| # taz.de -- Ursula von der Leyen: Kanzlerin der Reserve | |
| > Sie wird als Pin-up-Girl verunglimpft oder als feministische Sensation | |
| > bejubelt. Dabei beweist sie, wie irrelevant die Kategorien Mann und Frau | |
| > geworden sind. | |
| Bild: Ursula von der Leyen ist ein politischer Vollprofi, der hart, geschickt u… | |
| BERLIN taz | Die Nominierung Ursula von der Leyens für das | |
| Verteidigungsministerium hat sofort jede Menge Reflexe ausgelöst. Die | |
| Diskussion auf Twitter zeigt, zu welch reaktionärer Dumpfheit eine | |
| Gesellschaft im Jahr 2013 noch fähig ist. | |
| Ein Nutzer postete eine Fotomontage, die Soldaten mit einem Haarhelm à la | |
| von der Leyen zeigen. Ein anderer sinnierte über das neue Pin-up-Girl, das | |
| künftig in den Spinden hängen werde. Ein öffentlich-rechtliches | |
| Fernsehmagazin stellte ein Bild von der Leyens ins Netz, das sie als | |
| halbnackte Lara Croft mit dicken, ja, Knarren zeigt. | |
| Eine Frau als oberste Chefin der Bundeswehr regt die Fantasie an. Und wie | |
| immer, wenn eine Männerbastion fällt, gehen die Ausschläge ins Extreme: von | |
| Sexismus bis zum Jubel über den genderpolitischen Ausnahmefall. | |
| Ist Ursula von der Leyen als erste Verteidigungsministerin der | |
| Bundesrepublik also der letzte Beweis für die Gleichstellung von Mann und | |
| Frau? Dafür, dass Frauen, die wollen, überall hin kommen? | |
| Ja und nein. Von der Leyens Karriereschritt ist ein Novum. Aber er bildet | |
| eher gesellschaftliche Normalität ab, denn eine feministische Revolution. | |
| ## Ein politischer Vollprofi | |
| In der Liga, in der sich von der Leyen bewegt, ist die Kategorie Geschlecht | |
| inzwischen so irrelevant wie die Kategorie Haarfarbe, Körpergröße oder | |
| Kleidungsstil. Ursula von der Leyen, 55, Ex-Landesministerin für | |
| Gesundheit, Ex-Bundesfamilienministerin und Ex-Bundesarbeitsministerin, ist | |
| – neben Angela Merkel – der machtbewussteste Mensch in der CDU. Ein | |
| politischer Vollprofi, der hart, geschickt und strategisch agiert. | |
| Wie klug von der Leyen ihre Karriere plant, hat sie im Pokerspiel um die | |
| Ministerien bewiesen. Sie wollte mit aller Macht verhindern, im | |
| ungeliebten, da wenig strahlkräftigen Gesundheitsressort zu landen. Und sie | |
| hat sich durchgesetzt. Sie geht mit dem neuen Amt ein hohes Risiko ein, um | |
| einen nächsten Karriereschritt vorzubereiten – von der Leyen ist ab jetzt | |
| Kanzlerin der Reserve. Diese Strategie, das Risiko zu wählen, um | |
| weiterzukommen, ist ein Verhalten, das bislang vor allem Männern | |
| zugeschrieben wurde. | |
| Aber von der Leyen ist eine Alphafrau: Sie ist rhetorisch brillant, | |
| talkshowtauglich und eines der werbewirksamsten Gesichter, das die CDU hat. | |
| Mit all dem hat sie die Kanzlerin unter Druck gesetzt, ihr ein möglichst | |
| wichtiges Ressort zu geben. | |
| Das Verhältnis der beiden Frauen zueinander ist nicht von ihrem Frausein | |
| geprägt oder von einem besonderen Führungsstil, den angeblich nur Frauen | |
| pflegen. Zwischen Merkel und von der Leyen geht es um Professionalität, um | |
| Taktik, und oft genug geht es dabei brutal zu. Ganz normal also im | |
| Politikbetrieb. Die beiden Frauen haben Geschlechterklischees hinter sich | |
| gelassen. | |
| ## Angst vor männlichem Machtverlust | |
| Die – meist männlichen – Vollidioten, die sich jetzt im Internet über von | |
| der Leyens Pin-up-Qualitäten lustig machen, demonstrieren damit vor allem | |
| ihre Angst: vor Stärke, vor Überlegenheit, vor männlichem Machtverlust. | |
| Selbst sich fortschrittlich fühlende Politiker sind vor falschen | |
| Vorurteilen über Weiblichkeit nicht gefeit. Gregor Gysi, der Fraktionschef | |
| der Linken, sagte bei Jauch den stammtischtauglichen Satz: „Wenn man sieben | |
| Kinder hat, will man nicht, dass sie in den Krieg gehen.“ | |
| Trotzdem wird Ursula von der Leyen jetzt vermutlich nicht die | |
| Soldatenmutter der Nation. Ihr verteidigungspolitischer Kurs wird sich nach | |
| ihren ideologischen Überzeugungen richten. | |
| Zwar weiß von der Leyen, wie man unterprivilegierte Gruppen für sich | |
| gewinnen und dadurch gesellschaftliche Klischees zum eigenen Gewinn nutzen | |
| kann. Sie kämpfte für das „warme Mittagessen“ für Hartz-IV-Kinder, Mütt… | |
| und arme Rentner. In ihrem neuen Amt aber wird die Verteidigungsministerin | |
| über vieles nachdenken, aber nicht darüber, ob sie als Mutter ein | |
| besonderes Verhältnis zum Leben, Sterben oder Töten zu haben hat. | |
| ## Der Umgangston ändert sich eh schon | |
| Wird sie wenigstens die Bundeswehr verändern? Wird der Ton bei „der Truppe“ | |
| künftig weniger rau sein? Wird es weniger sexuelle Übergriffe geben? Und | |
| mehr Psychotherapie für traumatisierte Soldaten? Wohl kaum. Für Veränderung | |
| sorgt die Bundeswehr schon selbst. | |
| Seit sie sich im Jahr 2001 für Frauen öffnete, ändert sich der Umgangston | |
| merklich. Er sei jedenfalls, so steht es in der bislang einzigen Studie | |
| über Frauen in der Bundeswehr, „netter“ geworden, seit 18.000 Soldatinnen | |
| nicht nur Wunden behandeln, sondern auch schießen dürfen. | |
| Ursula von der Leyen indes hat für den Umgang mit überholten | |
| Rollenklischees eine Doppelstrategie entwickelt. Wenn sie ihr schaden | |
| könnten, ironisiert sie sie. „Ich habe nicht gedient“, war einer ihrer | |
| ersten Sätze bei Günter Jauch am Sonntag in der ARD. Damit hatte sie die | |
| Lacher auf ihrer Seite. Gleichzeitig dekonstruierte sie damit geschickt | |
| eine Idee, die bis heute nicht aus den Köpfen zu kriegen ist: Ein Minister, | |
| denken und schreiben viele, müsse Berufserfahrung in seinem Ressort haben. | |
| ## Keine Truppenbetreuerin | |
| Um ein Ministerium zu leiten, sind aber ganz andere Qualitäten gefragt. Wie | |
| jede Leitungskraft braucht eine Ministerin Führungskompetenz, | |
| Managerfähigkeiten und politischen Instinkt. Über all dies verfügt von der | |
| Leyen zu Genüge, das müssen selbst jene akzeptieren, die ihre politische | |
| Linie für falsch halten. | |
| Sie wird ihren Job nicht als den einer Truppenbetreuerin auslegen, sondern | |
| sich wie eine Nebenaußenministerin verhalten, also ihr Revier vergrößern. | |
| Und wie ist das mit Frauen als militärische Vorgesetzte? Kein Problem. | |
| Zumindest sehen das laut der Bundeswehrstudie über drei Viertel der Männer | |
| und über 90 Prozent der Frauen bei der Truppe so. | |
| Worüber Deutschland jetzt zu debattieren beginnt, ist anderswo längst | |
| geklärt. Beispielsweise in Spanien: Im Jahr 2008 wurde Carme Chacón als | |
| Verteidigungsministerin berufen, 2011 nahm sie hochschwanger eine | |
| Militärparade ab. Ihre Mutterschaft machte die Katalanin nicht etwa weicher | |
| und sozialer. Als sie nach ein paar Wochen Babyzeit ins Amt zurückkehrte, | |
| feuerte sie gleich mal vier ranghohe Armeeoffiziere. | |
| Oder Amerika: Dort gibt es mittlerweile 200.000 Soldatinnen – mehr als die | |
| Gesamtstärke der Bundeswehr. In den vergangenen zehn Jahren wurden rund | |
| 280.000 US-Soldatinnen in Kampfgebieten eingesetzt, beispielweise in | |
| Afghanistan und im Irak. 130 kamen bislang ums Leben, rund 800 wurden | |
| verletzt. Und die Soldatin Lynndie England folterte im Gefängnis Abu | |
| Ghraib. | |
| Mit der Integration von Frauen – ob als einfache Soldatinnen oder als | |
| Chefinnen – ist in den USA eine eigene Gender- und Diversity-Behörde | |
| beschäftigt. Dort geht es längst nicht mehr nur um Frauen, sondern auch um | |
| Migrantinnen und Migranten, Homosexuelle und religiöse Minderheiten. | |
| 16 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
| Ulrich Schulte | |
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