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# taz.de -- Essay zur großen Koalition: Der österreichische Weg
> Die Konsensdemokratie im Süden zeigt, was große Koalitionen bringen: den
> Aufstieg zweifelhafter Figuren am Rande des politischen Spektrums.
Bild: Dazu führen große Koalitionen: Frank Stronach und Dieter Bohlen.
Das vor und nach der Wahl beliebteste Bündnis in Deutschland ist – so
zeigen es die Umfragen – wie schon öfter in der Vergangenheit die Große
Koalition zwischen Schwarz und Rot. Die meisten Wähler, harmonieverliebt,
erhoffen sich davon eine Spiegelung inhaltlicher Schnittmengen zwischen den
Volksparteien, die das Parteiensystem seit Beginn der 1950er Jahre
dominiert haben und in den 1970er Jahren über 90 Prozent der Wählerschaft
hinter sich bringen konnten.
Die großen sozialstaatlichen Reformen nach 1949 haben, effektiv, Union und
Sozialdemokratie gemeinsam initiiert. Beim Bündnis von 2005 bis 2009
erinnern sich viele gern an den Schulterschluss von Merkel und Steinbrück
bei der (rhetorischen) Abwehr der Finanzkrise.
Nun soll wieder die Große Krisenkoalition ran, obwohl beide Großparteien im
Wahlkampf penetrant (und wahrheitswidrig) die wirtschaftliche Gesundheit
des Landes herausgestrichen haben. Politik schrumpft auf permanentes
Krisenmanagement, gepaart mit Konsensnostalgie.
Die Geschicke der Republik Österreich sind in vieler, vor allem
wirtschaftlicher Hinsicht an die deutsche Entwicklung geknüpft. Deshalb
lohnt ein Blick auf den kommenden Sonntag, wenn sechseinhalb Millionen
Österreicher ihr neues Parlament wählen.
## Elefantenhochzeit in Gefahr
Österreich ist das Muster einer Konsens- und Proporzdemokratie, in der die
Große Koalition aus Sozialisten und Konservativen die meiste Zeit regierte.
Am Sonntag könnte dieses Standardmodell der Zweiten Republik auslaufen,
erstmals seit 1945 drohen beide Volksparteien so dezimiert zu werden, dass
es zur einer Elefantenhochzeit gar nicht mehr reicht.
Der österreichische Fall lehrt, wohin ein großkoalitionärer Dauerpakt führt
– zum Aufstieg gleich mehrerer Parteien am Rande des politischen Spektrums,
darunter einer der gehässigsten rechtspopulistischen Parteien in Europa,
der von Jörg Haider zur dritten Kraft beförderten Freiheitlichen (FPÖ).
Zur Erinnerung: Nach dem Krieg war die FPÖ das erklärte Sammelbecken von
Nationalsozialisten, SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky ließ sich 1970 von der FPÖ
dulden, ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel paktierte von 2000 bis 2006 mit der
Rechten, was halb Europa gegen die Alpenrepublik aufbrachte. Manche sahen
die alerten Haider-Buben schon zur zweiten Kraft aufsteigen, dabei war die
schwarz-blaue Koalition ein Ausbund an Selbstbereicherung und bürdete dem
Land eine schwere Schuldenlast auf.
Sympathischere Nutznießer der Implosion waren die österreichischen Grünen;
doch obwohl an Landesregierungen beider Couleur beteiligt, sind sie vom
Aufstieg zur dritten Kraft weit entfernt. Sie repräsentieren das moderne,
junge, gebildete, weltoffene, europafreundliche und nicht zuletzt weibliche
Österreich und konnten sich, anders als das (Links-)Liberale Forum
dauerhaft etablieren.
Neben dem smarten Haider und dem offen fremdenfeindlichen Strache hat das
marode gewordene politische System kuriose Einzelgänger hervorgebracht –
derzeit macht der egomane austrokanadische Milliardär Frank Stronach von
sich reden. Der ist kein ausdrücklicher Fremdenfeind, aber ein umso
entschiedenerer Gegner der EU und des Euro.
## Die Hauptkonfliktlinie heißt: Europa
Man bedenke also: FPÖ, das von Haider gegründete, jetzt am Boden liegende
Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), und das „Team Stronach“ versammeln
mindestens ein Viertel der österreichischen Wähler – darunter von der SPÖ
enttäuschte Arbeiter, beinharte Rechte, Euro-Grantler und eine Menge
politikverdrossener Protestwähler – zu einer breiten populistischen
Strömung, die nur wählen geht, um Rot-Schwarz abzuwählen und der EU zu
schaden.
In Deutschland hatte eine starke nationalpopulistische Rechte bisher
außerhalb von Landesparlamenten keine Chance, doch Große Koalitionen haben
sie begünstigt. Die erste Große Koalition von 1966 bis 1969 stärkte die
NPD, die Neuauflage zwischen 2005 und 2009 konsolidierte das seit der
Vereinigung 1990 bestehende 5-Parteien-System. 2009 konnten Union und SPD
gemeinsam nur noch 56 Prozent hinter sich bringen.
Am Sonntag waren es 10 Prozent mehr, dafür rüttelt mit der Alternative für
Deutschland (AfD) nun eine Formation an den Türen des Bundestages, die
nicht direkt fremdenfeindlich auftritt wie Nazis, Republikaner und „Pro
Deutschland“, dafür aber massiv antieuropäisch. Europa war die kaum direkt
thematisierte Hauptkonfliktlinie des Bundestagswahlkampfs, was im Blick auf
die Europawahlen im nächsten Jahr zu denken gibt.
Eine Große Koalition würde das Auseinanderdriften des deutschen
Parteiensystems beschleunigen. Alleinregierungen, von der die Union im Bund
und in Hessen einen Moment träumen durfte, sind kaum noch möglich – ebenso
wenig „Traumbündnisse“ wie Rot-Grün oder Schwarz-Gelb. Für diese Allianz…
wird es wohl auch künftig nicht mehr reichen, und ungewöhnliche
Konstellationen gelten weiterhin als nicht tragfähig.
## Elitenbündnis verteidigt Besitzstände
Große Koalitionen sind relativ geschlossene Elitenbündnisse, die in der
Föderalismusfalle – vor allem bei gegnerischen Mehrheiten im Bundesrat –
rasch an Statur verlieren. Das Entstehen neuer Kleinparteien wird
begünstigt, dem Parteiensystem zwingen die Großen Koalitionen so eine
riskante und unübersichtliche Fragmentierung auf.
Große Koalitionen verteidigen Besitzstände und greifen damit auf die
Lebenschancen künftiger Generationen zu; die Fokussierung von Merkel und
Steinbrück auf Renten und Löhne geben einen Vorgeschmack auf die
Status-quo-Fixiertheit der anvisierten Elefantenhochzeit.
Eine Große Koalition täte nicht einmal der siegreichen Union gut. Mögen
CDU/CSU als strukturelle Mehrheitspartei wie der sichere Gewinner gelten,
könnte der Kollateralschaden einer Großen Koalition die Zerlegung nun auch
der Union sein – in einen konservativ-nationalen und europaskeptischen
Teil, in ein wirtschaftsliberales Becken für die Überreste der FDP und eine
schmaler gewordene christlich-soziale Mitte. Manche spekulieren, Rot-Grün
könne sich bis 2017 regenerieren – die SPD am Kabinettstisch, die Grünen in
der Opposition.
Ob die Sozialdemokratie, wie in den späten 1960er Jahren unter Kiesinger
und Brandt, aus der Großen Koalition eine Machtperspektive für später
entwickeln kann, ist jedoch äußerst zweifelhaft. Von der Dreispaltung der
Linken hat bislang keine Partei profitiert, die virtuell hauchdünne
Mehrheit links von der Union lässt sich im Spagat von SPD, Grünen und
Linken nicht realisieren. Ob man in Hessen mit einem Links-Bündnis einen
neuen Anfang wagen könnte, ist fraglich.
## Die Gestaltungsmehrheit bietet nur Schwarz-Grün
So bleibe ich bei meinem Ceterum censeo: Schwarz-Grün, die am wenigsten
beliebte und allseits für unmöglich erklärte Option, bietet die aktuelle
Gestaltungsmehrheit – selbst angesichts der dafür ungünstigen Konstellation
im Bundesrat.
Eine Bundeskanzlerin, die von sich behauptet hat, nicht allein den
Machterhalt, sondern die Geschicke des Landes im Auge zu haben, muss diese
Chance ernsthaft in Betracht ziehen. Und eine grüne Partei, die sich von
der Illusion einer rot-grünen Mehrheit verabschieden möchte, ebenfalls. Der
sich abzeichnende Generationenwechsel bei den Grünen – und möglicherweise
auch bei der Union – kann dem nur förderlich sein.
Dreißig Tage hat der Bundestag Zeit sich zu konstituieren, eine
Regierungsbildung kann länger dauern. Diese Phase muss für intensives und
vorbehaltloses Nachdenken genutzt werden, das im Wahlkampf ausblieb. Dabei
kann man von Österreich lernen: Autobahn-Maut entrichten dort auch
Inländer.
27 Sep 2013
## AUTOREN
Claus Leggewie
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