| # taz.de -- Gerichtsverfahren in Russland: Prozess um einen Toten | |
| > Der Rechtsanwalt Sergei Magnitski, der in der Haft ums Leben kam, wird | |
| > posthum schuldig gesprochen. Die Geschichte einer Justizposse. | |
| Bild: Ein Moskauer Gericht sprach den russischen Rechtsanwalt Sergei Magnitski … | |
| BERLIN taz | Premiere in Russland: Erstmals in der Geschichte des Landes | |
| ist einem Verstorbenen der Prozess gemacht worden. Am Donnerstag sprach ein | |
| Moskauer Gericht den russischen Rechtsanwalt Sergei Magnitski der | |
| Steuerhinterziehung für schuldig. | |
| Zuvor hatte der Staatsanwalt erklärt, von einer Bestrafung Magnitskis wegen | |
| dessen Ableben abzusehen und den Fall zu den Akten zu legen. Auch der | |
| frühere Chef Magnitskis, William Browder, wurde wegen desselben Vergehens | |
| verurteilt. Der US-Amerikaner mit britischer Staatsbürgerschaft und | |
| Eigentümer der Firma Hermitage Capital Management erhielt in Abwesenheit | |
| neun Jahre Lagerhaft. | |
| Im Juni 2007 hatten eine 20-köpfige Einheit des Innenministeriums unter dem | |
| Vorwurf der Steuerhinterziehung die Büros der Hermitage Capital Management | |
| durchsucht und dabei zahlreiche Unterlagen und Dokumente beschlagnahmt. | |
| Acht Monate später wurde gegen Browder ein Strafverfahren eröffnet. | |
| Im Juni und Oktober 2008 gab Magnitski als Browders Anwalt bei den Behörden | |
| zu Protokoll, dass die Polizisten des Innenministeriums die beschlagnahmten | |
| Dokumente Vertretern der organisierten Kriminalität übergeben hätten. | |
| Dieses hätten das Material dazu benutzt, um drei russische Tochterfirmen | |
| der Hermitage Capital Management zu übernehmen und die russische | |
| Staatskasse um 230 Millionen Dollar in Form von Steuerrückzahlungen an | |
| diese Firmen zu erleichtern. | |
| ## Anklage: Steuerhinterziehung und Beihilfe | |
| Kurze Zeit darauf wurde gegen Magnitski selbst ein Verfahren eröffnet. Die | |
| Anklage lautete auf Steuerhinterziehung und Beihilfe, die er William | |
| Browder geleistet haben soll. Am 24. November 2008 wurde der damals | |
| 36-jährige Magnitski verhaftet. Knapp ein Jahr später, am 16. November | |
| 2009, starb er unter ungeklärten Umständen in einem Moskauer Gefängnis in | |
| einer Isolationszelle. Wie aus persönlichen Beschwerdebriefen des schwer | |
| erkrankten Magnitski sowie einer Untersuchung des beim russischen | |
| Präsidenten angesiedelten Rats für Menschenrechte hervorgeht, wurde der | |
| Anwalt in der Untersuchungshaft schwer misshandelt. | |
| Zudem wurde ihm jegliche medizinische Hilfe verweigert. Bislang wurde | |
| keiner der Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen. Ein Gefängnisarzt, | |
| der angeklagt worden war, sich nicht ausreichend um Magnitski gekümmert zu | |
| haben, wurde im vergangenen Winter freigesprochen. | |
| Als Reaktion auf den Fall verabschiedete der US-Kongress den sogenannten | |
| „Magnitsky Act“, der am 14. Dezember 2012 in Kraft trat. Dieses Gesetz | |
| verbietet allen denjenigen Beamten, die mit dem Tod Magnitskis und weiteren | |
| Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden, die Einreise in | |
| die USA und friert ihre Konten ein. | |
| ## Verbot der Adoption russischer Waisenkinder | |
| Als Antwort auf den „Magnitsky Act“ unterzeichnete Russlands Präsident | |
| Wladimir Putin kurz darauf ein Gesetz, das US-Bürgern ab dem 1. Januar 2013 | |
| die Adoption russischer Waisenkinder untersagt. | |
| Das jetzige Verfahren gegen Magnitski, das 2011 auf Betreiben der | |
| russischen Staatsanwaltschaft wieder aufgenommen worden war, hat selbst | |
| gegen russische Gesetze verstoßen. Diesen zufolge kann ein Prozess gegen | |
| einen Verstorbenen nur dann durchgeführt werden, wenn dessen Angehörige | |
| dies wünschen. Im vorliegenden Fall jedoch hatte Magnitskis Familie eine | |
| Teilnahme an der Verhandlung abgelehnt, weil sie das Verfahren für rein | |
| politisch motiviert hält. „Der Prozess ist ein Versuch, den Tod von Sergei | |
| Magnitski zu rechtfertigen“, sagte der Anwalt der Witwe, Dmitri Charitonow. | |
| Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Scharrenberger (FDP) sagte, es | |
| sei „zynisch und menschenverachtend“, einen Toten zu verurteilen. Der | |
| Schuldspruch sei „ein weiterer Beleg für die Sowjetisierung Russlands“. | |
| 11 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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