# taz.de -- Trotzige Heimatzeitung: Fast auf jedem Küchentisch | |
> Die „Rheiderland Zeitung“ ist eine von zwei unabhängigen Lokalzeitungen, | |
> die von Ostfrieslands einst blühender Presselandschaft übrig geblieben | |
> sind. | |
Bild: Trutzburg in Weener: Die Rheiderland Zeitung hat sich schon immer gegen E… | |
LEER taz | Sie ist, wie man in Ostfriesland sagt, „heel wat Besünners“ (was | |
ganz Besonderes): die Rheiderland Zeitung. Als eine der ältesten | |
familiengeführten Zeitungen Deutschlands widersetzte sie sich bis zu ihrer | |
Stilllegung 1943 der nationalsozialistischen Übernahme. Vor neun Jahren | |
blockte sie schlitzohrig die Einflussnahme überregionaler Monopolisten ab. | |
Eingeklemmt zwischen Nordsee, der niederländischen Grenze und der Ems liegt | |
das ostfriesische Rheiderland. Inoffizielle, ostfriesische Bezeichnung: | |
„Dat End van’d Weereld“ (das Ende der Welt). Fast jedes Klischee über | |
Ostfriesland trifft auf das Rheiderland zu: Der Horizont ist weit, die Kühe | |
trinken Tee und mehr als ein „Moin“ ist den eloquenten Ureinwohnern nicht | |
zu entlocken – wenn man sie auf Hochdeutsch anspricht. Hier also, da wo | |
sich Hase und Fuchs gute Nacht sagen, ist die Rheiderland Zeitung (RZ) seit | |
1860 „ons Blaatje“ (unsere Zeitung). Mit einer verkauften Auflage von 5.475 | |
Exemplaren, darunter über 4.000 Abos, liegt sie bei den etwa 27.000 | |
RheiderländerInnen so gut wie auf jedem Küchentisch. | |
„Es ist schwer zu erklären, was die RZ ausmacht“, sinniert Berthold Pastoor | |
aus Critzum. Seit 14 Jahren ist er Zeitungsbote der RZ. „Sie ist ein Stück | |
Heimat.“ Und Heimat bedeutet den Rheiderländern viel. Bingum, Jemgum, | |
Ditzum, Hatzum, Midlum - die meisten Dorfnamen enden auf -um, auf Platt | |
bedeutet diese Silbe „Heimat“. | |
„Wir kennen unsere LeserInnen, unser Erscheinungsgebiet ist ja | |
überschaubar“, erklärt Kai-Uwe Hanken, seit zwei Jahren Chefredakteur der | |
RZ. Früher hieß dieser Posten „Schriftleiter“. Einen Chef vom Dienst gibt | |
es nicht, jedeR der sechs RedakteurInnen bekommt morgens seine Seiten als | |
Aufriss und die Themen zugeteilt. Bis zu 14 Seiten erstellt die Redaktion. | |
Die lokale Titelseite wird nachmittags festgelegt. | |
Der überregionale Mantel kommt seit 2005 von der Neuen Osnabrücker Zeitung. | |
„Das war ein echter Coup“, sagt der Chefredakteur. Denn mit dem Wechsel von | |
der oldenburgischen Nord-West-Zeitung zur Osnabrücker wehrte die RZ einen | |
Übernahmeversuch der Oldenburger ab. „Der Verlag hat eine Menge investieren | |
müssen, neue Maschinen wurden angeschafft, die Zeitung erschien in neuem | |
Format und durchgehend vierfarbig. Aber wir blieben unabhängig“, sagt | |
Hanken. | |
Diese Unabhängigkeit musste schon einmal verteidigt werden. Seit 1932 | |
versuchten die Nationalsozialisten die RZ zu okkupieren und eigene Leute in | |
der Redaktion zu platzieren. Bis 1943 konnte sich Altverleger Aeilt Risius | |
der Einflussnahme erwehren. Sein Credo: „Zeitungen bestehen nur in | |
Freiheit.“ 1943 schlossen die Nazis die RZ. | |
Erst 1950 konnte die Zeitung wieder erscheinen. Alle ostfriesischen | |
Landkreise hatten damals ihre eigenen, selbstständigen Kreiszeitungen. Die | |
Verleger sprachen sich ab, keiner wilderte um Anzeigen im | |
Erscheinungsgebiet des anderen. Dies bescherte Ostfriesland eine blühende, | |
selbstständige, bürgerlich-liberale Zeitungslandschaft. Heute gibt es von | |
ehemals 15 selbstständigen Publikationen nur noch zwei. Die anderen Blätter | |
gehören Verlegergemeinschaften und Großkonzernen. | |
„Eine so kleine Zeitung wie die RZ steht unter ökonomischem Druck. Die | |
Alten sterben weg. Die Jungen ziehen weg und Zugezogene lesen lieber die | |
großen Stadtzeitungen", sagt Chefredakteur Hanken. „Trotzdem ist es unsere | |
Stärke, ganz nah bei unseren Lesern zu sein.“ Obligatorisch ist die | |
Berichterstattung über die Feuerwehr oder die Sportvereine. „Wehe, wenn wir | |
da mal was verpassen“, sagt Hanken. Über Neujahr war die Zerstörung von | |
Ständern mit Hundekotbeuteln durch Böller ein Gesprächsthema. | |
Familienanzeigen werden genauestens verfolgt. | |
Aber es gibt auch große Themen. „Vor 20 Jahren hätte es bestimmt keine | |
allzu kritischen Berichte über die Meyer Werft im benachbarten Papenburg | |
gegeben. Heute können wir es uns nicht leisten, unkritisch über die Werft | |
zu berichten“, sagt Hanken. Jägerfrevel ist genau so ein Thema wie | |
Massentierhaltung. Sogar der Staatsschutz stattete der Redaktion einen | |
Besuch ab, als die RZ geheime Dokumente aus der Haushaltsdebatte der Stadt | |
Weener veröffentlichte. „Das ging freundlich ab. Der Staatsschutzbeamte war | |
Rheiderländer.“ Hanken, selbst Ureinwohner, lacht. | |
„Wenn es unsere ureigenen Interessen angeht, machen wir uns zum Sprachrohr | |
unserer LeserInnen“, sagt Hanken. Als beispielsweise die | |
Jan-Berghaus-Brücke über die Ems wegen Schlamperei des Landkreises Leer | |
endlos saniert und ein Jahr lang gesperrt wurde, ärgerte die RZ penetrant | |
die Verantwortlichen. „Es kam zu Interventionen des Landrates, aber | |
Redaktion und Geschäftsführung haben das gemeinsam ausgehalten“, sagt der | |
Chefredakteur. | |
Bis 2005 erschien die RZ als Mittagszeitung, gerade richtig zum Tee. | |
Legendär sind die Hundertschaften ZeitungsbotInnen, die mit ihren Rädern | |
die Altstadt von Weener lahmlegten. „Jetzt kommen wir nachts“, sagt | |
Zeitungsbote Pastoor. Da die Zeitungsboten auch die City-Post austragen, | |
ist die Arbeit ein echter Knochenjob und nur mit dem Auto zu schaffen. | |
Doch dem Zeitungsboten macht das nichts aus. Nachts passiere mehr als | |
tagsüber, meint Pastoor. „Man sieht ja sofort, wer sich nachts aus welchem | |
Haus schleicht und wer nicht ins Dorf gehört. Aber man ist ja diskret.“ | |
Den ganzen Themenschwerpunkt über die Zukunft der Lokalzeitungen im Norden | |
finden Sie in der taz.am Wochenende oder [1][hier] | |
17 Jan 2014 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Schumacher | |
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