# taz.de -- Union und Grüne vor Sondierung: Näher gerückt | |
> Schwarz-Grün hätte historische Dimensionen. Doch wie nah sind sich beide | |
> Parteien in den zentralen Politikfeldern wirklich? Ein Faktencheck. | |
Bild: Man kennt sich: Merkel, Künast, Göring-Eckardt | |
BERLIN taz | Bisher gibt es diese Konstellation nur auf kommunaler Ebene. | |
Ein Testlauf im Land Hamburg zerbrach 2010 vorzeitig, auch deshalb, weil | |
ein Volksbegehren das zentrale Projekt einer Schulreform verhinderte. | |
Und wie steht es mit Schwarz-Grün im Bund? | |
Klar ist: Bei vielen Themen sind im Jahr 2013 die unüberbrückbaren Gräben | |
verschwunden. Doch Differenzen bleiben. Ein Überblick über die wichtigsten | |
Punkte vor den Sondierungsgesprächen am Donnerstag. | |
## Energie | |
Union: Im Wahlkampf haben CDU und CSU versprochen, die Energiewende | |
fortzusetzen, aber die Kosten dafür deutlich zu reduzieren. Wie das | |
passieren soll, blieb offen. Der Wirtschaftsflügel fordert einen radikalen | |
Stopp des bisherigen Fördersystems für Ökostrom; Umweltminister Peter | |
Altmaier plädiert hingegen für ein behutsames Weiterentwickeln. | |
Grüne: Angesichts ihrer neuen "Back to the Roots"-Strategie hat die | |
Energiewende für die Grünen höchste Priorität. Sie wollen das Tempo des | |
Ausbaus der Erneuerbaren halten. Stromkunden sollen vor allem durch weniger | |
Ausnahmen der Industrie von der Ökostromumlage und durch eine stärkere | |
Aufsicht über die Stromkonzerne entlastet werden. | |
Fazit: Trotz aller rhetorischen Scharmützel im Wahlkampf: Am Energiethema | |
würde eine schwarz-grüne Koalition nicht scheitern. Die Grünen dürften im | |
Umweltministerium Druck machen, die Union würde im Wirtschaftsministerium | |
ein bisschen bremsen. Gut fürs Klima: Anders als in einer großen Koalition | |
hätte die Kohleindustrie keine starke Lobby mehr in der Regierung. | |
## Europa | |
Union: CDU und CSU ergehen sich in ihrem Wahlprogramm vor allem in | |
Selbstlob. Es sei genau richtig gewesen, dass Kanzlerin Merkel den | |
europäischen Krisenländern einen rigiden Sparkurs verordnet hätte. | |
Allerdings will man die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den Südländern | |
bekämpfen - ohne jedoch zu erwähnen, wie dies bezahlt werden soll. | |
Grüne: Sie kritisieren Merkels Sparpolitik und fordern stattdessen unter | |
anderem eine europaweite Steuerharmonisierung, Eurobonds, einen | |
europäischen Schuldentilgungspakt, ein geordnetes Verfahren für die | |
Staatsinsolvenz, den Abbau der deutschen Exportüberschüsse und die Stärkung | |
der deutschen Binnenkonjunktur durch Mindestlöhne. | |
Fazit: Obwohl die europapolitischen Ansichten weit auseinanderliegen, | |
würden sie eine Koalition nicht behindern. Bisher haben die Grünen allen | |
Rettungspaketen der schwarz-gelben Regierung zugestimmt. Zudem wissen die | |
Grünen, wie die große Mehrheit der Deutschen tickt: Die meisten Wähler | |
wollen, dass die Regierung immer nur das Nötigste tut, um den Euro zu | |
retten. | |
## Landwirtschaft | |
Union: CDU/CSU wollen, dass die Bauern weiter insgesamt fünf Milliarden | |
Euro jährlich EU-Subventionen für ihr Land bekommen - egal, ob sie darauf | |
umweltfreundlich wirtschaften oder nicht. Der Staat solle helfen, | |
Exportmärkte für Agrarprodukte zu erschließen. Den Tierschutz möchten | |
CDU/CSU durch Förderung neuer Ställe verbessern. | |
Grüne: Sie wollen, wie von der EU erlaubt, 15 Prozent der bisher nach der | |
Fläche berechneten Direktzahlungen an Bauern nur dann ausschütten, wenn | |
diese etwa auf Ökolandbau umstellen, mehr für den Tierschutz tun oder | |
Hecken anlegen. Die Grünen fordern ein Verbot, Tieren die Schnäbel oder | |
Schwänze zu kürzen, um sie den Ställen anzupassen. | |
Fazit: Bei der Agrarpolitik liegen Union und Grüne meilenweit auseinander. | |
Dahinter stehen unterschiedliche Modelle von Landwirtschaft: Die Union | |
setzt sich für eine „moderne“ Landwirtschaft ein, die mithilfe von | |
Chemikalien weltweit „wettbewerbsfähig“ sein will. Die Grünen treten | |
stärker für eine „bäuerliche“ Landwirtschaft ein, die etwa gentechnisch | |
veränderte Pflanzen ablehnt. | |
## Mindestlohn | |
Union: CDU und CSU wollen im Wesentlichen das bisherige System beibehalten: | |
Die Tarifparteien sollen branchenabhängige Mindestlöhne festlegen. Falls | |
jedoch in einer Branche Mindestlöhne fehlen, sollen die Tarifpartner | |
gesetzlich verpflichtet werden, gemeinsam eine Kommission zu bilden, um | |
Lohnuntergrenzen auszuhandeln. | |
Grüne: Sie fordern einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von | |
mindestens 8,50 Euro pro Stunde. Er soll von einer "Mindestlohnkommission" | |
festgelegt werden, die sich aus Gewerkschaften, Arbeitgebern und | |
ExpertInnen zusammensetzt. Zudem soll es leichter werden, | |
branchenspezifische Mindestlöhne für allgemeinverbindlich zu erklären. | |
## | |
Fazit: Am Mindestlohn würde eine Koalition nicht scheitern. Auch die Union | |
weiß, dass es in der Bevölkerung eine breite Mehrheit für einen | |
gesetzlichen Mindestlohn gibt. Zudem ist das bisherige System mit | |
branchenabhängigen Mindestlöhnen sehr umständlich und anfällig für | |
Missbrauch. Sollte die Union auf stur schalten, wäre dies von der | |
Opposition leicht zu skandalisieren. | |
## Steuern | |
Union: Sie schließt Steuererhöhungen aus. Explizit gilt dies für den | |
Spitzensteuersatz, die Erbschaftsteuer und alle Unternehmenssteuern. Eine | |
Vermögenssteuer wird ebenfalls abgelehnt. Gleichzeitig will die Union die | |
"kalte Progression" abbauen, die dazu führt, dass Lohnzuwächse höher | |
besteuert werden, die nur die Inflation ausgleichen. | |
Grüne: Umweltschädliche Subventionen sollen abgebaut werden. Die | |
Erbschaftssteuer soll für begüterte Erben steigen, eine Vermögensabgabe ab | |
einer Million Euro Nettovermögen greifen. Ein Spitzensteuersatz von 45 | |
Prozent soll für Singles ab einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro gelten - | |
und auf 49 Prozent bei 80.000 Euro steigen. | |
Fazit: Auf ein paar grüne Steuerprojekte kann sich auch die Union | |
einlassen: Bekämpfung der Steuerflucht und der Steuerhinterziehung, | |
Finanztransaktionssteuer, Abschaffung der reduzierten Mehrwertsteuer für | |
Hoteliers. Allerdings bringen diese Projekte zu wenig, um die | |
"Schuldenbremse" einzuhalten. Die Union muss daher weitere Steuererhöhungen | |
akzeptieren. | |
## Verkehr | |
Union: Beim Thema Verkehr ist die Union zunächst mit sich selbst | |
beschäftigt: CSU-Chef Horst Seehofer fordert eine Pkw-Maut für Ausländer, | |
die CDU lehnt das ab - auch mit Verweis auf EU-Recht. Ansonsten setzt die | |
Union auf den Ausbau aller Verkehrsträger: Straße, Schiene, Flughäfen und | |
Wasserstraßen - und lehnt ein Tempolimit strikt ab. | |
Grüne: Die Partei ist mehrheitlich gegen eine allgemeine Pkw-Maut - und | |
eindeutig gegen eine, die nur für Ausländer gälte. Ansonsten soll mehr Geld | |
in den Schienenbau fließen und weniger in neue Straßen. Eine private | |
Vorfinanzierung (PPP) von Straßen lehnen sie ab. Auf Autobahnen soll ein | |
Tempolimit von 120 km/h gelten, auf Landstraßen Tempo 80. | |
Fazit: Die Parteien liegen teilweise weit auseinander, doch eine Einigung | |
ist möglich: Angesichts der Kritik am "Verbots"-Image dürften die Grünen | |
nicht auf dem Tempolimit bestehen, die Union verzichtet dafür wohl auf die | |
Maut. Für die Schiene gibts etwas mehr Geld, beim Straßenbau liegt der | |
Schwerpunkt auf Erhalt statt Neubau. Streit könnte es aber um PPP-Projekte | |
geben. | |
Autoren: Jost Maurin, Malte Kreutzfeldt, Ulrike Herrmann und Uli Schulte | |
7 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
Malte Kreutzfeldt | |
Ulrike Herrmann | |
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