Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sondieren, aber richtig: Wer zuerst zuckt, hat verloren
> Union und SPD schauen, ob eine große Koalition nochmal klappen könnte.
> Die taz liefert die Gebrauchsanleitung für den Koalitionspoker.
Bild: Willst du mit mir gehen? Ja. Nein. Weiß nicht.
##
Sie haben die Wahl vergeigt und ihr Verhandlungspartner könnte Sie roh zum
Frühstück verspeisen? Egal. Was Sie jetzt auf jeden Fall verbergen müssen,
ist Ihre panische Angst. Deshalb lieber einmal mehr als zu wenig behaupten,
sie hätten keine.
So wie SPD-Chef Sigmar Gabriel nach dem Parteikonvent: „Wir haben keine
Angst vor Neuwahlen.“ Oder NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: „Wir
haben keine Angst vor einer Großen Koalition. Wir haben aber auch keine
Angst vor Schwarz-Grün oder Neuwahlen.“ Oder, na klar, Andrea Nahles: „Wir
haben überhaupt keine Angst.“
Wäre ja auch Quatsch. Nicht mal die CDU, die befürchten muss, trotz
Wahlsiegs keine Regierung hinzukriegen, hat Angst. Behauptet jedenfalls
deren Generalsekretär Hermann Gröhe. Sollte es nämlich am Ende auf
Neuwahlen hinauslaufen, „bräuchten wir nach dem Wahlergebnis für die Union
keine Angst davor zu haben“. Na dann. Einfach immer wieder laut
aussprechen. Dann lässt auch das Zittern der Stimme nach.
##
Die Basis macht Ihnen die Hölle heiß, weil Sie sich anschicken, mit dem
politischen Gegner ins Bett zu gehen? Ruhig Blut! Spielen Sie auf Zeit und
schlagen Sie so zwei Fliegen mit einer Klappe. Geben Sie den Beitrag
zahlenden Mitgliedern das Gefühl, sie hätten Mitspracherecht. Und dass ihr
endloses Gemecker auch noch Einfluss auf die Verhandlungsinhalte hätte.
Zugleich vermeiden Sie gegenüber Ihrem Sondierungspartner den Eindruck, es
eilig zu haben. Immer wenn es konkret zu werden droht – Sie sich also
inhaltlich festlegen müssten –, blättern Sie im Kalender und sagen, Sie
könnten warten, bis der andere endlich schlauer geworden ist.
Vorbildlich dabei: SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Die hat schon mal
angekündigt, mit dem Votum ihrer Genossen zum Koalitionsvertrag sei
möglicherweise erst nach dem Parteitag Mitte November zu rechnen, „wir
landen vielleicht im Dezember oder Januar“. So was hat Stil. Ist doch egal,
dass dieses Land in Zeiten von Eurokrise und Syrienkonflikt nicht regiert
wird. Einfach mal runterkommen, ja?!
##
Klar, Sie hätten schon Lust, am Kabinettstisch Platz zu nehmen. Da passt es
gut, dass Sie zur Gruppe der UnterhändlerInnen gehören. So sieht jeder, wie
sehr Ihnen Ihre Partei am Herzen liegt und wie herausragend zugleich Ihre
Stellung in ihr ist. Gleichwohl wollen die Wählerinnen und Wähler nicht mit
ansehen müssen, wie Sie dem politischen Gegner um den Hals fallen. Deshalb:
streng inhaltistisch auftreten!
Setzen Sie Ihre ernsteste Miene auf und wiederholen Sie ein ums andere Mal,
wie wichtig Ihnen die Inhalte Ihres gescheiterten Wahlprogramms sind. Also
so wie Sigmar Gabriel. „Unsere Leitlinien sind die Inhalte
sozialdemokratischer Politik“, verkündete er nach dem Okay der Basis,
überhaupt mal mit Merkel reden zu dürfen. Schleswig-Holsteins
SPD-Landeschef Ralf Stegner bringt es prägnant auf den Punkt: „Der SPD geht
es um Inhalte und nicht um Posten.“
Das ist zwar nur die halbe Wahrheit. Aber wer möchte in Deutschland schon
zugeben, dass es ihm oder ihr auch um die Karriere geht? Pfui! Bei der FDP
konnte man ja gerade erst miterleben, wohin derlei führt.
##
Wahlbetrug – das klingt natürlich unfein. Einige mögen an ukrainische
Verhältnisse denken oder an historische Lügengestalten. Dabei geht es
letztlich doch nur um längst durchkalkulierte Kompromisse, die noch in
jeden Koalitionsvertrag hineinverhandelt wurden. Kein Regierungsbündnis
kommt ohne solche Deals zustande.
Ebendeshalb kann die Frage, wie eine Einigung zustande kommt, entscheidend
sein. Die Union hat Steuererhöhungen im Wahlkampf ausgeschlossen? Kein
Ding. Hauptsache, sie steht nach den Verhandlungen zweifelsfrei als Opfer
der Umstände da. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe macht also gerade alles
richtig, wenn er trotz gegenteiliger Signale aus der eigenen Partei
weiterhin behauptet, „dass es mit uns keine Steuererhöhungen geben wird“.
Und auch CSU-Chef Horst Seehofer sollte ruhig noch ein paar Mal beherzt
sein „Wort“ auf den aktuellen Spitzensteuersatz geben. Nur so können CDU
und CSU in ein paar Wochen, wenn die Steuererhöhungen beschlossene Sache
sein werden, die Schuld für diese unbeliebte Entscheidung glaubhaft allein
dem neuen Koalitionspartner zuschieben.
##
Den meisten Spaß machen Niederlagen, die gar keine sind. Jeder clevere
Unterhändler muss deshalb von Anfang an Nebenkriegsschauplätze schaffen –
und Forderungen ins Rennen schicken, die später weitgehend schmerzfrei
preisgegeben werden können. Nur so rettet man die Kernanliegen.
Liebe Unionsfrauen, bitte unbedingt kämpferisch bleiben und weiter die
Mütterrente fordern, auch wenn längst bekannt ist, dass es dafür kein
Finanzierungskonzept gibt. Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten,
selbst wenn es sinnlos erscheint – der Protest gegen das Betreuungsgeld ist
wichtig, gerade weil die CSU bei diesem für sie symbolischen Thema keinen
Rückzieher machen wird. Denn: Nur wer ordentlich blufft, sichert
verlässlich die wirklich wichtigen Verhandlungspunkte ab.
##
Die Chef-Sozis schielen längst nach den größten Ministerien? Die
Grünen-Spitze hat nach acht Jahren in der Opposition wieder Bock auf Macht?
Quatsch. In der Bannmeile rund um den Reichstag hat natürlich seit dem 22.
September niemand mehr ernsthaft vor, einen Koalitionsvertrag zu
unterzeichnen.
Er sei „nicht sehr optimistisch“, dass bei den Gesprächen mit der Union
etwas herauskomme, gab der designierte Grünen-Sondierer Jürgen Trittin
vorab bekannt. Oder, noch schöner, der Fraktionschef der SPD im
nordrhein-westfälischen Landtag, Norbert Römer: „In der
nordrhein-westfälischen SPD gibt es überhaupt niemanden, der die Große
Koalition will. Wir streben sie nicht an, und am Ende wird es sie nicht
geben.“
Aber klar doch. Soll „Mutti“ Merkel erst mal schön bitte, bitte sagen. Und
falls am Ende das Geschäft platzt, hat es ganz einfach von Anfang an
niemand wirklich gewollt.
##
Das Spiel läuft wie bei Revolverhelden in einem Westernfilm. Wer zuerst mit
der Wimper zuckt, ist ein Weichei. Trotzdem muss man, wenn es darauf
ankommt, am schnellsten losballern können. Kompliziert also. Merkel ist
eine Meisterin dieses Fachs, sie hat das Prinzip perfektioniert, den Gegner
durch schlichtes Nichtstun nervlich zu zerrütten. Auch jetzt wartet sie
eiskalt ab, während ihre Truppen Chaos stiften.
Steuererhöhungen? Ja (Schäuble)! Nein (Gröhe)! Schwarz-Grün? Unmöglich
(Seehofer)! Aber gerne (Laschet)! Doch auch ihre Kontrahenten wissen, wie
das Spiel läuft. Doppelverhandlungen dürfe es nicht geben, Merkel müsse
sich entscheiden, tönen SPD und Grüne. Und Sigmar Gabriel ließ das
entscheidende Motto sogar offiziell von einem Parteikonvent aufschreiben.
„Der Ball liegt im Feld von Kanzlerin Angela Merkel.“ Mal sehen.
## !
Äh, Herr Gabriel? Rennt man beim Fußball dem Ball nicht hinterher, um ein
Tor zu schießen? Müsste man sich also nicht gerade dann bewegen, wenn der
Ball im Feld von Merkel liegt? Egal. Vor Sondierungen zählt nur eins:
Wichtig ist auf’m Platz. Das breite Publikum muss denken, Sie wüssten
Bescheid. Nicht nur über Fußball, sondern über alles.
##
Natüüürlich! Aber sicher doch! Sigmar Gabriel hat den Mitgliederentscheid
über die Große Koalition nur deshalb vorgeschlagen, weil die Basis über die
Regierungsbeteiligung entscheiden soll. Echt jetzt. Gabriel +
Basisdemokratie = True Love.
Wer jetzt böswillig vermutet, dass die Parteibasis nach monatelangen,
quälenden Koalitionsverhandlungen, nach riesigen Zugeständnissen von
Merkel, nach Blut-Schweiß-und-Tränen-Reden ihres Vorsitzenden, natürlich
niemals eine Große Koalition ablehnen könnte, der liegt komplett falsch.
Niemand hat die Absicht, sich per Mitgliedervotum die Vizekanzlerschaft zu
sichern. Wirklich niemand.
4 Oct 2013
## AUTOREN
Astrid Geisler
Anja Maier
Ulrich Schulte
## TAGS
Schwarz-rote Koalition
SPD
CDU
Sondierungsgespräche
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Menschen
Regierung
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Steuerpolitik
Schwarz-rote Koalition
Sondierung
Mitgliederversammlung
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwarz-rote Koalition
Steuererhöhung
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sondierung Schwarz-Grün: Die Kapuzenpulli-Union
In Berlin-Prenzlauer Berg wirbt CDU-Politiker Lars Zimmermann erfolgreich
um alternative Wählergruppen. Nische oder Trend? Eine Spurensuche.
Sondierungstreffen zur Koalition: Nach allen Seiten offen
CDU/CSU und SPD haben sich zu Sondierungsgesprächen getroffen. Die
Entscheidung über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen soll nächste
Woche fallen.
Auf in die Sondierungsgespräche: Restrisiko Schwarz-Grün
Niemand hat die Absicht zu regieren. Vor dem Gespräch mit Merkel beteuern
die Grünen, wie skeptisch sie sind. Doch es gibt sie, eine kleine Chance.
Pro und Contra Schwarz-Grün: Ist die Zeit reif?
Ist ein Bündnis mit der Union für die Grünen politischer Selbstmord? Oder
ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür?
Union und Grüne vor Sondierung: Näher gerückt
Schwarz-Grün hätte historische Dimensionen. Doch wie nah sind sich beide
Parteien in den zentralen Politikfeldern wirklich? Ein Faktencheck.
Sondierung von Union und SPD: Steuererhöhungen nicht so wichtig
SPD-Chef Gabriel schleift ein Hindernis für die Große Koalition: Erhöhungen
seien kein Selbstzweck. Auch die CDU sendet versöhnliche Signale.
Sondierungsgespräche Union und SPD: Nochmal drüber reden
Union und SPD haben eine weitere Sondierungsrunde vereinbart, ein Termin
steht bereits fest. Vorher aber wollen CDU und CSU erst noch mit den Grünen
reden.
Kommentar SPD und ihre Basis: Angst vor Genosse August
Alle SPD-Mitglieder sollen über Schwarz-Rot abstimmen. Ein Akt der
Demokratie? Eher sieht es so aus, also ob sich die Führung aus der
Verantwortung stiehlt.
Koalitionspoker nach der Wahl: Grüne schwärzen sich ein bisschen an
Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD stehen kurz bevor, da senden
die Grünen Signale der Annäherung an die Union aus. Gauck empfängt weiter
ParteichefInnen.
Schwarz-grüne Sondierungen geplant: Merkel lädt die Grünen ein
Jetzt will die Kanzlerin auch mit den Grünen reden. Die Grünen wollen auch
– aber nicht parallel zu Sondierungen mit der SPD: Man will nicht „die
Preise drücken“.
Große Sondierungsgespräche: Es wird gesprochen
Am Freitag treffen sich Union und SPD, um darüber zu sprechen, ob man über
ein Koalition spricht. Während Team SPD steht, muss die Union noch
nominieren.
Streitpunkt Steuererhöhungen: Money, money, money
Steuerschraube, Gutverdiener, gute Gründe: Im schwarz-roten
Koalitionsgeplänkel werden Phrasen zu möglichen Steuererhöhungen
mannigfaltig ausgetauscht.
SPD-Parteikonvent hat entschieden: Sozis werden mit Union verhandeln
Steinbrück ist Geschichte und Gespräche mit der CDU sind die Zukunft. So
will es die SPD. Ein Koalitionsvertrag soll von der Basis abgesegnet
werden. Seehofer findet das blöd.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.