# taz.de -- Auf in die Sondierungsgespräche: Restrisiko Schwarz-Grün | |
> Niemand hat die Absicht zu regieren. Vor dem Gespräch mit Merkel beteuern | |
> die Grünen, wie skeptisch sie sind. Doch es gibt sie, eine kleine Chance. | |
Bild: Im Auge der Macht oder die Macht im Auge? Grüne Werbung in Angela Merkel… | |
BERLIN taz | Können die Grünen regieren? Die frisch gekürte | |
Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt muss nicht lange überlegen. | |
„Selbstverständlich“, sagt sie schnell. „Wir sind in der Lage, | |
gegebenenfalls Regierungsverantwortung zu übernehmen.“ Wäre das also | |
geklärt. | |
Aber wollen die Grünen auch? Da wird es kompliziert, und man ist auch nach | |
der Pressekonferenz der neuen FraktionschefInnen am Mittwoch nicht | |
schlauer. Göring-Eckardt und Anton Hofreiter erzählen lieber, welche Themen | |
für sie unverzichtbar sind. Der Klimawandel, die Energiewende, die Bildung, | |
das Soziale, endlich eine gerechte Flüchtlingspolitik und vieles mehr. | |
Die Grünen mauern sich in Dutzenden Themen ein, um bloß nicht über das | |
Regieren nachdenken zu müssen. Sie wollen nicht, es spricht ja auch alles | |
dagegen: die tiefe Verunsicherung der Partei, die neue, unerfahrene | |
Führungscrew, die Übermacht von Angela Merkels CDU. Merkel könnte niemals | |
die Wunschliste einer 8-Prozent-Partei in desolatem Zustand abnicken, da | |
ist schon CSU-Chef Horst Seehofer vor. Doch nur mit riesigen | |
Verhandlungserfolgen könnte sich die Grünen-Spitze überhaupt vor einen | |
Parteitag trauen. | |
So weit die bekannte Version, die alle Spitzen-Grünen hinter vorgehaltener | |
Hand herunterbeten. Doch es gibt noch eine andere, äußerst | |
unwahrscheinliche Variante. Eine, die von vielen Konjunktiven abhängt und | |
viele „wäre“, „müsste“ und „wenn“ beinhaltet. Grüne ziehen die A… | |
hoch, wenn man sie darauf anspricht, wiegen den Kopf und werden schweigsam. | |
Diese Variante ist, je nach Sichtweise, ein Fünkchen Hoffnung oder ein | |
Restrisiko. Es gibt sie nämlich, die Kleinstwahrscheinlichkeit für | |
Schwarz-Grün. | |
## Trittin und Roth bleiben wichtig | |
Der wichtigste Player wäre nicht etwa Winfried Kretschmann, | |
Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident, wie es die Union aller Welt | |
weismachen will. Seine Offenheit für Bündnisse mit der CDU ist lange | |
bekannt. Kretschmann, angesehener Ultrarealo, Katholik, länger Mitglied im | |
Schützenverein als bei den Grünen, redet seiner Partei seit Tagen ins | |
Gewissen, sie müsse die Gespräche mit Merkel „ernsthaft führen“. | |
Aber Kretschmann ist in Berlin ein Scheinriese. Seine Äußerungen finden | |
Aufmerksamkeit, doch seine Macht ist im Koalitionspoker begrenzt. | |
Kretschmann ist mit dem Job in Stuttgart ausgelastet, seine Truppen in | |
Berlin sind überschaubar, die Niederlage der Baden-Württembergerin Kerstin | |
Andreae im Kampf um die Fraktionsspitze war dafür ein Symptom. | |
Nein, die wichtigsten Player für die historische Mission „Schwarz-Grün | |
jetzt“ wären andere, nämlich zwei altgediente Haudegen, die vielen bereits | |
als Lame Ducks gelten: Claudia Roth und Jürgen Trittin. Nur sie hätten das | |
nötige Gewicht, um den linken Flügel zu überzeugen und die Partei vor dem | |
Zerreißen zu bewahren. Doch dazu später. | |
Damit sich ein Fenster für Schwarz-Grün öffnet, müsste erst einmal sehr | |
viel passieren. Bei dem heutigen Gespräch in den gediegenen Räumen der | |
Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin müsste sich die CSU ihre | |
Sticheleien verkneifen und müssten die Grünen auf Allmachtsfantasien | |
verzichten. Ein vernünftiges, freundliches Gespräch also, nach dem beide | |
Seiten gesichtswahrend sagen könnten, gut, wir haben geredet wie | |
Demokraten, aber es gibt einfach zu wenig Schnittmengen. | |
## Grüne sind zweite Wahl | |
Dann käme eine lange Pause für die Grünen. Merkel wird erst versuchen, eine | |
Große Koalition bis zum Ende zu verhandeln, das hat sie klar signalisiert. | |
Und diese Option müsste die SPD verbocken, und zwar so so richtig, was im | |
Moment keineswegs ausgeschlossen ist. In dem monatelangen Prozess kann | |
alles klappen, aber auch vieles schiefgehen. | |
Johannes Kahrs, Sozialdemokrat vom konservativen Seeheimer Kreis, sagt hü, | |
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sagt hott, die Linke Hilde Mattheis | |
sagt irgendetwas. SPD-Chef Sigmar Gabriel managt dieses Stimmengewirr | |
bisher ganz gut, aber er kann jederzeit die Kontrolle verlieren. Und am | |
Ende steht sowieso ein unkalkulierbarer Mitgliederentscheid. Kurz gesagt: | |
Wenn in der Sozialdemokratie die Furcht vor der Marginalisierung über den | |
Gestaltungsanspruch siegt, dann gäbe es eine ganz neue Situation. | |
Plötzlich würde sich der Scheinwerfer auf die Grünen richten, die bis dahin | |
Zeit gehabt hätten, sich zu sortieren. „Wenn die SPD es verbaselt, entsteht | |
ein Momentum für Schwarz-Grün. Wir wären mit dem Argument der | |
staatspolitischen Verantwortung konfrontiert“, sagt ein Insider in der | |
Grünen-Parteizentrale. | |
Ein Fenster öffnete sich. Vielleicht hat sich bis dahin eine schlichte | |
Erkenntnis durchgesetzt. Merkel, die ja hinreichend guten Willen für eine | |
Regierungsbildung demonstriert hätte und nun den Grünen Verhandlungen | |
anböte, kann von Neuwahlen nur profitieren. SPD schwächer, FDP wieder drin, | |
Neuauflage von Schwarz-Gelb: ein unschönes Szenario. | |
Den Grünen könnte also etwas drohen, was sich am besten mit einem Zitat | |
Kretschmanns umschreiben lässt: Das Amt käme zum Mann, also zu den Grünen. | |
Nicht umgekehrt. Und nun? Nun zu Roth und Trittin. | |
## Letzte Chance für einen Minister Trittin | |
Gesetzt den Fall, dass Merkel ihnen ausreichend Trophäen überließe, könnten | |
sie ihre Abneigung gegen Schwarz-Grün überdenken. Eine „bombige | |
Energiewende“ müsste es schon sein, sinniert ein Grünen-Stratege im kleinen | |
Kreis, aber auch große Zugeständnisse beim Sozialen oder der | |
Bürgerrechtspolitik. Er ist sicher: „Trittin weiß auch klitzekleine Chancen | |
zu nutzen, wenn sie sich bieten.“ | |
Schließlich ginge es für Roth und Trittin auch darum, weiter mitzumischen | |
in dem wilden Spiel der Politik, nach dem sie – jeder auf seine Art – | |
süchtig sind. Beide verspüren wenig Lust, als graue Eminenzen auf der | |
Hinterbank zu versauern. | |
Wenn sie ihr Gewicht für Schwarz-Grün in die Waagschale werfen würden und | |
Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt ebenso, dann gäbe es nur noch eine | |
letzte, aber entscheidende Hürde. Den grünen Parteitag, der ein solches | |
Bündnis absegnen müsste. Für die Delegierten wäre das eine Zumutung, haben | |
sie doch fast einstimmig ein Programm beschlossen, in dem ganz vorne steht: | |
„CDU und CSU blockieren den grünen Wandel.“ | |
Allerdings könnte jetzt ja von Blockaden keine Rede mehr sein, da spräche | |
die Trophäensammlung des Koalitionsvertrages dagegen. Bleibt noch die | |
tiefe, kulturelle Abneigung vieler Delegierter, welche traditionell | |
„politisch eher links“ ticken, wie es der nüchterne Hesse Tarek Al-Wazir | |
einmal beschrieben hat. Ihr Votum bliebe ein Risiko. | |
## Die Basis ist unberechenbar | |
Auch dieses ließe sich aber minimieren, mit einer demokratischen und | |
deshalb sehr Grünen-affinen Lösung: einem Mitgliederentscheid über | |
Schwarz-Grün. Die Grünen haben ihre Spitzenkandidaten per Basisvotum | |
ausgesucht, ihre wichtigsten Inhalte ebenso. Ein Mitgliederentscheid über | |
ein historisch neues, hochumstrittenes Bündnis wäre da nur folgerichtig. | |
Und die Mitglieder, ein großer Teil trat erst in den vergangenen Jahren | |
ein, sehen die Dinge bekanntlich anders als die mittlere Funktionärsebene | |
der Parteitage. Sie machten zur Überraschung aller Göring-Eckardt zu | |
Spitzenkandidatin und sie stellten Claudia Roth ins Abseits. Die Basis | |
beschreiben viele Ober-Grüne zu Recht als „Blackbox“. Eine solch elegantes | |
Umkurven des Parteitages wäre ein Trick, sicher, aber ein legitimer. | |
Können die Grünen also regieren? Nein, sehr wahrscheinlich nicht. Es könnte | |
aber sein, dass sie nicht drum herumkommen, es zu müssen. | |
10 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
CDU/CSU | |
Koalitionsverhandlungen | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Baden-Württemberg | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Menschen | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Steuerpolitik | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Schwarz-rote Koalition | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Koalitionspoker mit Schwarz-Grün: Kein drittes Spiel | |
Einen Tag nach den Sondierungen mit der SPD, trifft sich die Union zur | |
zweiten Runde mit den Grünen. Fraktionchef Hofreiter will gleich darauf | |
entscheiden, wie es weitergeht. | |
Kommentar Winfried Kretschmann: Der Seehofer der Grünen | |
Winfried Kretschmann will sich mehr in die Bundespolitik einmischen, | |
notfalls auf Kosten der eigenen Partei. So heizt er die Stimmung bei den | |
Grünen an. | |
SPD und Union vor zweiter Sondierung: Betreuungsgeld könnte bleiben | |
Die SPD beharrt auf dem Mindestlohn. Dafür könnte es Kompromisse beim | |
Betreuungsgeld geben: Die Verantwortung könnten bald die Länder tragen. | |
Sondierung Schwarz-Grün: Die Kapuzenpulli-Union | |
In Berlin-Prenzlauer Berg wirbt CDU-Politiker Lars Zimmermann erfolgreich | |
um alternative Wählergruppen. Nische oder Trend? Eine Spurensuche. | |
Schwarz-grüne Sondierungsgespräche: Begegnung der anderen Art | |
Nach dem ersten Treffen zwischen Union und Grünen sind beide Seiten | |
skeptisch. Dennoch wird es ein zweites Treffen zwischen den Parteien geben. | |
Pro und Contra Schwarz-Grün: Ist die Zeit reif? | |
Ist ein Bündnis mit der Union für die Grünen politischer Selbstmord? Oder | |
ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür? | |
Union und Grüne vor Sondierung: Näher gerückt | |
Schwarz-Grün hätte historische Dimensionen. Doch wie nah sind sich beide | |
Parteien in den zentralen Politikfeldern wirklich? Ein Faktencheck. | |
Koalitionspoker nach der Wahl: Grüner Realo-Flügel winkt der Union | |
Regierungsbeteiligung ohne Steuererhöhungen? SPD und Grüne geben erste | |
Verzichtserklärungen ab. Grünen- Parteichef Özdemir will eine Koalition | |
nicht ausschließen. | |
Sondieren, aber richtig: Wer zuerst zuckt, hat verloren | |
Union und SPD schauen, ob eine große Koalition nochmal klappen könnte. Die | |
taz liefert die Gebrauchsanleitung für den Koalitionspoker. | |
Koalitionspoker nach der Wahl: Grüne schwärzen sich ein bisschen an | |
Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD stehen kurz bevor, da senden | |
die Grünen Signale der Annäherung an die Union aus. Gauck empfängt weiter | |
ParteichefInnen. |