# taz.de -- Die Krise des Bremer "Weser-Kuriers": Medienhaus in Schieflage | |
> Beim Bremer „Weser-Kurier“ kommen zur Zeitungskrise handfeste | |
> hausgemachte Probleme hinzu. Die Chefredakteurin ist entmachtet, der | |
> Geschäftsführer trat zurück. | |
Bild: Jede Menge Konflikte: Diesmal ging's mal "nur" ums Gehalt beim Weser-Kuri… | |
BREMEN taz | Am Weihnachtstag 2013 teilte der Bremer Weser-Kurier seinen | |
LeserInnen auf der Lokalseite mit, die Zeitung solle in Zukunft von einer | |
„Doppelspitze“ geleitet werden: der Chefredakteurin Silke Hellwig werde der | |
61-jährige Peter Bauer an die Seite gestellt, allerdings nur | |
„kommissarisch“. Aus der Verteilung der Aufgaben konnten Insider erkennen, | |
dass Bauer kommissarisch die volle Verantwortung übernehmen sollte: er | |
werde „für die Organisation der Gesamtredaktion“ verantwortlich sein, | |
während Silke Hellwig sich „vor allem publizistischen Aufgaben widmen | |
wird“. | |
Was den Zeitungslesern nicht gesagt wurde: Die neue Regelung gilt nur, „bis | |
ein neuer Chefredakteur gefunden ist“. So stand es in der tags zuvor | |
verbreiten Pressemitteilung, die in der eigenen Zeitung in dieser | |
entscheidenden Passage nicht wiedergegeben wurde. | |
## Ungeliebte Chefredakteurin | |
Wenn die Hellwig gehen würde, seien „die meisten Redakteurinnen und | |
Redakteure nicht traurig nach dem, was der DJV Bremen zu hören bekommt,“ | |
sagt Carsten Spöring vom DJV Bremen. Bereits im April 2012, sieben Monate | |
nach dem Amtsantritt der Chefredakteurin, hatte der DJV festgestellt, dass | |
das „Klima beim Weser-Kurier auf dem Tiefpunkt“ sei. Ihr Führungsstil sei | |
„unwürdig und inakzeptabel“. Im Branchendienst „meedia“ hieß es, sie … | |
als „unkommunikativ und schroff“. | |
Hellwigs Entmachtung vorausgegangen war ein Streit unter den | |
Gesellschafter-Familien, der Ende April 2013 in einer ebenfalls nebulösen | |
Pressemitteilung kulminierte: Es gebe eine „Veränderung“ im Vorstand der | |
Bremer Tageszeitungen AG, teilte der Weser-Kurier seinen LeserInnen „in | |
eigener Sache“ knapp mit: „Ulrich Hackmack, Vorstandsvorsitzender, ist nach | |
rund 14 Jahren Vorstandstätigkeit aus seinem Amt ausgeschieden.“ Grund sei | |
ein „Rechtsstreit zwischen den Gesellschaftern“, der Aufsichtsrat habe | |
Ulrich Hackmack daher „abberufen“. Mehr stand da nicht. | |
Das Ausscheiden des Mannes, der 14 Jahre die Mediengruppe leitete, hat in | |
der Belegschaft kein Bedauern ausgelöst. Die Bremer Tageszeitungen-AG | |
(BTAG), so der formelle Name der Weser-Kurier-Mediengruppe, war einmal ein | |
Unternehmen, dessen MitarbeiterInnen sich mit großem Engagement und Erfolg | |
an bundesweiten Tarifkämpfen beteiligten. Drucker und Redakteure hatten | |
gemeinsam die 35-Stunden-Woche und 30 Tage Jahresurlaub erkämpft. In den | |
Tarifvertrag einbezogen waren auch Kantinenmitarbeiterinnen, | |
Raumpflegerinnen und Austräger. | |
## Systematisch zerteilt | |
Unter Hackmack, einem Informatiker, der sich mit Power-Point-Präsentationen | |
auskennt, dem aber jegliches Geschick in Fragen der internen | |
Unternehmenskommunikation abgeht, wurde der Betrieb systematisch zerteilt. | |
Erst waren die Pförtner und der Fahrer dran, der Zeitungen nachlieferte. | |
1999 wurde der IT-Bereich der BTAG und der Oldenburger Nordwestzeitung in | |
eine gemeinsame Tochterfirma (MSP) outgesourct. 2006 wurde die Medien | |
Verkauf und Service GmbH (MVS) gegründet – ohne Tarifvertrag und ohne | |
Betriebsrat. | |
Die MVS übernahm über die Jahre immer mehr Bereiche: die telefonische | |
Anzeigenabteilung, die Kleinanzeigen, die Kundenzentren. Ende 2006 wurde | |
die Firma Pressedienst Nord (PDN) gegründet, ihr wurde zunächst die | |
redaktionelle Arbeit in Delmenhorst übertragen, die eigene | |
Regionalredaktion dafür aufgelöst. Die Zusteller wurden in tariflose | |
Zustellgesellschaften verteilt, der hauseigene Technikbereich nach außen | |
vergeben wie die Arbeit der Raumpflegerinnen und der Kantine. Im großen | |
Druckhaus wurde eine zweite Druckmannschaft installiert auf | |
Werkvertragsbasis, rund die Hälfte der Beschäftigten dort sind nicht mehr | |
Beschäftigte der BTAG. | |
Hackmack repräsentiert einen Familienstamm, der 50 Prozent der Aktien hält. | |
Sein Großvater Hans Hackmack, ein linker Sozialdemokrat, hatte 1945 von der | |
amerikanischen Militärregierung als erster in Bremen die Lizenz zur | |
Herausgabe einer Zeitung erhalten. Die konservative Traditionszeitung | |
Bremer Nachrichten, deren Distanz zum NS-Regime so gering war, dass die | |
Nazis sie bis 1944 tolerierten, durfte erst 1949 wieder erscheinen. In den | |
1980er-Jahren schluckte der Weser-Kurier die Bremer Nachrichten, beide | |
Zeitungstitel erscheinen heute mit identischen Inhalten. | |
## Ein Fünftel der Auflage weg | |
Im Jahr 1998 konnte die Weser-Kurier-Mediengruppe, zu der auch einige | |
Regionalblätter gehören, noch stolz eine Auflage mit über 200.000 | |
verkauften Stück melden – diese Marke ist für die Anzeigenpreise wichtig. | |
Wie bei allen Zeitungsunternehmen brachen die Verkaufszahlen und vor allem | |
die Anzeigenerlöse seitdem dramatisch ein. Im Jahr 2011, zu Beginn der | |
Amtszeit von Chefredakteurin Hellwig, lag die verkaufte Auflage | |
einschließlich E-Paper bei 162.789, im Jahr 2013 ist sie auf 157.229 | |
Exemplare gesunken. | |
Bevor Hackmack Silke Hellwig holte, hatte der jetzige Chefredakteur des | |
Hamburger Abendblatts, Lars Haider, die Redaktion ordentlich | |
durcheinandergewirbelt – weniger kleinteilige Nachrichten, mehr | |
„Geschichten“ und längere Lese-Texte war die Devise. Der Auflagenschwund | |
konnte damit aber nicht gestoppt werden. In der Leser-Struktur fehlen die | |
jüngeren Generationen, die Überalterung macht sich ganz besonders bei dem | |
Titel Bremer Nachrichten bemerkbar. Scherzhaft sagen | |
Weser-Kurier-Redakteure manchmal, sie müssten so schreiben, dass die „Oma | |
in Walle“ es auch versteht. | |
Dass die beiden Gesellschafter-Familien Hackmack und Meyer, die über | |
Jahrzehnte eine erhebliche Rendite gewohnt waren, nun im Streit liegen, hat | |
mit der Krise zu tun. Wie hoch die Gewinnabschöpfung in der | |
Weser-Kurier-Mediengruppe war, weiß auch der Betriebsrat nicht – über ein | |
kompliziertes Vertragswerk wandern die Überschüsse, so dessen Vermutung, in | |
die Besitzgesellschaft Hackmack-Meyer KG, die nicht publizitätspflichtig | |
ist. Gegen die Bildung eines Gesamtbetriebsrats, der das Recht auf Einblick | |
hätte, wehrt sich die Weser-Kurier-Mediengruppe vor dem Arbeitsgericht, | |
bisher erfolgreich. | |
Im Jahre 2008 gliederte Hackmack auch die Anzeigenabteilung der Bremer | |
Weser-Kurier-Mediengruppe aus – in die tariflose Medien Vermarktung Bremen | |
GmbH (MVB). In einer internen Aufsichtsrats-Vorlage hieß es, Ziel sei die | |
„Aufhebung der starren Tarifstrukturen“, die 35-Stunden-Woche solle | |
geknackt werden. Ein weiteres Ziel: „Auflösung der Blockadehaltung des | |
BTAG-Betriebsrates“. | |
Die Ausgründung war jedoch kein Erfolg: „Über Monate hat eine | |
innerbetriebliche Debatte über die Zerschlagung der Bremer Tageszeitungen | |
AG auch Mitarbeiter anderer Abteilungen verunsichert“, berichtet der | |
Vorstand dem Aufsichtsrat im Jahre 2010, es habe eine „Verunsicherung bei | |
Kunden und Marktpartnern“ gegeben. Und: „Die Hoffnungen, mit der | |
Ausgründung der Anzeigenabteilung einen ,kooperativen‘ Betriebsrat zu | |
erhalten, hat sich leider nicht erfüllt.“ Die in der Bilanz 2011 | |
ausgewiesenen Erlöse aus Anzeigen und Beilagen betrugen 34,3 Millionen | |
Euro, 2010 waren es noch 35,4 Millionen gewesen. | |
Die Konsequenz folgte Ende 2012: Das Anzeigengeschäft wurde der MVB | |
weggenommen und auf eine neu gegründete Stark Kundenservice Center GmbH | |
(SKC) übertragen, die Mehrzahl der MitarbeiterInnen konnte sich dort | |
bewerben und bekam ihre alten Vertriebsgebiete wieder, nur der zu wenig | |
kooperative Betriebsrat und rund ein Dutzend MitarbeiterInnen blieben bei | |
der MVB. Seitdem treffen sich die zurückgelassenen Akquisiteure mit ihrem | |
früheren Geschäftsführer vor allem vor dem Arbeitsgericht. | |
## Erfolglose Ausgründungen | |
Nach rund 20 Verfahren hat das Bremer Landesarbeitsgericht im Dezember | |
festgestellt, dass die Übertragung des Anzeigen-Auftrages auf die SKC de | |
facto ein Betriebsübergang sei, Mitarbeiter und Betriebsräte also einen | |
Weiterbeschäftigungsanspruch hätten. Der | |
Weser-Kurier-Aufsichtsratsvorsitzende Johannes Weberling will vors | |
Bundesarbeitsgericht gehen, das dürfte noch einmal ein Jahr kosten. | |
Die Bilanz der MVB nach der Ausblutung ist streng geheim – bei heute 17 | |
verbliebenen MitarbeiterInnen darf man getrost eine Millionen Euro | |
Lohnkosten pro Jahr annehmen. Dem stehen Anzeigen-Provisionen von rund | |
25.000 Euro entgegen. Mit weiter sinkenden Anzeigeneinnahmen wurde im | |
vergangenen Sommer der Abbau weiterer 110 Arbeitsplätze angekündigt. | |
Ein wenig glückliches Händchen hatte die Mediengruppe Weser-Kurier auch mit | |
dem Schritt in die multimediale Welt. Mit 20 Prozent der | |
Gesellschafteranteile hatte sie sich beim Stadtfernsehen Center TV Bremen | |
eingekauft, der spröde Geschäftsführer Ulrich Hackmack trat in einer | |
Koch-Show mit dem Titel „Lecker rechnen“ auf, in der aber nur Salate | |
zubereitet wurden. In der Bilanz 2011 steht die Beteiligung an Center TV | |
mit einem Verlust von 50.000 Euro, die geldwerte Unterstützung für den | |
Sender dürfte aber ein Vielfaches betragen. Im Sommer 2013 wurde der | |
Sendebetrieb eingestellt. | |
21 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
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