis dieser Ermittlungen | |
| werde gesondert mitgeteilt. | |
| 19 Jun 2013 | |
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| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
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