# taz.de -- Asylpolitik in Deutschland: Die Angst im Dorf | |
> In einem 832-Einwohner-Dorf im Sauerland sollen bald 500 Flüchtlinge | |
> leben. Ein Verein mobilisiert gegen deren Unterbringung in einer alten | |
> Klinik. | |
Bild: Sie wollen sich mit ihrem Protest nicht in die rechte Ecke drängen lasse… | |
ARNSBERG/WIMBERN taz | In Wimbern gibt es eine Schützenhalle, zwei Kneipen | |
und zwei Zigarettenautomaten. Irgendwo im Dorf steht auch ein | |
Kaugummiautomat, aber ob der in Betrieb ist, weiß keiner so genau. Im | |
waldigen Norden des Sauerlands trinken die Leute Veltins-Bier, wählen CDU, | |
und zweimal im Jahr feiern sie Schützenfest. Das Leben der Wimberner könnte | |
beschaulich verlaufen. Wäre da nicht dieser Plan: Ins Dorf mit rund 830 | |
Einwohnern sollen bald 500 Flüchtlinge kommen. | |
Seit der Ankündigung der Bezirksregierung geht die Angst um im Dorf. Und | |
wie es so ist mit der Angst, hat sie häufig wenig mit konkreten Gefahren zu | |
tun, sondern mit quälender Ungewissheit. Nur: Wo verläuft die Grenze | |
zwischen berechtigter Sorge und Fremdenfeindlichkeit? | |
An einem sonnigen Herbstmittag fahren Christian Meier und Edmund Schmidt | |
vor einem großen, grauen Gebäude vor. Seit zwei Jahren steht das ehemalige | |
Marienkrankenhaus leer. In dem Kasten aus den späten 60ern und frühen 70ern | |
will die Bezirksregierung eine Zentrale Unterbringungs-Einrichtung (ZUE) | |
etablieren. In einer ZUE warten Flüchtlinge auf die Bearbeitung ihres | |
Asylantrags, bis zu drei Monate lang. Wenn sie Glück haben, geht es von | |
hier aus zu Freunden oder Verwandten irgendwo in Deutschland. | |
Durch die Kälte gehen Meier und Schmidt einmal herum um die Klinik. Sie | |
waren selbst mal Patienten hier, wie fast jeder im Dorf. Meier und Schmidt | |
zeigen auf den Kindergarten und das Seniorenheim. Beide liegen direkt | |
nebenan. Christian Meier stellt die Frage, um die sich alles dreht: „Wie | |
soll ein Dorf mit 832 Einwohnern mit 500 Asylbewerbern klarkommen?“ Edmund | |
Schmidt nickt. | |
## Das halbe Dorf kam | |
Christian Meier, 42 Jahre, dicke Brillengläser, spricht schnell und | |
präzise. Er vertritt den „Dorf Wimbern e. V.“ nach außen. Der Verein | |
koordiniert den Protest. Als vor einem Jahr durchsickerte, dass die | |
Bezirksregierung in Arnsberg hier Flüchtlinge unterbringen will, | |
organisierte Meier prompt eine Versammlung in der Schützenhalle. 320 Leute | |
waren da, fast das halbe Dorf. „Das hatte ich noch nie erlebt.“ | |
Meier ist Journalist. Er hat die Bilder rechter Aufmärsche vor einem | |
Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf gesehen. Und er kennt die | |
Fernsehberichte, in denen Bilder aus Berlin mit Bildern aus Wimbern | |
gegengeschnitten werden. Deshalb beeilt er sich zu sagen: „Wir sind nicht | |
getrieben von rechtem Gedankengut. Und selbst wenn wir den Kampf verlieren: | |
Bilder wie in Hellersdorf wird es hier nicht geben.“ Wie zum Beweis fügt er | |
an, gegen eine zeitlich befristete Notunterkunft hätten sie nichts: „Das | |
können wir stemmen.“ | |
Wimberns Konflikt ist ein deutscher Konflikt. Derzeit suchen so viele | |
Menschen hierzulande Asyl wie seit über zehn Jahren nicht mehr. Noch 2008 | |
verzeichnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rund 28.000 | |
Asylanträge. Für dieses Jahr werden mehr als 100.000 Hilfeersuchen | |
erwartet. | |
Die meisten Flüchtlinge stammen aus der Russischen Föderation, darunter | |
sind Folteropfer aus Tschetschenien. An zweiter Stelle stehen Syrer, die | |
dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat entflohen sind, gefolgt von Menschen aus | |
Serbien, Afghanistan, Mazedonien und Iran. | |
## "Pro NRW" blieb unter sich | |
Das Land reagiert wie das kleine Dorf. 53 Prozent der Deutschen sehen den | |
Zustrom von Flüchtlingen als großes Problem. Das ist das Ergebnis einer | |
Umfrage im Auftrag des Sterns. Und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich | |
(CSU) nannte die Asylbewerberzahlen im Sommer „alarmierend“. | |
Gemessen daran, handeln die Wimberner erstaunlich besonnen. Einmal | |
trommelte die rechte Partei „Pro NRW“ zu einer Demo vor der Exklinik. Meier | |
und Schmidt baten die Leute im Dorf, nicht hinzugehen. Am Ende standen, | |
erzählt Meier, sechs Pro NRWler allein vor dem leeren Krankenhaus. Darauf | |
ist er stolz. | |
Meier vertritt den Dorfverein nach außen, Edmund Schmidt nach innen. | |
Ortsvorsteher Schmidt ist ein imposanter Mann, 1,90 Meter groß, grauer | |
Vollbart, sonore Stimme. Die Leute im Dorf nennen den 60-Jährigen Ede, und | |
Ede spricht wie die Leute im Dorf. Er zeigt auf ein Wohngebiet auf der | |
anderen Straßenseite. „Die Leute haben einfach Angst, dass ihre Häuser bald | |
40, 50 Prozent weniger wert sind. Das ist ein finanzieller Verlust, das hat | |
nichts mit Angst vor den Leuten im Heim zu tun.“ | |
Angst gilt nicht als Argument, wenn man es mit einer Öffentlichkeit zu tun | |
hat, die nur zu gern ihre Vorurteile bestätigt sehen möchte: Provinz, | |
Protest gegen ein Flüchtlingsheim? Klare Sache. Angst gilt auch nicht als | |
Argument gegenüber der Gegnerin der Wimberner, der Bezirksregierung in | |
Arnsberg. Gegen Bürokraten, da sind sich Meier und Schmidt sicher, helfen | |
nur nüchterne Fakten und gute Argumente. | |
## Nur ein Streifenwagen im Einsatz | |
Sie klingen logisch: Die Gebäudeteile lassen sich nicht so einfach trennen | |
wie in den beiden anderen Zentralen Unterbringungs-Einrichtungen in | |
Nordrhein-Westfalen. Im münsterländischen Dorf Schöppingen und im | |
sauerländischen Hemer gehe das viel besser. Auf den ehemaligen | |
Kasernengeländen gebe es mehrere klar voneinander getrennte Gebäude, anders | |
als hier. Darin könnten sich verfeindete Ethnien nicht so leicht | |
gegenseitig die Köpfe einschlagen. | |
Obendrein liege Wimbern im hintersten Winkel des Kreises Soest. Wochentags | |
sei im ganzen Kreis nur ein Streifenwagen unterwegs. „Wenn die Polizei | |
vorfährt“, sagt Meier eilig, „ist der Bestatter längst da.“ Es fehle au… | |
an Freizeitangeboten und Einkaufsmöglichkeiten. „Sperren Sie mal 500 | |
Deutsche hier ein. Das funktioniert auch nicht.“ | |
Also alles ganz logisch, ein Fall behördlicher Blindheit? Diese Geschichte | |
lässt sich auch ganz anders erzählen. | |
## "Man muss das nicht so sehen" | |
Von seinem Büro im neunten Stock aus hat Michael Kirchner eine wundervolle | |
Sicht auf Hügelketten und braungrüne Wälder. Von hier aus, dem Sitz der | |
Bezirksregierung Arnsberg, geht sein Blick weit hinaus ins Sauerland. | |
Kirchners Arbeitsbereich reicht noch viel weiter. Der 62-Jährige, weißer | |
Bart, randlose Brille, organisiert die Aufnahme und Zuteilung von | |
Flüchtlingen in ganz Nordrhein-Westfalen. Mehr als jeder fünfte | |
Asylbewerber in Deutschland ist darauf angewiesen, dass Kirchner und sein | |
Dezernent Peter Ernst einen guten Job machen. | |
Und so handelt auch diese Version der Geschichte von zwei Männern und ihrem | |
Kampf gegen Uneinsichtigkeit und Verbohrtheit. Nur klingt Kirchners und | |
Ernsts Erzählung ganz anders als die von Meier und Schmidt. | |
Am Konferenztisch, die schöne Aussicht im Rücken, sagt Kirchner: „Die | |
Sorgen, die auch am Anfang vorhanden sind, die kann man verstehen.“ Zum | |
Beispiel die Furcht vor rechten Attacken, vor Rauschgiftkriminalität, die | |
Sorge um die Sicherheit von Kindergarten und Seniorenheim nebenan. „Solche | |
Fragen bewegen die Leute.“ Dezernent Peter Ernst, der mit am Tisch sitzt, | |
ergänzt: „Und uns auch!“ Die Sache sei nur, so Kirchner: „Das muss man so | |
nicht sehen.“ | |
## Vorteilhafte Isolierung | |
Kirchner und Ernst rechnen vor: Die ZUEs in Schöppingen und Hemer platzten | |
aus allen Nähten. Eine weitere im ostwestfälischen Nieheim habe | |
glücklicherweise öffnen können. Seit dem Sommer gebe es in Unna-Massen | |
zudem eine weitere „Entlastungsunterkunft“. Und hätte es nicht das Angebot | |
aus dem Städtchen Burbach gegeben, wo die ehemalige Siegerlandkaserne | |
genutzt werden kann, dann wüssten sie nicht, wo die vielen Flüchtlinge den | |
Winter verbringen sollen. Kirchner und Ernst sind stolz darauf, dass in NRW | |
Asylbewerber nicht in Zelten und Containern schlafen müssen, wie etwa in | |
Hamburg. | |
Und was ist mit den Sorgen der Wimberner? Was mit „Wenn die Polizei | |
vorfährt, ist der Bestatter längst da“? Kirchner und Ernst atmen tief | |
durch. Ach was, sagt Ernst dann, die Polizei würde sich auf die neue | |
Situation einstellen, häufiger patrouillieren. Krankenschwestern, Köche, | |
Sozialarbeiter, Psychologen und Wachdienst würden sich um die Bewohner | |
kümmern. | |
Aber 500 Flüchtlinge auf 832 Einwohner, das ist doch schon merkwürdig. Im | |
Gegenteil, findet Ernst: „Wimbern ist gut geeignet, weil die Klinik nicht | |
direkt an eine Wohngegend angrenzt.“ Isolierung als Vorteil. | |
Erst mal wird kein Flüchtling nach Wimbern kommen. In Deckenverkleidungen | |
des Klinikgebäudes wurde PCB gefunden. Die Chlorverbindung ist | |
krebserregend. Jetzt streitet die Bezirksregierung, die das Gebäude bereits | |
für einen symbolischen Euro pro Monat mietet, mit dem Eigentümer des | |
Gebäudes, dem Hospitalverbund Hellweg. Keine Seite will die auf 300.000 | |
Euro geschätzten Sanierungskosten zahlen. | |
## Im Rechtsclinch | |
Auch Dorf und Bezirksregierungen streiten vor Gericht. Es geht um die | |
Frage, ob das Land den Flächennutzungsplan für das Klinikgelände gegen den | |
Willen der Gemeinde ändern darf, damit dort ein dauerhaftes Heim entstehen | |
darf. Das Duell kann sich bis ins Frühjahr ziehen. | |
Zum Schluss erzählt Asyldezernent Ernst von den Zeiten der Balkankriege, | |
Mitte der 90er Jahre. Damals gab es 18 solcher Asylbewerberheime in | |
Nordrhein-Westfalen. Er berichtet, die Kollegen hätten damals eine ZUE in | |
nur einer Woche hochgezogen. „Da war nix mit Nutzungsänderung.“ Schwerere, | |
einfachere Zeiten. Dann lehnt er sich ermattet zurück und sagt: „Wo man so | |
eine Einrichtung auch hochfährt, ist sie falsch.“ | |
In Wimbern haben sie am Wochenende erst mal Winterschützenfest gefeiert. | |
Die beiden Kneipen waren voll, die Zigarettenautomaten leer, und in der | |
Schützenhalle spielte die Band „Die Krachmacher“. | |
11 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
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