# taz.de -- Künftiger Philharmoniechef stützt Putin: Ziemlich falsche Freunde | |
> Valery Gergiev ist der zukünftige Chef der Münchner Philharmoniker. Dass | |
> er demonstrativ Putins Krimpolitik unterstützt, sorgt allerdings für | |
> Ärger. | |
Bild: Kein Distanzieren, sondern Dirigieren: Valery Gergiev steht zu Putin. | |
MÜNCHEN taz | Eigentlich wollte er die forsche Frage des | |
Agenturjournalisten gar nicht beantworten. Was das mit seiner Kunst zu tun | |
habe, wollte Kirill Petrenko wissen, der neue, vom Publikum vergötterte | |
[1][Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper]. Doch dann sagte er | |
doch das, was die Öffentlichkeit von ihm erwartete. Es sei „alles andere | |
als normal“, was dort, auf der Krim derzeit passiere; er hoffe auf eine | |
„politische Lösung, die die Souveränität der Ukraine nicht antastet“. | |
Petrenko ist Russe. Im Orchestergraben des Münchner Nationaltheaters eilt | |
er in seiner ersten Saison von Erfolg zu Erfolg. Jüngst leitete er die | |
Wiederaufnahme von Modest Mussorgskys finsteren Zarendrama „Boris Godunow“. | |
Die ein Jahr alte Schockinszenierung des für seine drastischen | |
Regieeinfälle ebenso berühmten wie berüchtigten Spaniers Calixto Bieito | |
zeigt gleich zu Beginn demonstrierende Menschenmassen, die von | |
martialischen Sicherheitskräften zusammengeknüppelt werden. Als einer der | |
Demonstranten ein Putinkonterfei in die Höhe hält, geht ein Raunen durchs | |
Publikum. Wohl niemand, der da nicht an den Kiewer Maidan dachte, an die | |
Krim, an Moskau. | |
Ein Satz, wie Petrenko ihn sich abrang, wäre einem Mann wie Valery Gergiev | |
nicht über die Lippen gegangen. Im Gegenteil. [2][Der designierte Chef der | |
Münchner Philharmoniker], Russe auch er, lässt sich lieber von | |
Zarendarsteller Putin Orden an die Brust heften und wirkt auf | |
entsprechenden Fotos so, als sei er wirklich stolz auf das Blech aus der | |
Hand des Despoten. Vor zwei Wochen unterschrieb er in der russischen | |
Zeitung Iswestija einen Unterstützerappell für Putins aggressives Vorgehen | |
auf der Krim. | |
Die Nachricht, dass Gergievs Name auf der Liste zusammen mit siebzig | |
anderen patriotisch gesinnten Künstlern steht, fand sogleich ihren Weg nach | |
München. Seither wird nicht nur in den [3][Lokalzeitungen darüber | |
debattiert], ob Gergiev noch der richtige ist (oder jemals war) für die | |
angeblich bestbezahlte Position, die die bayerische Landeshauptstadt zu | |
vergeben hat. Kiew ist übrigens, pikant, pikant, eine der Partnerstädte von | |
München. | |
## Vorwürfe wegen Homophobie | |
Es ist nicht die erste Krise, in die Gergiev die Münchner Philharmoniker | |
gestürzt hat, bevor er sein Amt überhaupt offiziell antritt. Im vergangenen | |
Dezember protestierte die Münchner schwullesbische Szene gegen den | |
langjährigen Chef des St. Petersburger Mariinski-Theaters und international | |
omnipräsenten Dirigenten, weil er in einem Interview, wie so oft in | |
homophoben Kreisen, Schwule und Kinderschänder in einen Topf geworfen | |
hatte. | |
Auf einer denkwürdigen Pressekonferenz im Münchner Gasteig, wo er von | |
Journalisten regelrecht gegrillt wurde, distanzierte er sich nur halbherzig | |
von dieser Äußerung und Putins Menschen verachtenden Antischwulengesetzen. | |
Seine Einlassung, Kinder sollten sich lieber mit Puschkin und Tschaikowsky | |
beschäftigen als mit den Rechten und Bedürfnissen sexueller Minderheiten, | |
sprach Bände. | |
Gergiev hat aus seiner Nähe zu Putin und dessen autokratischem System nie | |
einen Hehl gemacht. Natürlich beehrte er auch die Eröffnungsgala der | |
Olympischen Winterspielen in Sotschi mit seiner Anwesenheit. | |
Das offizielle München schweigt vielsagend angesichts der neuerlichen | |
Vorwürfe. Man wolle die private politische Meinung Gergievs nicht | |
kommentieren, lautet die Sprachregelung bei den Philharmonikern und im | |
Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Die Sprecherin von | |
Kulturreferent Hans-Georg Küppers (SPD) wies vorsichtshalber darauf hin, | |
wie wichtig ihrem Chef die Meinungsfreiheit sei. | |
Trotzdem steht ein Wunsch der Stadtrats-Grünen nach einer Aussprache | |
zwischen Küppers und Gergiev im Raum. Gergiev müsse sich „erklären“, | |
fordern die Grünen. Wenn er sein Vorgehen unverändert für richtig halte, | |
„ist er als Chefdirigent unserer Philharmoniker untragbar geworden“. | |
## Gergiev handelt aus Überzeugung | |
Wie umgehen mit dem Mann? Wie umgehen mit der immergleichen Frage, ob oder | |
wie die Sphären von „hehrer“ Kunst und „schmutziger“ Politik zu trennen | |
sind. Klar ist, die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Klar ist auch, dass | |
man die Billigung von Menschenrechtsverletzungen nicht hinnehmen darf und | |
kann. | |
Gergiev, so viel ist sicher, handelt aus tiefer innerer Überzeugung. Er | |
dürfte wirklich restlos davon überzeugt sein, dass sein Mentor und Gönner | |
Putin im Sinne Russlands und zum Wohl des russischen Volkes handelt. Aber | |
muss man sich deshalb immer wieder so demonstrativ aus dem Fenster lehnen? | |
Auch andere Dirigenten, wie der in jüngeren Jahren so schneidig-konservativ | |
argumentierende Christian Thielemann, waren ob ihrer politischen Haltung | |
umstritten. Thielemann hat rechtzeitig die Kurve gekriegt und spricht jetzt | |
meist nur noch über das, von dem er nachgewiesenermaßen am meisten | |
versteht: von der Musik. | |
Das würde man Gergiev auch wünschen. In München ist er ein designierter | |
Chefdirigent auf Bewährung. Noch einen Fauxpas wird sich der Putinverehrer | |
nicht leisten können, egal wie toll er Schostakowitsch, Strawinsky und | |
Tschaikowsky dirigiert. | |
27 Mar 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bayerische.staatsoper.de/705--~Mitarbeiter~direktion.html | |
[2] http://www.mphil.de/orchester/orchesternews/valery-gergiev.html | |
[3] http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.ungemach-fuer-philharmoniker-ist… | |
## AUTOREN | |
Georg Etscheit | |
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