# taz.de -- Debatte Iran: Sehnsucht nach Coca-Cola | |
> Teherans diplomatische Offensive ist eine Chance auf Versöhnung mit den | |
> USA. Im Atomstreit aber bleibt Irans Haltung unverändert. | |
Bild: Bringt sein Versöhnungskurs Hassan Rohani jetzt schon ins Schwitzen? | |
Die Aufregung in Teheran war groß: In dem verlassenen und verfallenen | |
Gebäude der ehemaligen US-Botschaft wurde gewerkelt und renoviert. Der | |
Reformer Mohammed Chatami war an der Macht, die Kopftücher rutschten | |
überall nach hinten, die Hoffnung auf Veränderung wuchs. Das war vor 13 | |
Jahren. | |
Mehr als zwei Jahrzehnte nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen | |
rechnete man mit einer Versöhnung. Die amerikanischen Unternehmen | |
bereiteten sich auf eine Rückkehr vor. Die deutschen Wirtschaftsvertreter | |
klagten sogar schon über die Konkurrenz aus den USA, die ihnen bald die | |
glänzenden Geschäfte im Iran versauen würde. Es herrschte Aufbruchstimmung | |
und Sehnsucht nach Coca-Cola. | |
Doch stattdessen trat das genaue Gegenteil ein. Chatamis Annäherung an den | |
Westen wurde permanent torpediert von den Hardlinern rund um den obersten | |
geistlichen Führer. Die Beziehungen zu den USA wurden zum Spielball im | |
Machtkampf zwischen Reformern und Erzkonservativen. | |
Und dann kam 2003 auch noch heraus, dass der Iran beim Atomprogramm die | |
internationale Gemeinschaft belogen und betrogen hatte. Direkte Gespräche | |
zwischen den USA und Iran? Undenkbar! Sogar bei einer wichtigen | |
Afghanistan-Konferenz konnten „der große Satan“ und der „Schurkenstaat�… | |
kaum in einem Raum aushalten. Die Beziehungen im Kalten Krieg waren fast | |
schon herzlich im Vergleich. | |
## Die Rolle Chameneis | |
Doch bei der jüngsten Charmeoffensive des neuen iranischen Präsidenten ist | |
vieles anders. Mit Hassan Rohani hat nicht nur wieder ein moderater | |
Politiker die Regierung übernommen. Erstmals steht zudem der geistliche | |
Führer und eigentliche Staatschef selbst, Ali Chamenei, hinter dem | |
Präsidenten bei seinem Versuch, sich den USA anzunähern und eine | |
diplomatische Lösung für den brandgefährlichen Atomkonflikt zu suchen. | |
Gleichzeitig ist Obama in seiner zweiten Amtszeit. Er muss keine Rücksicht | |
mehr nehmen und will ein Vermächtnis hinterlassen. Diese Konstellation | |
eröffnet eine historische Chance auf Versöhnung – zum ersten Mal seit | |
vielen Jahren. | |
Die Hoffnung auf eine Annäherung ist im Iran ungebrochen. Als Obama | |
Präsident wurde, schrieben viele seinen Namen auf Persisch nicht in einem | |
Wort, sondern in einzelnen Silben: u ba ma – er mit uns. Entgegen der | |
offiziellen Politik ist die Bevölkerung in keinem anderem Land der Region | |
so amerikafreundlich wie im Iran. Die Iraner wollen nicht länger isoliert | |
sein. | |
Umgekehrt ist eine Eskalation des Konflikts mit dem Iran und seinem | |
Atomprogramm das Letzte, was der Westen jetzt noch brauchen könnte. Der | |
Iran ist zwar eine religiöse Diktatur mit ein paar demokratischen | |
Elementen, aber das Land ist auch einer der wenigen Ruhepole in der Region. | |
## Ruhepol Iran | |
Der östliche Nachbar Afghanistan ist so unruhig und von den Taliban bedroht | |
wie vor dem Einmarsch der internationalen Truppen. Der westliche Nachbar | |
Irak quält sich von einer Anschlagserie zur nächsten. Das südöstliche | |
Pakistan ist ein scheiternder Staat. Im Libanon, wo der Iran die | |
radikalislamische Schiitenmiliz Hisbollah unterstützt, droht der | |
Bürgerkrieg zurückzukehren. Und der Verbündete Syrien ist bereits | |
implodiert. | |
Selbst wenn es zu einer historischen Versöhnung mit den USA nicht kommt, | |
lohnt sich eine Annäherung allein schon deshalb, weil Iran neben Russland | |
wichtigster Verbündeter des syrischen Regimes ist. Schon vergangene Woche | |
distanzierte sich Teheran von Damaskus sachte. Man könne auch ohne Assad | |
leben, signalisierte Teheran. Der Einsatz von Sarin gegen die eigene | |
Bevölkerung hat viele entsetzt. Die Iraner sind noch heute traumatisiert | |
von dem Giftgas, das Saddam Hussein gegen sie verwandte. | |
Iran ist bisher eine Regionalmacht, die negativen Einfluss in der gesamten | |
Nachbarschaft ausübt, von Gaza bis Syrien. Es wäre schon viel gewonnen für | |
die Stabilität, wenn dieser Einfluss sich verringern würde und eine | |
punktuelle Zusammenarbeit möglich wäre – etwa bei Afghanistan. | |
Die größten Hoffnungen des Westens richten sich allerdings darauf, was | |
Amerika und Europa selbst am meisten betrifft: den Atomkonflikt. Tagelang | |
berichten die Nachrichtenagenturen und viele andere Medien über eine | |
Neuigkeit, die keine ist: Rohani versicherte, der Iran strebe keine | |
Atomwaffen an und sei zu zeitlich limitierten Verhandlungen bereit. Genau | |
das hat auch sein krawalliger Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad immer wieder | |
gesagt. Chamenei hat sogar eine Fatwa verfasst, in der er | |
Massenvernichtungswaffen verurteilt. Nur geglaubt hat es niemand. | |
## Israel zu Recht skeptisch | |
Man kann Israel nicht verdenken, dass es bei solchen Nicht-News skeptisch | |
bleibt, zumal auch bei Rohani eine klare Anerkennung der Singularität des | |
Holocaust ausgeblieben ist. Chamenei selbst vergleicht den Versuch, auf die | |
USA zuzugehen, mit dem taktischen Nachgeben eines Ringers. Aber würde der | |
Ringer seinen Gegner nicht bei nächster Gelegenheit flachlegen? | |
Kurzum: Iran bleibt auch unter Rohani eine islamische Republik. Er gehört | |
zum System. Am grundsätzlichen Kurs in der Atompolitik wird sich nicht viel | |
ändern – außer dem Ton. Unerheblich ist das nicht, denn vor allem an | |
gegenseitigem Vertrauen und Transparenz hat es bisher gefehlt. | |
Die Sanktionen allein werden zu nichts führen. Trotz der rigiden | |
Strafmaßnahmen hat der Iran in den vergangenen zehn Jahren sein | |
Atomprogramm weiter ausgebaut. Deshalb braucht der Westen jetzt trotz | |
Rohani ein neues Konzept und neue Ideen. Wer nicht bombardieren will, wird | |
in einem gewissen Umfang das iranische Atomprogramm akzeptieren müssen. Und | |
auch Chamenei und seine fundamentalistische Gefolgschaft wissen, dass sie | |
ihre Macht gefährden, wenn sie so weitermachen wie bisher. | |
Vertrauen und ein vernünftiges Maß an Versöhnung mit den USA – etwa die | |
Aufnahme diplomatischer Beziehungen – können Iran mäßigen. Nach 34 Jahren | |
Eiszeit ist schon ein erster Händedruck ein großer Schritt und eine Chance | |
für einen Neuanfang. Es kann ohnehin nur besser werden. | |
27 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Silke Mertins | |
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