Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schwarz-grüne Sondierungsgespräche: Begegnung der anderen Art
> Nach dem ersten Treffen zwischen Union und Grünen sind beide Seiten
> skeptisch. Dennoch wird es ein zweites Treffen zwischen den Parteien
> geben.
Bild: Skeptisch aber gut gelaunt: Die Generalsekretäre Alexander Dobrindt (CSU…
BERLIN taz | Mit schnellen Schritten hastet die achtköpfige
Grünen-Delegation auf die schwere Holztür der ehrwürdigen Parlamentarischen
Gesellschaft gegenüber des Berliner Reichstages zu, die Parteichefs Claudia
Roth und Cem Özdemir vorneweg. Keiner sagt etwas, nur Sylvia Löhrmann,
Schulministerin in Nordrhein-Westfalen, ruft den im Regen wartenden
Journalisten einen schnellen Spruch zu. „Die Stimmung ist besser als das
Wetter.“
Tatsächlich? Das wäre eine erste Nachricht, schließlich hatten sich CSU und
Grüne die ganze Woche vor allem angegiftet. Wenig später eilen die 14
Verhandler von CDU und CSU regensicher durch einen Nebeneingang in Richtung
Verhandlungssaal.
Mittendrin Kanzlerin Angela Merkel, lila Blazer, mürrischer Blick. Gegen
16.30 Uhr schließt sich die Tür zum Saal „Berlin“, das erste
Sondierungsgespräch der Union mit den Grünen beginnt. Jetzt wird
besprochen, ob CDU, CSU und Grüne Geschichte schreiben. Auf der einen Seite
übernimmt die Kanzlerin die Gesprächsführung, auf der anderen Seite Roth
und Özdemir.
Fast genau drei Stunden später, um 19.24 Uhr, twittert ein Grünen-Sprecher:
„Das „Konsolidierungsgespräch“ zwischen Union und Grünen ist soeben zu …
gegangen.“ Konsolidierungsgespräch, hübsches Wortspiel, das die Sache
trifft. Gibt es überhaupt den Hauch einer Chance für Schwarz-Grün?
## „Teils erhebliche Unterschiede.“
Im dritten Stock des Bundestages ist eine Phalanx aus Kameras und
Scheinwerfern aufgebaut. Hermann Gröhe und Alexander Dobrindt, die
Generalsekretäre von CDU und CSU, treten vor die Mikrophone. Es wird ein
zweites Gespräch am kommenden Dienstag geben, sagen sie. Auch das ist eine
Nachricht, zuvor war auch schon gemutmaßt worden, dass die Grünen das Ganze
nach dem ersten Beschnuppern sofort platzen lassen würden.
„Es war ein offenes, sachliches, sehr an Inhalten interessiertes Gespräch
in guter Atmosphäre“, beginnt Gröhe. So weit die übliche Floskel, die nach
Sondierungen immer fällig ist. Die Verhandler hätten über die
Europapolitik, über die Energiewende und Gesellschaftspolitik gesprochen.
Man teile das Ziel einer proeuropäischen Politik, ebenso das Ziel, die
Energiewende zum Erfolg zu bringen. „Aber in den Instrumenten gibt es teils
erhebliche Unterschiede.“
Das ist Gröhes erster Hinweis darauf, wie tief die Gräben zwischen den
Parteien sind. Zwischen den grünen Vorstellungen einer Energiewende und
denen der Union, die weiter auf große Energieversorger und Kohlekraft
setzt, liegen Welten. Noch deutlicher wird das, als CSU-Mann Dobrindt das
Wort ergreift. Er beginnt mit einer feinen Spitze: „Das Gespräch mit den
Grünen ist nicht so verlaufen, dass man sich nicht wieder treffen könnte.“
In diesem skeptischen Sound geht es weiter. „Der Weg von den Grünen zu uns
ist weiter als der Weg von der SPD zu uns.“ Diese Formulierung wiederholt
Gröhe später wortgleich. Man kann sie als deutlichen Hinweis
interpretieren. Die Große Koalition, heißt das, ist uns näher als dieses
seltsame Schwarz-Grün.
## Internationales kommt nächste Woche
Das Thema Flüchtlingspolitik habe man nicht angesprochen – Internationales
ist nächste Woche dran. Bei diesem Thema hatte CSU-Innenminister die Grünen
in den vergangenen Tagen mit seiner Hardliner-Rhetorik provoziert.
Ex-Spitzenkandidat Jürgen Trittin kritisierte Hans-Peter Friedrichs Tonfall
am Morgen scharf. Er habe angesichts von über 300 Toten vor Lampedusa mehr
Härte gegen Flüchtlinge gefordert, blaffte Trittin in einem Interview. „Das
ist dermaßen ein Abgrund an Zynismus – das ist kaum zu übertreffen." Im
selben Interview griff er auch Merkel persönlich an. Sie hintertreibe
europäische Obergrenzen für den Spritverbrauch.
„Abgrund an Zynismus“, nun ja, das ist nicht gerade ein Auftakt für ein
Plauderstündchen unter Freunden. Das Interview, wenige Stunden vor Beginn
der Sondierung gegeben, wurde in der Union mit Befremden registriert. Die
Grünen seien offenbar wenig interessiert an einer gütlichen Einigung, so
die gängige Interpretation.
Dobrindt sparte sich selbst in seinem Statement nach dem Sondierungsgepräch
die Attacke auf seinen Lieblingswidersacher nicht. „Manchmal hat man das
Gefühl, dass man mit einem weiter kommt als mit einem anderen.“ Eine
Anspielung auf Trittin, dem er zuvor öffentlich nahe gelegt hatte, doch
bitte von Verhandlungen fern zu bleiben. Dobrindts Unverschämtheiten und
Friedrichs Äußerungen hatten bei den Grünen im Vorfeld für viel Ärger
gesorgt.
## „Die Zeit hat nicht ausgereicht“
Wesentlich länger fiel die Abschlussbewertung der Grünen aus – was vor
allem an den länglichen Ausführungen von Claudia Roth lag. „Wir kennen uns
ja, das ist keine Begegnung der ersten, unheimlichen Art“, sagte sie. Ein
Sondierungsgespräch sei ja nicht so einfach, philosophierte sie sodann. Und
führte minutenlang aus, was man alles habe nur anreißen, oder gar nicht
besprechen können. Klimaschutz, Landwirtschaft, die Frage einer offenen
Gesellschaft, gleiche Rechte für alle, die Gesundheitspolitik, all dies sei
kaum Thema gewesen.
„Die Zeit hat nicht ausgereicht“, sagte Roth. Ihre Aneinanderreihung grüner
Wünsche wirkte, als baue sie mit vielen Ziegelsteinen eine solide Mauer vor
Schwarz-Grün. So blieb es die Aufgabe von Cem Özdemir, wenigstens ein paar
Gemeinsamkeiten zu suchen und zu finden. „In der Europapolitik haben sich
Grüne bekanntlich nicht wie Kritikaster verhalten“, sagte er. Insofern
könne man sich denken, wo es gemeinsame Linien gebe. Also in der
Europa-Politik, wo die Grünen den von Merkel vorgeschlagenen
Rettungsinstrumenten im Bundestag zustimmte.
Özdemir war es auch, der die „positive Atmosphäre und freundliche Stimmung�…
des Gesprächs lobte. Trotz seiner Bemühungen, als wichtigster Eindruck
bleibt nach all dem vor allem eines: Die Wege sind sehr, sehr weit. Wenn es
überhaupt Wege gibt.
## Wenig grüne Lust
Beide Seiten hätten im Falle von Koalitionsverhandlungen mit großen inneren
Widersprüchen zu kämpfen. Merkel könnte ihre Truppen nur sehr schwer hinter
einer solchen Koalition vereinen. Sie müsste den Grünen viele Angebote
machen, um sie überhaupt in Verhandlungen zu locken. Dem steht allerdings
die Stärke ihrer Union entgegen, die bekanntlich fast die absolute Mehrheit
schaffte. Und das Störfeuer der breitbeinig auftretenden Bayern dürfte auch
in einer Regierung immer wieder aufflackern.
Die CSU schaffte ihre absolute Mehrheit in Bayern schließlich auch deshalb,
weil sie die Grünen zum Hauptfeind aufbaute. Auf diese attraktive
Möglichkeit will sie auch in Zukunft nicht verzichten.
Umgekehrt verspüren auch die Grünen wenig Lust auf ein Bündnis. Die
Ökopartei befindet sich nach ihrem Wahldebakel in einer Phase der
Selbstfindung, kaum jemand in der Führung kann sich vorstellen, jetzt das
Risiko einer historisch neuen, nicht vorbereiteten Regierungsbeteiligung
einzugehen. „Das wäre ein Bündnis des Misstrauens“, sagte ein wichtiger
Grüner vor dem Gespräch. „Merkel schwebt präsidial oben drüber, wir
befänden uns vier Jahre in einem Infight mit der CSU.“ Die Furcht vor der
Selbstzerstörung an Merkels Seite ist riesig, viele Wähler könnten ein
Bündnis als Affront auffassen.
Die viel diskutierte Option Schwarz-Grün könnte also schnell wieder von der
politischen Agenda verschwinden. Schließlich läuft es anderswo besser. Die
Unterhändler von Union und SPD hatten nach ihrem ersten Gespräch allgemein
die angenehme Atmosphäre gelobt. Am kommenden Montag treffen sie sich zum
zweiten Mal. Die Grünen sind deshalb vielleicht schon bald nur noch
Zuschauer beim Koalitionspoker.
10 Oct 2013
## AUTOREN
Ulrich Schulte
Astrid Geisler
## TAGS
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Grüne
CDU
CSU
Koalition
Sondierungsgespräche
Sondierungsgespräche
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Mindestlohn
SPD
Menschen
Menschen
Regierung
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Steuerpolitik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Asylpolitik in den Sondierungsgesprächen: Grundsätzlich uneins
Die Jamaika-Parteien finden beim Thema Flüchtlinge nicht zueinander. Einen
Kompromiss der Union beim Familiennachzug lehnen die Grünen ab.
Koalitionspoker mit Schwarz-Grün: Kein drittes Spiel
Einen Tag nach den Sondierungen mit der SPD, trifft sich die Union zur
zweiten Runde mit den Grünen. Fraktionchef Hofreiter will gleich darauf
entscheiden, wie es weitergeht.
Kommentar schwarz-rote Sondierung: Die Basis wird sauer
Mindestlohn, Spitzensteuersatz, kein Betreuungsgeld: Bei der SPD gibt es
Forderungen, die für die einen Genossen verhandelbar sind. Für andere
nicht.
Schwarz-rote Sondierungsgespräche: Gemeinsam uneinig
Was meint die Basis zu möglichen Koalitionsverhandlungen mit der Union? Bei
den Berliner Jusos findet Kateryna Kremkova eine große Koalition „Scheiße".
Sondierung Schwarz-Grün: Die Kapuzenpulli-Union
In Berlin-Prenzlauer Berg wirbt CDU-Politiker Lars Zimmermann erfolgreich
um alternative Wählergruppen. Nische oder Trend? Eine Spurensuche.
Claudia Roth über Union und Flüchtlinge: „Sie machen Rassismus salonfähig�…
Wird das Asyl zur Gretchenfrage einer schwarz-grünen Koalition?
Grünen-Chefin Roth kritisiert die Haltung der Union in der
Flüchtlingsfrage.
Sondierungstreffen zur Koalition: Nach allen Seiten offen
CDU/CSU und SPD haben sich zu Sondierungsgesprächen getroffen. Die
Entscheidung über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen soll nächste
Woche fallen.
Auf in die Sondierungsgespräche: Restrisiko Schwarz-Grün
Niemand hat die Absicht zu regieren. Vor dem Gespräch mit Merkel beteuern
die Grünen, wie skeptisch sie sind. Doch es gibt sie, eine kleine Chance.
Pro und Contra Schwarz-Grün: Ist die Zeit reif?
Ist ein Bündnis mit der Union für die Grünen politischer Selbstmord? Oder
ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür?
Union und Grüne vor Sondierung: Näher gerückt
Schwarz-Grün hätte historische Dimensionen. Doch wie nah sind sich beide
Parteien in den zentralen Politikfeldern wirklich? Ein Faktencheck.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.