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# taz.de -- Abschiebehaft vor dem Aus?: Nicht wie Verbrecher behandeln
> Ein Münchner Gericht hat einen Flüchtling freigelassen, weil er in ein
> normales Gefängnis eingeliefert wurde. Ein Streit zwischen Bund und
> Ländern eskaliert.
Bild: Kein Ort für Flüchtlinge: Das Gefängnis München-Stadelheim.
BERLIN taz | Die Abschiebehaft steht in mehreren Bundesländern
möglicherweise vor dem Aus. Das Landgericht München II hat einen
eritreischen Flüchtling, der zurück nach Italien abgeschoben werden soll,
am Donnerstag freigelassen. In seiner Inhaftierung in der
Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim sahen die Richter einen Verstoß
gegen EU-Recht.
Dieses schreibt vor, dass Ausländer, die abgeschoben werden sollen, nicht
gemeinsam mit Strafgefangenen festgehalten werden dürfen. In den meisten
Bundesländern ist das aber so üblich. Lediglich Berlin, Brandenburg und
Rheinland-Pfalz haben eigens einen „Abschiebegewahrsam“ eingerichtet.
Schleswig-Holstein und Hessen unterhalten eine Mischform, die einer
juristischen Überprüfung Stand möglicherweise Stand halten könnte. Alle
anderen Bundesländer aber weisen Flüchtlinge, die sie abschieben wollen, in
Justizvollzugsanstalten ein, wo sie gemeinsam mit Strafgegangenen sitzen,
obwohl sie keine Straftat begangen haben.
Als „Durchbruch für Flüchtlinge und Migranten“ bezeichnet Dieter Müller,
Seelsorger beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst in München, die Münchner
Gerichtsentscheidung deshalb. Er rechnet schon in den nächsten Tagen mit
weiteren Entlassungen. „Wir haben in den letzten Wochen etwa 35
vergleichbare Fälle an Anwälte vermittelt“, sagte er. „Als Seelsorger
stellen wir immer wieder fest, wie stark die Betroffenen unter der
Stigmatisierung leiden, wie Verbrecher behandelt zu werden.“
Auch dem Europäischen Gerichtshof in Brüssel liegen Beschwerden von
Abschiebehäftlingen vor, die in normalen Gefängnissen untergebracht sind.
Die Entscheidungen über diese Fälle stehen noch aus. Wegen der anhaltenden
Kritik aber haben die rot-grünen Landesregierungen in Rheinland-Pfalz und
Schleswig-Holstein bereits angekündigt, die Abschiebehaft ganz abzuschaffen
und Vorbereitungen getroffen, um ihre Anstalten zu schließen.
## Mehrere Alternativen möglich
Welche Konsequenzen das Urteil haben könnte, dazu halten Experten mehrere
Szenarien für denkbar. Eine Möglichkeit wäre, Insassen aus anderen
Bundesländern in die Abschiebehaftanstalten in Berlin-Grünau und im
brandenburgischen Eisenhüttenstadt zu verlagern, weil diese derzeit über
viele freie Plätze verfügen. Der Berliner Bau gilt allerdings als marode
und das Land will ihn abreißen, sobald es ein neues, kleineres Gebäude
gefunden hat. In Brandenburg wäre hingegen Platz.
Zumindest die rot-grünen Länder und das rot-rot-regierte Brandenburg
könnten aber auch Alternativen zur Abschiebehaft entwickeln. Das Urteil
könnte aber auch dazu führen, dass sich der Bund stärker an den Kosten für
den Bau neuer Abschiebehaftanstalten beteiligt. Denn nach Schätzungen von
Seelsorgern und Beratern werden 60 bis 80 Prozent der betroffenen
Flüchtlinge inzwischen nicht mehr durch die Ausländerbehörden der
Bundesländer, sondern durch die Bundespolizei in die
Abschiebehafteinrichtung eingewiesen.
Das betrifft Asylsuchende, bei denen noch nicht entschieden ist, ob
Deutschland oder ein anderer EU-Staat für ihren Asylantrag zuständig ist,
oder die ihr Asylverfahren aus der Haft heraus betreiben müssen. Für die
Kosten der Haft kommen die Länder auf. Darüber gibt es zwischen den Ländern
und dem Bund aber schon länger Streit. Mehrere Länder fordern, bisher
erfolglos, dass der Bund sich an den Kosten beteiligt oder seine
Abschiebehaftpraxis ändert.
Das Beispiel des eritreischen Mannes, der jetzt in Bayern freigelassen
werden musste, zeigt, wie hoch dieser Streit schon gekocht ist. Die
Bundespolizei hatte den Mann in Bayern fest genommen, aber seine
Inhaftierung in Rheinland-Pfalz beantragt, weil sie fürchtete, ein Gericht
in Bayern könnte die dortige Praxis der Abschiebehaft monieren.
Doch das Bayerische Innenministerium wollte für die Kosten der Überführung
nicht aufkommen. Nun ist es genau so gekommen, wie es die Bundespolizei
befürchtet hat. Ein größerer Affront gegen die Bundespolizei – und damit
gegen den Bund – ist kaum vorstellbar.
18 Oct 2013
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Asyl
Abschiebung
Flüchtlinge
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Berlin
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