# taz.de -- Soziologe über Putins Regime: „Das ist die Rückkehr zur Diktatu… | |
> Ein russischer Oppositioneller muss fünf Jahre ins Straflager. Lew Gudkow | |
> sieht eine Verschärfung des Autoritarismus. Das Land sei nicht | |
> demokratisch, sagt er. | |
Bild: Polizisten in Moskau –„Wir sehen ein über alle Maßen korruptes Syst… | |
taz: Herr Gudkow, laut dem Ende 2012 in Russland eingeführten NGO-Gesetz | |
gelten auch Sie und Ihr Lewada-Institut als ausländische Agenten … | |
Lew Gudkow: Noch nicht. Wir haben nicht vor, uns registrieren zu lassen, | |
und werden uns keinesfalls dazu bekennen, ausländische Agenten zu sein. | |
Denn das ist beleidigend und entspricht auch nicht der Wahrheit. | |
Was könnte auf Sie zukommen, wenn Sie die Registrierung verweigern? | |
In letzter Konsequenz die Einleitung eines Strafverfahrens und die | |
Schließung der Organisation. | |
Es gab schon die Prozesse gegen die Punk-Band Pussy Riot, gegen den Blogger | |
Alexej Nawalny und gegen Teilnehmer des Protestes auf dem Moskauer | |
Bolotnaja-Platz im Mai 2012. Jetzt wird auch noch das Lewada-Institut | |
drangsaliert. Stellen diese umfassenden Repressionen eine neue Qualität | |
dar? | |
In der Tat würde ich von einer neuen Phase in der russischen Geschichte | |
sprechen. Die Repressionen sind eine Antwort des Regimes auf die Welle der | |
Proteste und die Unzufriedenheit im Land. | |
Was sagt das über den gegenwärtigen Zustand der Staatsmacht aus? | |
Wir haben es nicht nur mit einer Verschärfung des Autoritarismus zu tun, | |
sondern der Rückehr einer politischen Diktatur. Wir sehen ein über alle | |
Maßen korruptes System, das nur noch damit beschäftigt ist, sich selbst zu | |
verteidigen. Demokratische Institutionen, wie die Gewaltenteilung, wurden | |
über Bord geworfen. Nehmen Sie die Rechtsorgane. Diese werden von der | |
Staatsmacht benutzt, um Druck und Zwang auszuüben. Die Gerichte stempeln | |
nur noch die entsprechenden Entscheidungen der Staatsanwaltschaft ab. Sie | |
agieren völlig abhängig und prinzipienlos. Und das alles passiert, ohne auf | |
die Meinung der Menschen in Russland oder in Europa Rücksicht zu nehmen. | |
Wohin geht die Entwicklung in Russland? | |
In der nächsten Zeit wird sich die Entwicklung hin zu einer Diktatur noch | |
verstärken. Und diese Periode wird sehr schwierig werden. Doch das wird | |
nicht mehr allzu lange dauern. | |
Warum nicht? | |
Die Verstärkung der repressiven Politik und die Usurpation der Macht durch | |
Putin sind ein Anzeichen für die Schwäche des Regimes. Das alles zeugt von | |
Ineffektivität und der Unfähigkeit, Probleme zu lösen – wirtschaftliche, | |
soziale und politische. Das Land ist bereits jetzt stark gespalten – einer | |
liberaleren moderneren Bevölkerung, die in Großstädten lebt, steht die | |
konservative Provinz gegenüber. Hier herrscht Sowjetnostalgie vor, das | |
heißt die Erwartung, der Staat würde die Menschen unterstützen. Und eine | |
antireformerische Einstellung. | |
Laut den Trends, die wir festgestellt haben, wird diese Konstellation | |
spätestens in einigen Jahren zu wachsendem sozialem Druck und einer offenen | |
Konfrontation in der russischen Gesellschaft führen. Und ich glaube kaum, | |
dass das Putin’sche politische System das aushält. Schon jetzt wollen 55 | |
Prozent der Befragten, dass Putin zurücktritt, das heißt nicht mehr an den | |
Wahlen 2018 teilnimmt. | |
Wie sollte der Westen gegenüber Russland auftreten? | |
Mit diplomatischen Mitteln etwas bewirken zu wollen ist eine Politik, die | |
zu keinem Ergebnis führt. Der Kreml benutzt Politiker, die diese Position | |
vertreten, als nützliche Idioten. Es geht nicht um eine Konfrontation oder | |
um Sanktionen. Doch es geht darum, die Dinge beim Namen zu nennen, das | |
Regime Putins nicht als demokratisch zu bezeichnen. Es muss klar benannt | |
werden, dass Russland die europäischen Konventionen verletzt, die es | |
unterzeichnet hat. | |
Diese Verlautbarungen, dieses Simulieren einer Demokratie ist schädlich, | |
weil sie dieser Atmosphäre des Zynismus und des Unmoralischen Vorschub | |
leisten. Für die heutigen europäisch-russischen Beziehungen ist ein Defizit | |
an moralischer Klarheit charakteristisch. Es dominiert ein zynischer | |
Pragmatismus, Realpolitik eben. Kurzfristig mag das einige Vorteile | |
bringen, doch langfristig schadet das beiden Seiten. | |
18 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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