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# taz.de -- Debatte Energiewende: Flache Gipfel
> Bei den Koalitionsverhandlungen zum Thema Energie geht es um Paragrafen
> und Fristen – nicht um eine weltweite Katastrophe. Das sollte es aber.
Bild: Der schmelzende Gletscher Pastoruri in Peru
Im Konferenzraum im 5. Stock des Umweltministeriums in Berlin-Mitte hängen
zwei große Schwarz-Weiß-Fotos von schmelzenden Alpengletschern. Das Problem
haben die Verhandler also immer vor Augen. Aber wenn sich die sechzehn
Unterhändler der CDU, CSU und SPD in der „Arbeitsgruppe Energie“ hier und
in der SPD-Zentrale zu Koalitionsgesprächen treffen, geht es bei Kaffee und
Kuchen um Fristen, Paragrafen und Subventionen, um „Kapazitätsmärkte“ und
„Direktvermarktung“. Nicht um eine weltweite Katastrophe.
Das sollte es aber. Denn was die Große Koalition zum Thema Energie
entscheidet, hat mehr Auswirkungen auf das globale Klima als die Beschlüsse
der 19. UN-Klimakonferenz, die ab Montag 520 Kilometer weiter östlich in
Warschau tagt.
Deutschland, die Ökogroßmacht, hat es in der Hand: Wenn die Energiewende
erfolgreich ist, ist das ein Zeichen an die Welt, dass es Wohlstand
jenseits von Öl und Kohle gibt. Wenn die Große Koalition aber die
Energiewende ausbremst, dann scheitert der internationale Klimaschutz.
## Klima-Kassandras klagen
Der rasche Ausbau von Wind- und Sonnenenergie zwischen Rhein und Oder ist
eine der seltenen Erfolgsgeschichten in den zähen Verhandlungen zum
Weltklima, die sich seit knapp zwanzig Jahren von einem flachen Gipfel zum
nächsten quälen. Alle Jahre wieder, kurz vor Weihnachten, versammeln sich
die Klima-Kassandras: Die Wissenschaft warnt immer konkreter vor einem
Inferno, das aber noch ein paar Jahrzehnte auf sich warten lässt; die
Umweltschützer heben den moralischen Zeigefinger, die Klimadiplomaten
feilschen nächtelang um eckige Klammern, als hinge daran die Rettung der
Welt. Die Stimmung ist mies, alle sind zum Schluss hundemüde und genervt
von den immer gleichen Argumenten der immer gleichen Akteure.
Wie angenehm ist da aus der Ferne der Blick auf Deutschland. Die
viertgrößte Volkswirtschaft der Welt macht offenbar Ernst: Atomausstieg.
Ein Viertel des Stroms kommt aus Wind und Sonne. Geld gibt es offenbar
genug. Und die Energiewende ist trotz der Kostendebatte bei der Bevölkerung
immer noch populär. Die Unternehmen jammern über ruinöse Strompreise und
genießen gleichzeitig den Boom. Die beiden wichtigsten Menschen in den
Koalitionsverhandlungen, Sigmar Gabriel und Angela Merkel, waren einmal
Umweltminister(in) und verstehen die Materie.
„Wie kann es sein, dass dieser Kurs bei den Leuten so ankommt?“, wundert
sich ein führender Beamter der US-Umweltbehörde Environmental Protection
Agency (EPA). „Ihr Deutschen seid unsere Vorbilder“, sagt der Professor für
Umweltökonomie in Schanghai. „Ihr wollt wirklich aus Atom und Kohle
gleichzeitig aussteigen?“, fragt staunend der französische Diplomat. Und
selbst die Internationale Energieagentur (IEA), lange die Lobby für Öl und
Kohle, lobt die „beachtlichen Vorteile“ der Energiewende. Denn die
Deutschen zeigen einen Weg, die Klimaverhandlungen aus ihrer gefährlichsten
Falle zu befreien: der Überzeugung, dass Klimaschutz der Wirtschaft
schadet.
Es geht in den Verhandlungen immer um Verzicht, Schrumpfung und
Selbstbeschränkung. Gerade Schwellenländer wie China und Indien, die
Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut holen wollen, lehnen
Nullwachstum aber vehement ab. Das konsensverliebte UN-System ist deshalb
seit Jahrzehnten blockiert. Der ehemalige oberste UN-Klimadiplomat, Yvo de
Boer, hat schon vor Jahren erkannt: „Wir müssen die Verhandlungen von einem
’House of Pain‘ zu einem ’House of Gain‘ machen“ – Klimaschutz als
Gewinnerthema. Aber wie? Bislang herrschte Ratlosigkeit. In Deutschland
soll die Welt nun zumindest einen Lichtblick sehen.
## Immer noch Musterschüler
Deutschland ist trotz ein paar Flecken auf der weißen Weste immer noch ein
UN-Musterschüler. Wir zahlen pünktlich unsere Beiträge, halten uns mit
Militäreinsätzen zurück und legen im Zweifel immer noch ein paar Millionen
oben drauf. Technologie „made in Germany“ gilt als spitze und wird
pünktlich geliefert. „Deutsch gut“ ist kein Witz, sondern in vielen Lände…
höchste Anerkennung.
Zum Beispiel das „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ (EEG). Was hierzulande
inzwischen als Abzocke der Bürger heftig angefeindet wird und, so die
gängige Meinung, dringend renoviert gehört, hat international Kultstatus.
65 Länder haben die Idee kopiert, Solaranlagen und Windmühlen eine feste
Vergütung zu garantieren und den grünen Strom ins Netz zu speisen. Bei
internationalen Konferenzen und Besuchern aus aller Welt wird der „German
Feed-in tariff“ seit Jahren debattiert.
Deutschland zeigt, wie man Ökostrom im Überfluss erzeugt – aber auch, wie
man die Wirtschaft damit nicht überfordert. Gerade hat der World Future
Council vorgeschlagen, den milliardenschweren „Grünen Klimafonds“ der UN
für die Finanzierung vieler nationaler EEGs zu nutzen. Und überall wird
gelobt, dass die Investitionen in Deutschland die Solarenergie weltweit so
verbilligt haben, dass sich nun auch arme Länder diese saubere und
dezentrale Energieform leisten können. Selten war Entwicklungshilfe so
effektiv.
## Endlich eine Erfolgsstory
Dieser Zusammenhang wird im ach so weltoffenen Deutschland praktisch nicht
wahrgenommen. Wenn Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin im Kohleland NRW,
und ihre neuen Freunde vom Wirtschaftsflügel der Union von der Energiewende
sprechen, ist die Rede von „Versorgungssicherheit“, bezahlbarem Strom,
Arbeitsplätzen und den Finanzen der Kommunen, die beim dreckigen
Stromriesen RWE Anteile halten. Von dem Grund für die Energiewende redet
inzwischen außer ein paar Ökos niemand mehr: nämlich von der drohenden
Klimakatastrophe, die weitaus teurer wird als alle EEGs dieser Welt
zusammen.
Nur zur Erinnerung: Der Klimawandel, das ist dieses Problem, das Angela
Merkel schon als Kanzlerin die „größte Herausforderung des 21.
Jahrhunderts“ genannt hat. Die internationalen Klimaschützer setzen auf
Deutschland, denn sie suchen händeringend nach einer Erfolgsstory für die
entscheidenden nächsten zwei Jahre: Im Dezember 2015 soll in Paris endlich
ein rechtlich verbindliches Klimaabkommen geschlossen werden, das ab 2020
für alle Staaten gilt. Inzwischen geht die Angst um, dass Paris 2015 enden
könnte wie Kopenhagen 2009: viel Show, ein Showdown, aber kein Erfolg.
Der Zeitplan bis dahin ist eng: 2014 soll das „Jahr der Ambitionen“ werden:
Der UN-Klimarat wird neue, erschreckende Fakten liefern und warnen, dass
der Klimawandel bald zur Klimakatastrophe wird.
Für September hat UN-Chef Ban Ki Moon die Staatsoberhäupter zu einem
Klima-Sondergipfel nach New York eingeladen, der dringend nötig ist. Die
„German Energiewende“ ist auch deshalb so wichtig, weil andere Fortschritte
in der Klimapolitik auf sich warten lassen. Die USA weigern sich, die
Führung zu übernehmen, und denken, ihr Erdgasboom durch das umstrittene
„Fracking“ sei eine Lösung. China investiert in eine grüne Wirtschaft, ba…
aber gleichzeitig den Kohlesektor weiter aus. Die EU sucht zwischen den
Pleiteländern des Südens und den Kohleländern des Ostens verzweifelt nach
einem gemeinsamen Weg in der Energiepolitik.
Ein bisschen Stolz oder zumindest Selbstbewusstsein über diesen deutschen
Exportschlager stünde den Unterhändlern beim Tauziehen um eine schwarz-rote
Energiepolitik gut zu Gesicht. Stattdessen ähneln die
Koalitionsverhandlungen den UN-Klimagesprächen: Die Umweltseite sagt, was
gehen müsste, und die Wirtschaft sagt, was nicht geht. Der Kompromiss sieht
dann so aus: Die Bedenken der Wirtschaft werden erhört. Und die Hoffnungen
der Umweltschützer in die Präambel geschrieben und vergessen.
Ein Vorschlag: Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von 2005 standen
19 Seiten über „Deutschland als verantwortungsbewusster Partner in Europa
und der Welt“. Diese Überschrift kann man ja recyceln. Und darunter
schreiben: „Deutschlands internationale Verantwortung ist die rasche und
verbindliche Energiewende“.
9 Nov 2013
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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