# taz.de -- Durststreik der Berliner Flüchtlinge: „Vielleicht muss einer ste… | |
> Die Flüchtlinge in Berlin haben wenig Hoffnung, dass ihre Forderung | |
> erfüllt wird. Eine von ihnen ist Elsa Mesfen. Sie war schon zweimal im | |
> Krankenhaus. | |
Bild: Gibt einfach nicht auf: Elsa Mesfen aus Äthiopien, eine der Flüchtlinge… | |
BERLIN taz | Ein buntes Meer aufgespannter Regenschirme umringt die | |
Flüchtlinge vom Pariser Platz. Die Sonne scheint am späten | |
Donnerstagvormittag, der Regenschutz dient einstweilen nur als Schutzwall | |
vor den Touristen. | |
Es ist der neunte Tag des Hungerstreiks, der vierte des Durststreiks. Viele | |
der 29 Männer und Frauen liegen sichtlich entkräftet auf Isomatten, in | |
Schlafsäcke gemummelt. Andere sitzen auf Styroporblöcken, unterhalten sich | |
oder starren vor sich hin und rauchen. Dann und wann wird ein Kollabierter | |
weggetragen. Dreimal müssen die Notärzte bis zum Mittag kommen. | |
Elsa Mesfen sitzt auf einer gerollten Isomatte, die Arme um die Knie | |
geschlungen, die Augen starren ins Leere. Die 28-jährige Äthiopierin ist | |
eine von zwei Frauen unter den Hungerstreikenden. Sechs Jahre, erzählt sie, | |
habe sie in Griechenland gelebt, zwar ohne Papiere, aber mit Wohnung und | |
Job. Dann kam die Krise, vor zwei Jahren ging sie nach Deutschland. | |
Zunächst lebte sie in einem Flüchtlingslager im bayerischen Pfarrkirchen. | |
„Da gab es oft Essen, das über dem Verfallsdatum war“, sagt sie angewidert. | |
Außerdem keine Jobs, Einsamkeit und erzwungenes Nichtstun. | |
Beim Protestmarsch im Anschluss an den Münchner Hungerstreik im Sommer | |
lernte Elsa Mesfen die anderen der Gruppe kennen. Seitdem halten sie | |
zusammen, bekamen sogar einen Termin beim Leiter des Bundesamtes für | |
Migration (BaMF). Einen Tag vor dem Gespräch sagte Manfred Schmidt | |
allerdings wieder ab. So beschloss die Gruppe, nach Berlin zu gehen, um mit | |
„Verantwortlichen“ zu reden. | |
## Morgens kam sie zurück | |
Zweimal war Mesfen im Verlauf des Hungerstreiks im Krankenhaus, die letzte | |
Nacht ist sie dort geblieben, aber morgens um sieben Uhr kam sie zurück – | |
so wie alle bislang. Ob sie keine Angst habe, hier zu sterben? Müde zuckt | |
Elsa Mesfen mit den Schultern: Was soll man machen?, scheint es zu heißen. | |
Ob sie noch Hoffnung habe, dass die Regierung auf ihre Forderung nach | |
Aufenthaltserlaubnissen eingeht? Wieder Schulterzucken. | |
„Wir sind überall ohne Hoffnung“, wirft Sulaiman Barrie ein, der Mesfen | |
gegenüberhockt. „Das ist unser Alltag, auch im Lager sind wir hoffnungslos, | |
jeden Tag, jahrelang.“ Barrie kam vor zweieinhalb Jahren aus Sierra Leone | |
nach Deutschland. Von Bremen, wo er ankam, wurde er in ein Heim in Augsburg | |
geschickt. "Eines der schlimmsten Lager in Bayern", findet er. Trotz des | |
Hungerstreiks hat er noch die Kraft, wütend zu sein - und gibt sich | |
kämpferisch: "No retreat, no surrender" ("Kein Zurückweichen, keine | |
Kapitulation") ruft er der Reporterin entgegen. Soll heißen: aufgeben kommt | |
nicht in Frage. | |
Aufgegeben hat er auch nicht, als sein Asylantrag abgelehnt wurde, in | |
zweiter Instanz. Erst war er niedergeschlagen, erzählt er, aber dann habe | |
er mitbekommen, dass es den meisten so geht. "Sie geben uns keine Papiere, | |
einfach weil sie die Macht dazu haben. Das sind geizige Menschen“, schimpft | |
der 28-Jährige auf die Bundesregierung. „Sie saugen das Blut der Armen | |
aus.“ | |
Wieder kommen Rettungsleute und beugen sich über einen Bewusstlosen. Barrie | |
zuckt mit den Schultern. „Vielleicht muss einer von uns sterben, damit die | |
Regierung sich kümmert.“ Er klingt gar nicht mehr zornig, sondern traurig | |
und resigniert. | |
Zwischen Zorn und Schicksalsergebenheit schwankt auch Jules-Sawa Akili aus | |
Kongo. Über sein persönliches Schicksal will der junge Mann nicht reden, | |
nur über das Anliegen der Gruppe. "Wir sind hier, weil die Bedingungen in | |
den Lagern einfach unerträglich sind. Wir sind hier seit fünf oder mehr | |
Jahren, wir warten, dürfen nicht arbeiten, sind wie eingesperrt." | |
Und dann redet Akili unversehens doch über sich. Der Selbstmord seines | |
Freundes Klif Osas im August habe ihn dazu gebracht, sich nach fast fünf | |
Jahren in einem bayerischen Flüchtlingslager den Protesten anzuschließen. | |
"Mein Freund hat zwölf Jahre auf Papiere und Aufenthalt gewartet, zwölf | |
Jahre! Dieser ganze Prozess tötet dich." Darum sei es auch besser zu | |
kämpfen als nichts zu tun. "Im Lager hast du keine Zukunft. Dann sterbe ich | |
lieber hier als dort." | |
17 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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