# taz.de -- Klimaforschungsstadt Potsdam: Dem Aufbruch abschwören | |
> Potsdam ist Zentrum der Klimaforschung. Trotzdem schert sich die Stadt | |
> bei der Rekonstrukltion des Stadtschlosses keinen Deut um nachhaltiges | |
> Bauen. | |
Bild: Nahezu komplett zeigt sich das wiederaufgebaute Stadtschloss in Potsdam E… | |
POTSDAM taz | Das Kupferdach des neuen Potsdamer Landtags glänzt im | |
Herbstregen, die rosa Fassade ist von Sandsteinornamenten unterbrochen. Die | |
kurzsichtige Passantin könnte meinen, das von Georg Wenzeslaus von | |
Knobelsdorff entworfene Barockschloss am Alten Markt stehe da seit 1756, | |
und doch ist es ganz neu. Im Krieg beschädigt, danach gesprengt, wurde es | |
in den vergangenen drei Jahren wieder aufgebaut. Anfang nächsten Jahres | |
soll der brandenburgische Landtag einziehen. | |
Jetzt hat Potsdam also noch ein Schloss mehr. Jahrelang ist über dessen | |
Wiederaufbau gestritten worden, der verwaiste Schlossplatz geriet zum | |
Kristallisationspunkt städtischer Selbstfindung. Die Debatten fanden ihre | |
Anknüpfungspunkte in der Vergangenheit der Stadt als Preußenresidenz und | |
Garnisonstadt ebenso wie als Verwaltungssitz des Bezirks Potsdam in der DDR | |
mit seinem architektonischen Erbe. Ein Thema tauchte in der öffentlichen | |
Rede über den neuen Landtagssitz erstaunlicherweise jedoch nie auf. | |
Ist das neue Gebäude im Zentrum der Stadt ein Energieplushaus, klimaneutral | |
oder aus nachwachsenden Rohstoffen? Am anderen Ende der Telefonleitung, in | |
der Potsdamer Stadtverwaltung, herrscht erst Schweigen. Dann Gelächter. | |
Absurde Frage. Der Bauherr, das brandenburgische Finanzministerium, | |
verweist in einer Stellungnahme zum Energiekonzept des Gebäudes darauf hin, | |
dass man sich bei der Ausschreibung an die gesetzlichen Vorgaben gehalten | |
habe . | |
So wird das Barockschloss zum Symbol einer Gesellschaft, die den Aufbruch | |
in eine neue Klimakultur nicht wagt – und zum Menetekel der nächsten | |
Klimakonferenz in Warschau, die nächsten Montag beginnt. Elf Tage lang | |
werden über 190 Staaten in der polnischen Hauptstadt auf der 19. | |
Klimakonferenz der Vereinten Nationen versuchen, einen neuen Klimavertrag | |
als Anschluss an das Kioto-Protokoll auf den Weg zu bringen. | |
## Wer blinzelt zuerst? | |
Etablierte Industrienationen und aufstrebende Schwellenländer stehen sich | |
dabei bislang bewegungslos gegenüber. Während die Weltmeere sich erwärmen, | |
die Gletscher schmelzen und je nach Region Dürren oder Unwetter zunehmen, | |
warten beide Blöcke, wer als Erster blinzelt. Laut UNO stößt die Menschheit | |
derzeit 50 Milliarden Tonnen Treibhausgase aus, Tendenz steigend. | |
Die größten Zuwächse verzeichnen dabei sich entwickelnde Ökonomien wie | |
China. Aber sowohl die Verantwortung als auch die Möglichkeiten, | |
Alternativen zu ressourcenintensivem Wachstum zu entwickeln, liegen in den | |
reichen Industrienationen. Hier gibt es nur wenige Städte, die noch | |
wachsen. Das kleine Potsdam mit seinen nunmehr 160.000 Einwohnern gehört | |
dazu. | |
Ganze Stadtviertel werden neu gebaut. Genau wie die Landesregierung beim | |
wiederaufgebauten Stadtschloss ist die Potsdamer Stadtverwaltung dabei mit | |
der Einhaltung von Bundesgesetzen zufrieden und verweist auf das | |
umweltfreundliche Gas- und Dampfturbinen-Heizkraftwerk von 1996. Autofreie | |
Stadtviertel? Eine ambitionierte Förderung erneuerbarer Energien für | |
Neubauten? | |
Fehlanzeige. Und mit dem Ziel, gegenüber dem Vergleichsjahr 2005 im Jahr | |
2020 zwanzig Prozent weniger CO2 auszustoßen, fällt die Stadt sogar hinter | |
die Kompromisswerte der EU-Kommission zurück (die als Referenzjahr 1990 | |
festlegt). Die örtlichen Grünen präsentieren sich als politischer Arm der | |
Denkmalschutzbehörde und diskutieren hingebungsvoll den Erhalt historischer | |
Pflastersteine. | |
## Zentrum der weltweiten Klimaforschung | |
Und das in einer Stadt, die sich im vergangenen Jahrzehnt zu einem Zentrum | |
der weltweiten Klimaforschung entwickelt hat. Auf dem Telegraphenberg im | |
Südwesten residieren das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, das | |
durch zahlreiche Mitarbeiter im Expertenrat des IPCC vertreten ist; das | |
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) und das | |
Deutsche GeoForschungsZentrum (GFZ). | |
Kaum zwei Kilometer Luftlinie entfernt sitzt das Institute for Advanced | |
Sustainability Studies (IASS) mit seinem prominenten Chef und Gründer Klaus | |
Töpfer. Sie alle arbeiten zum Thema Klimawandel – und bleiben in der | |
öffentlichen Auseinandersetzung über die Entwicklung Potsdams stumm. | |
„Wenn es eine Debatte über die zukunftsfähige Stadt geben würde, würden w… | |
uns schon einbringen“, sagt ein Sprecher des GFZ, „aber die gibt es in | |
Potsdam ja nicht.“ Das AWI, mit einem Wissenschaftler vom Standort | |
Bremerhaven ebenfalls am aktuellen IPCC-Bericht beteiligt, teilt mit, man | |
nehme gerne „zur Polar- und Meeresforschung Stellung“, beteilige sich aber | |
nicht an „baupolitischen Debatten in Potsdam“. | |
Wie notwendig wäre aber genau das. Wir werden ressourcenextensiver bauen, | |
wohnen und uns bewegen müssen, wenn wir den Klimawandel wirklich steuerbar | |
halten wollen. Über das Wissen darüber verfügen wir längst. Der | |
Klimawissenschaftler Mojib Latif sieht „kein Erkenntnis-, sondern ein | |
Umsetzungsproblem“. Zu besichtigen ist das in Potsdam, das mit seinem | |
nagelneuen Landtag jedem Aufbruch abschwört und sich stattdessen ein | |
Postkartenmotiv gebaut hat, inmitten der Stadt. Was für ein Signal. | |
11 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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