# taz.de -- Debatte Asylpolitik: Ich heirate einen Flüchtling | |
> Die deutschen Politiker zeigen sich unwillig, etwas an der Situation der | |
> Flüchtlinge zu ändern. Scheinehen sind daher notwendiger ziviler | |
> Ungehorsam. | |
Bild: Eine Scheinehe als Hilfe in der Not. Und als politisches Statement gegen … | |
Schlage ich dieser Tage die Zeitung auf, ärgere ich mich. Nein, Ärger ist | |
zu schwach. Ich bin wütend und fassungslos und denke: Wie können deutsche | |
Politiker angesichts dieser Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer so | |
gnadenlos sein? | |
Fast 340 Menschen kamen ums Leben, als ein Flüchtlingsboot vor der | |
italienischen Insel Lampedusa in Flammen aufging und kenterte. Kurz darauf | |
[1][setzte schon wieder] ein Boot mit 400 Flüchtlingen einen Hilferuf ab. | |
Die in Seenot Geratenen waren nicht die ersten, die auf der Suche nach | |
einem sichereren, vielleicht auch besseren Leben von Afrika nach Europa | |
kamen. Und solange Politik und Wirtschaft in Afrika vielen Menschen eine | |
Existenz unmöglich machen, werden sie nicht die letzten sein – egal wie | |
lebensgefährlich die Fahrt übers Meer ist. | |
[2][Was aber machen unsere Politiker]? Allen voran der deutsche | |
Innenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU? Der traute sich schon | |
anlässlich des ersten Bootsunglücks zu verkünden: Die bestehenden Regeln | |
zur Aufnahme von Flüchtlingen blieben „selbstverständlich unverändert“. … | |
Bundesregierung sehe derzeit keinen Handlungsbedarf. | |
Unverändert? | |
SELBSTVERSTÄNDLICH? | |
Weiterhin wird es also die Dublin-II-Verordnung geben, die dafür sorgt, | |
dass Asylsuchende nur in dem EU-Land einen Antrag auf Asyl stellen können, | |
über das sie eingereist sind. Weiterhin Residenzpflicht (in Sachsen und | |
Bayern), weiterhin Arbeitsverbot für Flüchtlinge, weiterhin keine Chancen | |
für Menschen, die alles hinter sich gelassen und ihr Leben riskiert haben, | |
um in Europa neu zu beginnen, um zu arbeiten, um Geld zu verdienen – und um | |
Steuern zu zahlen. | |
Weiterhin also massenhaft Ertrunkene, die die Taucher vor Lampedusa bergen | |
müssen? | |
Als ich Friedrichs Worte las, war ich sprachlos, aber nur kurz. Dann fasste | |
ich einen Entschluss: Wenn die Politiker in meinem Land den Asylsuchenden | |
nicht helfen wollen, dann mach ich es selbst: Ich heirate einen Flüchtling. | |
Damit er hierbleiben kann. Auch wenn das verboten ist. Als Akt des zivilen | |
Ungehorsams. Denn an der zynischen Flüchtlingspolitik, die Europa auch | |
aufgrund der deutschen Haltung zu diesem Thema betreibt, wird sich unter | |
einer konservativen Regierungsmehrheit auf absehbare Zeit nichts ändern. | |
Natürlich bin ich nicht die Erste, die auf diese Idee kommt. Aus | |
politischer Überzeugung geschlossene Ehen haben in linken Kreisen eine | |
gewisse Tradition. Erhebungen dazu gibt es – wie zu erwarten – nicht. Die | |
meisten binationalen Paare heiraten zwar möglicherweise auch wegen des | |
Aufenthaltsstatus, aber eben nicht nur, sondern weil sie einfach gern | |
zusammen sein und -bleiben möchten. Oft ist der Vorwurf der „Scheinehe“ | |
also nur eine Unterstellung der Behörden. | |
Fest steht aber auch, dass es Paare gibt, die so eine Heirat ähnlich sehen | |
wie ich: als Mittel zum Zweck. Als Hilfe in der Not. Und als politisches | |
Statement gegen eine herzlose Politik, der sie nicht zustimmen. | |
Auch als Geschäftsidee wurde diese Form der Einbürgerung längst entdeckt. | |
Zwar gibt es hierzu ebenfalls keine Statistiken, aber es ist anzunehmen, | |
dass ein paar Leute mithilfe arrangierter Ehen ganz gut an der Not anderer | |
verdienen – wie immer, wenn es irgendwo einen Schwächeren gibt, der auf | |
Hilfe angewiesen ist und dem keine andere Wahl zu bleiben scheint. „Man | |
hört von Summen zwischen 5.000 und 10.000 Euro, die Flüchtlinge für so eine | |
Schutzehe bezahlen“, sagt die Mitarbeiterin einer Beratungsstelle für | |
Migranten. | |
## „Schutzehe“ ist ein schönes Wort | |
Interessant am Geschäft mit der Ehe ist das asymmetrische Verhältnis, das | |
einer solche Beziehung innewohnt. Hier ein Mensch, der in Besitz eines | |
kostbaren Guts ist, nämlich eines deutschen Passes, der | |
Rechtsstaatlichkeit, körperliche Unversehrtheit, Meinungsfreiheit und | |
soziale Absicherung gewährt. Dort ein Mensch, der ebendieses Gut erlangen | |
möchte, ein Dokument, ohne das ihm die Teilhabe an Arbeitsmarkt und | |
Gesellschaft und die Chance auf Wohlstand verwehrt bleiben, und der bereit | |
ist, das Menschenmögliche für dieses Dokument zu tun. | |
In dieser Verbindung ist der Asylsuchende maximal abhängig und dadurch | |
erpressbar. Das zeigt schon die massive Diskrepanz in den Konsequenzen, die | |
eine enttarnte „Scheinehe“ für die Heiratswilligen hat. Während der | |
Asylsuchende sofort jeglichen Status verliert und mit Abschiebung rechnen | |
muss, kommt der deutsche Partner in der Regel mit einem Bußgeld davon. | |
„Scheinehe ist juristisch nicht nachweisbar“, sagt die Expertin. „Deshalb | |
wird das Verfahren, das auch dem deutschen Partner droht, mithilfe einer | |
guten Rechtsberatung meist fallen gelassen.“ | |
Ein solch asymmetrisches, ja geradezu kolonialistisches Verhältnis besteht | |
auch dann, wenn ich meinen Plan weiterverfolge. Heirate ich einen | |
Flüchtling – selbstverständlich ohne dafür Geld zu verlangen –, ist er | |
danach trotzdem von mir abhängig. Er ist auf meine Hilfe angewiesen, auf | |
meinen guten Willen und darauf, dass ich es mir nicht irgendwann anders | |
überlege. | |
Ist das ein Grund, es nicht zu tun? Meine pragmatische Antwort lautet: | |
Nein. Verzichte ich aus moralischen Überlegungen auf meinen Plan, ist auch | |
keinem geholfen. Man wird dieses Abhängigkeitsverhältnis später mit dem | |
Angetrauten thematisieren müssen, um es so milde und erträglich wie möglich | |
gestalten zu können. | |
Vermutlich, das war mein zweiter Gedanke, als ich die Worte des | |
Innenministers las, ist eine solche Ehe mit ziemlich viel Aufwand | |
verbunden. Es darf ja niemand merken, dass die Ehe nur eine „Scheinehe“ | |
ist. | |
## „Scheinehe“ ist ein falsches Wort | |
Wahrscheinlich sind ganz viele Ehen, vor allem die, die schon ein paar | |
Jahre dauern, Scheinehen. Man ist verheiratet auf dem Papier, aus wer weiß | |
was für Gründen, womöglich um den Anstand zu wahren oder aus | |
Bequemlichkeit, vielleicht auch für Status und Geld. Dagegen hat niemand | |
etwas, kann niemand etwas haben. Wenn ich aber meinen Status, nämlich | |
meinen Aufenthaltsstatus, mit jemandem teilen möchte, weil ich Glück hatte | |
und in Europa zur Welt kam, ein anderer aber nicht, dann wird das geahndet. | |
Deshalb muss ich mir eine Geschichte ausdenken und werde lügen, um ein | |
politisches Ziel, das sich auch einige Parteien ins Programm geschrieben | |
haben, zu erreichen. Auch meinen echten Namen kann ich nicht nennen, weil | |
mein Plan nicht schon am Anfang scheitern soll. | |
Mehr noch als die entsprechenden Dokumente, die für viele schwer bis | |
unmöglich beizubringen sind, brauchen mein Mann und ich dann eine | |
wasserdichte Geschichte. Denn es kann sein, dass wir beim Standesbeamten, | |
bei dem wir das Aufgebot bestellen, oder später von der Ausländerbehörde | |
getrennt befragt werden, wenn so etwas wie ein „Scheinehe-Verdacht“ | |
besteht. | |
Sehr wahrscheinlich werden wir erzählen müssen, wo und wann wir uns | |
kennengelernt haben, wer wem den Antrag gemacht hat und wohin unsere | |
Flitterwochen gingen. Wir werden gefakte Fotos machen, die uns gemeinsam | |
als glückliches Paar zeigen. Wir werden uns einprägen, welche Schuhgröße | |
der andere hat, welche Zahnpasta er benutzt, wie Eltern und Geschwister | |
heißen und wie er seinen Kaffee trinkt. | |
Wir werden uns gemeinsam in einer Wohnung anmelden und dort eine zweite | |
Zahnbürste, Kleidung und persönliche Gegenstände deponieren, falls jemand | |
vom Ordnungsamt vorbeikommt, um zu überprüfen, ob wir auch wirklich | |
zusammenleben. Und wir werden hoffen, dass jemand zu Hause ist, wenn das | |
passiert, damit die Beamten nicht die Nachbarn befragen. Drei ganze Jahre | |
lang. Erst danach erhält mein Mann eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, | |
und wir können das Theater beenden. | |
Weil ich will, dass Europa seine restriktive Flüchtlingspolitik lockert und | |
beginnt, Asylsuchende nicht mehr als Last, sondern als Bereicherung zu | |
begreifen, breche ich das Gesetz, muss mich verstecken, und mache dies | |
öffentlich. Aus Protest, gegen die Gleichgültigkeit der Politik. | |
26 Oct 2013 | |
## LINKS | |
[1] /Fluechtlingsdrama-im-Mittelmeer/!125555/ | |
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## AUTOREN | |
Lovis Schmitz | |
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