| # taz.de -- Eurokolumne: Vom Segen niedriger Zinsen | |
| > Die Illusion, mit mutigem Geldanlegen hohe Renditen zu erzielen, ist | |
| > geplatzt. Für Sparer kann das eine neue Chance sein. | |
| Bild: Die Finanzkrise 2008 beendete die Illusion hoher Renditen. | |
| Das Wehklagen ist groß. Wer spart, bekommt kaum Zinsen auf sein Geld. | |
| Dagegen poltern seit Monaten der Sparkassenpräsident ebenso wie alle, die | |
| den Euro noch nie gut fanden und alle paar Monate Klagen vor dem | |
| Bundesverfassungsgericht einreichen. Die Schuldigen scheinen ausgemacht. | |
| Zumindest mangelt es nicht an bösen Vermutungen. Es sind die | |
| Euro-Notenbanker, Mario Draghi und seine Kollegen, die mit Billiggeld | |
| fahrlässig die Märkte fluten und den Finanzministern noch das | |
| Schuldenmachen erleichtern. | |
| Ein Vorwurf, gegen den sich die europäischen Währungshüter am Dienstag und | |
| Mittwoch dieser Woche erneut vor dem Verfassungsgericht wehren mussten. | |
| Ist die Sache wirklich so einfach? Will die Welt uns nur Böses? Vor lauter | |
| Schimpfen über niedrige Sparrenditen scheinen Ursache und Wirkung | |
| durcheinanderzugeraten. Womöglich sind die Niedrigsätze eher Symptom als | |
| Auslöser unserer Probleme. Es könnte sogar sein, dass die neue Zeit der | |
| krisenbedingt niedrigen Renditen zum Segen für uns alle wird, selbst für | |
| den Sparer in uns. | |
| Es ist ja nicht so, dass es nur in der Euro-Zone derzeit niedrige Zinsen | |
| gibt. Das ist fast weltweit so. Und es ist auch typisch für die Zeit nach | |
| dem Platzen einer Finanzblase. Das hat erst mal nichts mit den Notenbankern | |
| zu tun. | |
| ## Die Sparer müssen die Zeche früherer Exzesse zahlen | |
| Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird Sparern die Illusion vermittelt, sie | |
| könnten mit mutigem Geldanlegen 6, 8, ach was, Renditen in zweistelliger | |
| Prozenthöhe erzielen. Das kann auf Dauer nicht aufgehen, wenn die | |
| tatsächliche Wirtschaftsleistung nur um 3 oder 4 Prozent wächst. | |
| Genau diese Illusion ist nun geplatzt. Seitdem versuchen Privatleute, | |
| Banken und Regierungen verzweifelt, jene Schulden abzubauen, die sie zur | |
| Vermögensmehrung oft aufnahmen. Keine gute Zeit für Anleger, die ja | |
| jemanden brauchen, dem sie das Geld leihen, der sich also verschuldet. | |
| Ergebnis: Tiefzinsen. | |
| So betrachtet sind die Niedrigrenditen eine Art Quittung für illusorisch | |
| hohe Gewinne zuvor. Die Vermögenswerte müssen sich allmählich wieder | |
| normalen Verhältnissen nähern. Pech für heutige Sparer, die so die Zeche | |
| für vorige Partyexzesse zahlen müssen. Aber nicht wirklich zu ändern. | |
| Es wäre auch fahrlässig, wenn die Notenbanken dagegenhielten. Natürlich | |
| birgt billiges Geld die Gefahr, neue Spekulationen zu nähren. Also müssen | |
| wir achtsam sein. Alle Erfahrung mit früheren Finanzblasen lehrt aber, dass | |
| bei höheren Zinsen viel Schlimmeres droht. Dann fiele das nötige | |
| Entschulden noch schwerer, und dann würden die Unternehmen noch weniger in | |
| Maschinen, Büros und Personal investieren: Weil es teurer wäre, so etwas zu | |
| finanzieren. | |
| In den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat genau das zur großen | |
| Katastrophe geführt, wie man heute weiß: zu Pleiten, Massenarbeitslosigkeit | |
| und jahrelanger Depression. | |
| Das Gute ist, dass die Niedrigzinsen gleichsam einen Zeitenwandel | |
| beschleunigen und der Wirtschaft nach der Finanzillusion in eine solidere | |
| Ära verhelfen können. Über drei Jahrzehnte irrer Bankensause hinweg waren | |
| die Renditen auf Finanzanlagen so attraktiv, dass Investoren ihr Geld | |
| logischerweise lieber in das x-te Derivat steckten, als es einem | |
| Mittelständler oder Start-up zu geben, bei denen die Gewinnaussichten in | |
| der Regel schwächer und wackliger sind. Dieser Hang zur virtuellen Anlage | |
| hat uns im Laufe der Zeit eine Dominanz der Finanzwirtschaft beschert, die | |
| es etwa zu Wirtschaftswunder-Zeiten nicht gab – und die auch eher zulasten | |
| realwirtschaftlicher Wertschöpfung und Arbeitsplätze gegangen ist. | |
| Wenn das stimmt, bietet die neue Zeit eine Chance. Dann werden sich | |
| Konzerne wieder entscheiden, erwirtschaftete Gewinne in eine neue Fabrik zu | |
| stecken – statt in Wertpapiere, die weniger abwerfen. Da wird manche | |
| Investition im Vergleich wieder attraktiv erscheinen, deren Rendite vor | |
| Kurzem noch zu mickrig wirkte. | |
| Dann könnte sich bald der fatale Trend umkehren – und Banken sich wieder | |
| auf das konzentrieren, wofür sie da sind: denen Geld zu geben, die in die | |
| Zukunft investieren und Wohlstand sichern – statt Hochfrequenzhandel ohne | |
| erkennbaren Nutzen zu betreiben. Dann gäbe es dank neuer Dynamik auch für | |
| Sparer wieder solidere Erträge. | |
| 25 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Fricke | |
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