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# taz.de -- München entlässt Orchesterleiter: Der Dirigent, den ich rief
> Chefdirigent der Münchner Philharmoniker und gleichzeitig Putinfreund?
> Geht nicht, findet Münchens OB und schickt Waleri Gergijew in die Tundra.
Bild: Präsident Putin verleiht Waleri Gergijew am 1. Mai 2013 einen Orden samt…
München taz | Putin oder internationale Karriere: Der russische Dirigent
Waleri Gergijew musste sich entscheiden. Denn seine westlichen
Auftraggeber – und davon hat Gergijew viele – wollen plötzlich nichts
mehr mit ihm zu tun haben. Der Grund: Gergijew ist ein Freund Wladimir
Putins, ließ sich von diesem bereits einen Staatsorden anheften und
unterstützt dessen Politik. Das hat ihn nun auch seinen Posten als
Chefdirigent bei den Münchner Philharmonikern gekostet.
„München trennt sich von Chefdirigent Valery Gergiev“, ließ
Oberbürgermeister Dieter Reiter am Dienstag vermelden. „Es wird damit ab
sofort keine weiteren Konzerte der Münchner Philharmoniker unter seiner
Leitung geben.“ Gergijew habe sich trotz der Aufforderung, sich „eindeutig
und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren“,
[1][den Putin gegen die Ukraine] und auch gegen Münchens Partnerstadt Kiew
führe, nicht geäußert. Ein solches Signal wäre für eine weitere
Zusammenarbeit unabdingbar gewesen.
Zuvor hatte bereits das Schweizer Verbier-Festival Gergijew als
Musikdirektor gefeuert, das Lucerne Festival ihn ausgeladen. Andere
Konzert- und Opernhäuser wie die Mailänder Scala, das Festspielhaus in
Baden-Baden oder die Elbphilharmonie sollen ebenfalls Ultimaten gestellt
oder mit einer Absage von Konzerten gedroht haben.
Sogar seine Künstleragentur hat den Dirigenten jetzt rausgeschmissen: „Vor
dem Hintergrund des verbrecherischen Krieges, den das russische Regime
gegen die demokratische und unabhängige Nation der Ukraine und gegen die
gesamte offene Europäische Gesellschaft führt, ist es uns unmöglich und
unlieb geworden, die Interessen von Maestro Gergijew zu vertreten“, so
Agenturchef Marcus Felsner.
„Die Kultur darf nicht zum Spielball von politischen Auseinandersetzungen
werden“, sagte zwar der Vorstand des Münchner Orchesters, Daniel
Froschauer, doch so einfach ist die Sache offensichtlich nicht.
Zwangsläufig stellt sich die Frage: Wie politisch darf, muss, kann ein
Künstler sein? Und darf sie oder er sich wie eine Privatperson einer
politischen Positionierung entziehen? Zumal wenn dies in der Vergangenheit
nicht immer der Fall war?
## Im Westen stets gern gesehen
Der 1953 in Moskau geborene Gergijew war nun in der Tat nicht der Dirigent,
für den es nur seine Musik gab und der sich von allen politischen Sphären
fern hielt. Er gab sich stets als russischer Patriot, ergriff 2008 im
Konflikt zwischen Russland und Georgien für Putins Vorgehen Partei und gab
im besetzten Südossetien ein „Siegeskonzert“. Man erinnert sich auch an das
Jahr 2013, [2][als Gergijew gegenüber einer niederländischen Zeitung
Russlands homosexuellenfeindliche Gesetze verteidigt haben soll] – auch
wenn der Dirigent später behauptete, falsch zitiert worden zu sein.
Wenig später unterstützte er in einem offenen Brief russischer
Kulturschaffender die Annexion der Krim. Und auch die russische
Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien fand seine Zustimmung: Als
russische und syrische Truppen gemeinsam die Stadt Palmyra erobert hatten,
gab er auch dort im Amphitheater ein Konzert. Alles in allem also ist
Gergijew, zumindest politisch gesehen, ein höchst unangenehmer Zeitgenosse.
Nur ist all dies bislang nicht unbekannt gewesen. Gestört hat es freilich
wenige, Konsequenzen hatte es nicht. Böse könnte man sagen: Wen
interessiert schon, mit wem der Mann Wodka säuft, wenn er seinem Orchester
einen solchen Tschaikowsky entlockt? Gergijew war in den Konzertsälen des
Westens stets gern gesehen – und gehört. In München sowieso.
Nun hat die vielbeschworene „Zeitenwende“ also auch Gergijew erfasst, der
seit 2015 Chefdirigent in München ist. Er gilt als bestbezahlter
Angestellter der Stadt, obgleich es nur ein Nebenjob für ihn ist: In St.
Petersburg ist er weiterhin Chef des Mariinski-Theaters. Aktuelle
Äußerungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine sind aus Gergijews Mund
zwar bislang nicht bekannt, aber das genügte nun nicht mehr. Reiter hatte
dem Dirigenten am Freitag ein Ultimatum gestellt: Wenn er sich nicht von
Putins Krieg distanziere, werde er fliegen. Das Ultimatum, so der
Oberbürgermeister der bayerischen Landeshauptstadt, laufe in der Nacht zum
Dienstag, Punkt Mitternacht, ab.
Eine öffentliche Gesinnungsprüfung quasi. Wie überzeugend ein
Anti-Putin-Statement von Gergijews Seite freilich gewesen wäre, so er es
denn abgegeben hätte, mag man lieber dahin gestellt lassen. Er hat es nicht
getan, er hat sich eben nicht geändert. Das kann und muss er sich vorwerfen
lassen. Im Umkehrschluss heißt es aber auch, dass er schon damals, als er
2015 seinen Job in München antrat, derselbe war wie heute. Und das wiederum
kann und muss sich – ja, wer muss sich das vorwerfen lassen?
## Operndiva Netrebko will nicht „ihr Vaterland beschimpfen“
Entschieden hatte sich, schon im Januar 2013, das Orchester selbst für
Gergijew, bestätigt wurde die Berufung vom Stadtrat. Proteste? Gab es, doch
folgten darauf lediglich eine verunglückte Pressekonferenz und ein Gespräch
mit dem Kulturreferenten. „Ich bin ein viel beschäftigter Künstler“, rede…
sich der Dirigent damals raus, „ich gehöre nicht zur Duma, ich gehöre nicht
zur Regierung.“ Der Stadt schien die Erklärung zu genügen. Man hörte gern
hin, wenn Gergijew die Hände hob – einen Taktstock benutzt er nie – und
genauso gern weg, wenn es um seine politischen Freunde ging.
Und jetzt? Fordern Politiker klare Kante von Künstlern gegen Putin, wie die
Süddeutsche Zeitung schreibt, „selbst wenn sie selbst bisher nicht dafür
bekannt waren“. Auch andere Künstler bringt ihre Nähe zum Putin-Regime in
Erklärungsnöte: So verurteilten die Operndiva Anna Netrebko und ihr Mann,
der aserbaidschanische Tenor Yusif Eyvazov, den Krieg, ohne explizit den
Kriegstreiber zu benennen: „Ich bin eine Russin und liebe mein Land, aber
ich habe viele Freunde in der Ukraine, und der Schmerz und das Leid brechen
mir das Herz“, schrieb die auch in Wien lebende Sängerin auf Instagram.
„Ich möchte, dass dieser Krieg aufhört und die Menschen in Frieden leben
können.“ Trotzdem gab die Bayerische Staatsoper am Dienstag bekannt, dass
sie Engagements von Netrebko abgesagt habe.
Im vergangenen Jahr feierte die Sopranistin ihren 50. Geburtstag mit einem
vierstündigen Konzert im Kreml. Putin wohnte der Gala zwar nicht bei, ließ
dort jedoch seine Glückwünsche verlesen. Netrebko und Eyvazov wandten sich
jetzt dagegen, „Künstler oder irgendeine öffentliche Person zu zwingen,
ihre politischen Ansichten öffentlich zu machen und ihr Vaterland zu
beschimpfen“.
Nicht allen bereitet dies hierzulande so wenig Probleme wie Kirill
Petrenko, dem Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker. Der aus dem
sibirischen Omsk stammende Petrenko ließ es an Deutlichkeit nicht missen:
„Der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine
ist ein Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt“, schrieb der
Orchesterleiter in einer Mitteilung. „Es ist auch ein Angriff auf die
Kunst, die bekanntlich über alle Grenzen hinaus verbindet.“
1 Mar 2022
## LINKS
[1] /Krieg-in-der-Ukraine/!5838092
[2] /Dirigent-fuer-Muenchner-Philharmonie/!5052307
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
Dieter Reiter
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