| # taz.de -- Flüchtlinge in Deutschland: Hoffnung in Berlin, Hilfe in Hamburg | |
| > Die Flüchtlinge in Berlin haben ihren Hunger- und Durststreik vorerst | |
| > abgebrochen – die SPD will helfen. In Hamburg erfahren die | |
| > „Lampedusa-Flüchtlinge“ Solidarität. | |
| Bild: Flüchtlinge in Berlin. | |
| BERLIN/HAMBURG dpa | Die mehr als 20 Flüchtlinge am Brandenburger Tor in | |
| Berlin haben ihren seit zehn Tagen dauernden Hungerstreik vorläufig beendet | |
| und bis Januar ausgesetzt. Das provisorische Protestcamp wurde aufgelöst, | |
| sagte Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) am Samstag. | |
| Die Flüchtlinge hatten auch seit fünf Tagen kein Wasser mehr getrunken. Die | |
| völlig erschöpften Asylbewerber werden provisorisch bis Montag in einer | |
| Einrichtung der evangelischen Kirche untergebracht, sagte Kolat. | |
| Zuvor hatten Vertreter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die | |
| Senatorin und der SPD-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Veit mit den | |
| Flüchtlingen verhandelt. Der Vertreter des Bundesamtes sagte den aus Bayern | |
| stammenden Flüchtlingen eine Prüfung ihrer Asylanträge zu, sagte Kolat. Die | |
| SPD-Politiker versprachen den Flüchtlingen, ihre politischen Forderungen zu | |
| unterstützen. Daraufhin erklärten sich die Flüchtlinge bereit, ihren | |
| Hungerstreik bis Mitte Januar auszusetzen. Kolat und Veit zeigten sich sehr | |
| erleichtert darüber. | |
| Die Flüchtlinge waren Anfang Oktober aus Bayern in die Hauptstadt gekommen, | |
| um mit einer Mahnwache vor dem Brandenburger Tor eine Anerkennung als | |
| Asylbewerber zu erreichen. Am 9. Oktober begannen sie ihren Hungerstreik, | |
| seit Anfang der Woche verweigerten sie auch Wasser. Nach ihren Angaben | |
| warten sie teils seit Jahren in Bayern auf die Anerkennung ihrer Anträge. | |
| Zudem beklagten sie besonders restriktive Unterbringungen in Bayern. | |
| ## „Humane Einwanderungspolitik“ | |
| „Die Flüchtlinge setzen den Hungerstreik bis Mitte Januar aus“, sagte | |
| Kolat. Ihre politischen Forderungen nach Anerkennung des Asyls, Abschaffung | |
| der Residenzpflicht und einer Arbeitserlaubnis hielten sie aber aufrecht. | |
| Den Termin Januar begründete die Integrationssenatorin damit, dass die neue | |
| Bundesregierung bis dahin Zeit habe, eine offenere Asylpolitik umzusetzen. | |
| Dazu zählt vor allem eine schnellere Arbeitserlaubnis. Bisher dürfen | |
| Asylbewerber erst nach neun Monaten nach einem Job suchen. Ferner soll nach | |
| Angaben Kolats die Residenzpflicht aufgelockert werden. Bisher dürfen die | |
| Asylbewerber eine zugewiesene Stadt oder Landkreis nicht verlassen. Zudem | |
| solle ein Bleiberecht für sogenannte Kettenduldungen geprüft werden. Das | |
| bedeute, falls der Asylantrag abgelehnt werde, die Antragsteller aber immer | |
| wieder geduldet würden, dass man ihnen dann ein nicht befristetes | |
| Bleiberecht gewähre, erläuterte Kolat. Die SPD unterstütze diese | |
| Forderungen. | |
| Die vorläufige Unterbringung in einer kirchlichen Einrichtung hatte Veit | |
| vermittelt. Er hoffe, auch in der kommenden Woche eine Unterkunft bei der | |
| Kirche für die Flüchtlinge zu finden, sagte der SPD-Politiker. Am | |
| Donnerstag hatte der Berliner Landesbischof Markus Dröge die Flüchtlinge | |
| auf dem Pariser Platz besucht und Hilfe versprochen. Von den | |
| verantwortlichen Politikern forderte der Bischof eine „humane | |
| Einwanderungspolitik“. | |
| Kolat hatte zuvor davor gewarnt, den Flüchtlingen falsche Hoffnungen zu | |
| machen. Die Forderung nach einer pauschalen Anerkennung sei rechtlich | |
| schwer möglich, sagte Kolat am Samstag dem rbb-Inforadio. | |
| ## Solidarität in Hamburg | |
| In Hamburg erfahren die seit Juni in der St. Pauli-Kirche lebenden rund 80 | |
| „Lampedusa-Flüchtlinge“ indes viel Solidarität. Schüler der Hamburger | |
| Stadtteilschule am Hafen wollen helfen. Weil es in dem in direkter | |
| Nachbarschaft liegenden Gotteshaus keine Duschen, nicht genug Toiletten und | |
| auch keine vernünftige Heizung gibt, wollen die Jugendlichen den | |
| Flüchtlingen während der Wintermonate ihre Sporthalle als Nachtquartier zur | |
| Verfügung stellen. „Wir fordern die Stadt Hamburg auf, sich dieser Lösung | |
| nicht zu widersetzen“, verlangen sie in einem Schreiben. | |
| Doch genau das dürfte wohl passieren. Der Vorstoß dürfte genauso erfolglos | |
| sein wie der von Pastor Sieghard Wilm. Dem wurde das Aufstellen von | |
| Wohn-Containern im Kirchhof auch unter Hinweis auf eine möglicherweise | |
| strafbare Beihilfe zum illegalen Aufenthalt verboten. Denn der SPD-Senat | |
| unter Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) setzt schon seit Ankunft der | |
| Flüchtlinge, die von Libyen über die italienische Insel Lampedusa nach | |
| Hamburg kamen, auf einen harten Kurs. Das war im März. | |
| Es gebe für die vorwiegend aus Westafrika, Ghana, Mali oder von der | |
| Elfenbeinküste stammenden Männer in Hamburg „keine dauerhafte Perspektive�… | |
| sagte Scholz im Juni und lässt dies nun von seinem Innensenator Michael | |
| Neumann (SPD) in die Tat umsetzen. Rund drei Wochen nach der Bundestagswahl | |
| hat die Polizei begonnen, gezielt Afrikaner zu überprüfen, ob sie illegal | |
| in Deutschland sind. Er habe jetzt handeln müssen, verteidigt Neumann sein | |
| Vorgehen. Alle Gespräche hätten zu nichts geführt. | |
| ## Asylverfahren in Italien durchlaufen | |
| Mehrere Hundert vor Lampedusa ertrunkene Flüchtlinge hin, zahlreiche | |
| Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen aus der Bevölkerung her. Auch | |
| Ausschreitungen und die Drohung aus dem Autonomen-Lager, Hamburg nicht zur | |
| Ruhe kommen zu lassen, beeindruckt den SPD-Senat nicht. „Noch so schwierige | |
| Einzelschicksale berechtigen nicht dazu, nationale und europarechtliche | |
| Regeln zu ignorieren und zu unterlaufen“, [1][betont Innensenator Neumann | |
| im Einklang mit CDU und FDP.] Und das Ausländer- und Asylrecht sieht eben | |
| vor, dass jeder Flüchtling vorstellig wird und sagt, wer er ist und woher | |
| er kommt. | |
| Genau das wollten die Männer aber bislang auf keinen Fall, steht für sie | |
| doch fest: Der einzige Grund, warum sie ihre Identitäten preisgeben sollen, | |
| liegt darin, ihre Abschiebung vorzubereiten. Und dass dieser Verdacht nicht | |
| von der Hand zu weisen ist, bestätigt das Recht selbst. So heißt es etwa im | |
| Asylverfahrensgesetz, dass eine Anerkennung als Asylberechtigter | |
| ausgeschlossen ist, wenn der Antragsteller über einen sicheren Drittstaat – | |
| im konkreten Fall zweifelsfrei Italien – eingereist ist. | |
| Hinzu kommt, dass die Flüchtlinge bereits selbst darauf hingewiesen haben, | |
| dass sie in Italien schon Asylverfahren durchlaufen haben. „Weshalb ein | |
| erneutes Verfahren nicht nur unnötig ist, es macht auch rechtlich keinen | |
| Sinn“, heißt es in einem offenen Brief der Gruppe an den Senat. | |
| [2][Aus Sicht der Flüchtlinge] kommt nur eine Gruppenanerkennung nach | |
| Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes infrage. „Dieser Paragraf wurde | |
| geschaffen, um aufwendige und langandauernde Einzelverfahren für eine | |
| größere Anzahl Personen, die alle gleichen Kriterien entsprechen, zu | |
| vermeiden“, betonen die Flüchtlinge und liegen damit auf der gleichen Linie | |
| mit den Grünen, Linken und der Kirche. Ob dieser Paragraf zur Anwendung | |
| kommt, liege im Ermessen der jeweiligen Landesregierung – sofern das | |
| Bundesinnenministerium in Berlin zustimmt. | |
| 20 Oct 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.neumann-hamburg.de/2013/10/12/klarer-kurs/ | |
| [2] http://lampedusa-in-hh.bplaced.net/wordpress/offener-brief-der-gruppe-lampe… | |
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