| # taz.de -- Zentralafrikanische Republik: Noch brutaler als die anderen | |
| > Vor einem Jahr sah es aus, als könnte der Bürgerkrieg in Zentralafrika | |
| > beendet sein. Nun ist die Hauptstadt ein Schlachtfeld. | |
| Bild: Emotion Namsio, der Sprecher der Anti-Balaka. | |
| BANGUI taz | Verschwitzt vom Fußballspielen stand Ahmat Adam vor der | |
| kleinen Moschee in Miskine, einem Viertel von Bangui. Er wischte sich die | |
| Schweißperlen von der Stirn und lachte. Der jüngste Sohn von Imam Ibrahim | |
| Adam war damals 33 und gerade mit dem Studium fertig. In der Brusttasche | |
| seines T-Shirts trug er ein paar hochkarätige Diamanten. Er kümmerte sich | |
| um die Verwaltung der Moschee, da sein Vater alt und etwas senil war. | |
| Heute, nicht einmal ein Jahr später, liegt die Leiche Ahmat Adams hinter | |
| der Moschee – unter einem Schutthaufen. | |
| Ahmat Adam hatte Träume: von einem entwickelten Zentralafrika, von Straßen | |
| und Schulen in seiner Heimatregion Birao – und davon, dass er als Muslim im | |
| eigenen Land nicht mehr ständig seine Geburtsurkunde vorzeigen muss. Im | |
| tiefkatholischen Bangui werden Muslime als Fremde wahrgenommen. Die Familie | |
| Adam ist eine Händlerfamilie, sie gehört zum Volk der Rhunga, muslimische | |
| Halbnomaden, die im äußersten Nordosten zu Hause sind, nahe der Grenze zum | |
| Sudan. | |
| „All das wird die Séléka-Regierung jetzt verwirklichen“, hatte Adam gesag… | |
| „Bald sieht Bangui aus wie Dubai.“ Das war im April 2013, vier Wochen | |
| nachdem die Rebellenallianz Séléka die Hauptstadt erobert und Präsident | |
| François Bozizé gestürzt hatte. Séléka, eine Koalition dreier muslimischer | |
| Rebellengruppen aus dem Norden, installierte ihren eigenen Präsidenten: | |
| Michel Djotodia, der erste Muslim an der Spitze der Zentralafrikanischen | |
| Republik. Minister für Inneres und Sicherheit wurde Séléka-General | |
| Noureddine Adam, Ahmats ältester Bruder. „Unser Land wird bald glitzern wie | |
| ein Diamant“, versprach der General damals. | |
| ## Gezeichnet vom Bürgerkrieg | |
| [1][Bangui vor einem Jahr], das war eine Stadt gezeichnet vom Bürgerkrieg, | |
| aber nicht völlig ohne Hoffnung. Die Séléka-Führer dachten, sie könnten | |
| einen neuen Staat aufbauen. | |
| Sie schafften es aber nicht einmal, ihre eigenen Kämpfer unter Kontrolle zu | |
| bringen, die Ministerien, Geschäfte, Häuser plünderten. Die töteten, | |
| vergewaltigten und die Bevölkerung terrorisierten. Der Bürgerkrieg brach | |
| neu aus. Brutaler als zuvor. | |
| In den vergangenen Monaten haben zornige Jugendbanden, sie nennen sich | |
| Anti-Balaka, im ganzen Land eine Hetzjagd auf Muslime gestartet. | |
| Anti-Balaka, wie: gegen die Kugeln der AK-47. Mit Macheten, Messern und | |
| Äxten gingen sie auf die Rebellen und die übrigen Muslime los. Vor allem in | |
| Miskine, wo viele Séléka-Kämpfer bei Verwandten wohnten. | |
| Miskine war einmal ein lebendiger Stadtteil von Bangui mit seinen 700.000 | |
| Einwohnern. Christen und Muslime lebten Tür an Tür. Moscheen standen neben | |
| Kirchen, Teestuben reihten sich an Kneipen und Nachtclubs. Ahmat Adam | |
| spielte hier Fußball – zusammen mit christlichen Freunden. | |
| ## Nur noch ein verkohltes Schlachtfeld | |
| Jetzt liegt seine Leiche unter dem Schutthaufen. Die Hauptstraße vor der | |
| Moschee ist gespenstisch leer. Dutzende verbrannte Autos, verkohlte Reifen | |
| und Schutt häufen sich am Straßenrand. Viele Häuser sind zerstört. | |
| Ruandische Soldaten der Eingreiftruppe der Afrikanischen Union Misca | |
| patrouillieren. Wo einmal die Wahlheimat der muslimischen Völker in Bangui | |
| war, ist heute nur noch ein verkohltes Schlachtfeld. | |
| Von der Adam-Moschee sind nur Trümmer übrig. Lose Seiten des Korans, | |
| Gebetsketten und Reste des Schilfdaches bedecken den Boden, auf dem einst | |
| grüne Bastteppiche lagen. Hinter der Moschee, wo die Häuser der | |
| Adam-Familie standen, sind fast nur noch Ruinen. Es riecht nach Verwesung. | |
| Ein kleiner alter Mann mit einer Taschenbibel steht am Wegrand. Er deutet | |
| auf eine Schutthalde, über der ein halb verbrannter Gebetsteppich liegt: | |
| „Das ist das Grab des kleinen Adam-Sohns“, sagt er. Er sei ein Nachbar. Der | |
| Mann zeigt auf das einzige Haus, das noch steht: „Die Muslime hatten sich | |
| in die Moschee geflüchtet, doch dann kamen die Anti-Balaka, sie mussten | |
| fliehen.“ Nur Ahmat habe es nicht geschafft: „Sie haben ihn einfach in | |
| Stücke gehackt, wir haben ihn mit Schutt beerdigt.“ | |
| Und was ist aus der Adam-Familie geworden, dem alten, senilen Vater, dem | |
| General, den übrigen 16 Brüdern und Schwestern? | |
| Drei Jugendliche biegen um die Ecke. Sie schwingen Macheten und eine Axt. | |
| Sie grölen. Der Alte duckt sich. | |
| Einer streckt die Machete gen Himmel wie eine Fackel bei einer | |
| Siegesparade: „Erzähl es ruhig, wir haben die Muslime vertrieben. Jetzt | |
| werden wir unsere Häuser hier bauen!“ Zum Beweis setzt er ein paar | |
| Backsteine aus den Trümmern aufeinander. Der Nachbar schleicht davon. | |
| ## Ein zweigeteiltes Land | |
| Erst als das Morden längst begonnen hatte, landeten französische und | |
| afrikanische Truppen in Bangui, im Januar musste Rebellenpräsident Djotodia | |
| nach internationalem Druck zurücktreten. Eine Übergangsregierung wurde | |
| ernannt. Die Séléka flohen in den Norden. Und mit ihnen fast die gesamte | |
| muslimische Bevölkerung der Hauptstadt. Aber die Gewalt nahm kein Ende. | |
| Jetzt ist das Land im Grunde zweigeteilt. | |
| Menschenrechtsorganisationen sprechen von Tausenden Toten – Christen und | |
| Muslimen. Hunderttausende Menschen sind geflohen, in manchen Landesteilen | |
| sind alle Muslime tot, vertrieben oder eingekesselt. Das Rote Kreuz kommt | |
| kaum hinterher, die Leichen aufzusammeln. Viele verschwinden. Andere werden | |
| beerdigt, weil sie niemand abholt und sie einfach verwesen. So wie die | |
| Leiche von Ahmat Adam in Miskine. | |
| Die Ali-Babolo-Moschee ist eine der drei muslimischen Gebetshäuser, die in | |
| Bangui noch stehen. Sie liegt versteckt in einer Seitengasse, unweit von | |
| Miskine. Rund um die Moschee haben die Jugendbanden der Anti-Balaka | |
| gewütet, Läden von Muslimen geplündert, Häuser zerstört. Nur noch ein paar | |
| hundert Männer leben im Viertel. Frauen und Kinder haben sie schon per | |
| Lastwagen weggeschickt. | |
| Es ist ein Freitag im März, und Imam Mahamoud Awadalkarim predigt von | |
| Geduld. Knapp hundert Männer sind gekommen. | |
| „Unsere Koffer sind gepackt, wir warten noch auf eine Möglichkeit zu | |
| fliehen“, sagt der Imam nach dem Gebet. Er sitzt in einem weißen Gewand auf | |
| einem Teppich im Innenhof der Moschee, dunkle Schatten unter den Augen, | |
| tiefe Falten auf der Stirn. Nachts würden sie aus Angst nicht schlafen, | |
| viele übernachten in der Moschee, weil sie sich nur da sicher fühlen, | |
| erzählt er. | |
| ## „Das sind keine Menschen, das sind Kannibalen“ | |
| „Wir leben umzingelt von Bestien wie in einem Gefängnis – wenn wir ein paar | |
| Straßen weitergehen, schlachten sie uns ab wie Tiere.“ Er zeigt ein Video | |
| auf seinem Smartphone, er hat es im Dezember aufgenommen: Ein | |
| Anti-Balaka-Milizionär hackt einem Mann das Bein ab und beißt dann ins | |
| Fleisch. „Das sind keine Menschen, das sind Kannibalen“, sagt der Imam. | |
| Einer dieser Anti-Balaka erklärte später, dies sei die Rache für den Tod | |
| seiner schwangeren Frau, die von Séléka-Rebellen ermordet worden war. | |
| Jeder will in solchen Gruppen beweisen, dass er noch brutaler sein kann als | |
| die anderen. Gliedmaßen der Opfer wurden als Trophäen durch die Straßen | |
| getragen. Kannibalismus, ein Siegesritual. | |
| Im Hof der Moschee stinkt es nach Verwesung. Hinter einer Leinwand liegen | |
| sechs Leichen, mit Zeltplanen bedeckt. Geronnenes Blut färbt den Boden. | |
| Fliegen schwirren herum. Ein 13 Jahre alter Junge sei lebendig verbrannt | |
| worden, einem 15-Jährigen seien Arme und Beine abgehackt worden, erzählt | |
| der Imam. | |
| ## Die Leichen bleiben liegen | |
| Er hat in den vergangenen Wochen mehrere hundert Leichen gewaschen und dann | |
| das Rote Kreuz angerufen, damit sie die Toten in die Massengräber bringen. | |
| „Der muslimische Friedhof ist drei Kilometer entfernt, wir können dort | |
| nicht hin“, sagt er. Einige Leichen seien von Angehörigen abgeholt worden. | |
| Doch die meisten blieben liegen. „Niemand will so enden, wir werden alle | |
| fliehen“, sagt er. In wenigen Tagen sei auch dieses Viertel leer, sagt | |
| Awadalkarim. „Dann sieht es auch hier aus wie in Miskine.“ | |
| Weiß er, was aus der Familie Adam geworden ist? | |
| „Inschallah“, sagt der Imam. Sie sei in den Sudan geflohen. General Adam | |
| habe ihn von Khartoum aus angerufen. „Nur der kleinste Adam hat es nicht | |
| geschafft – wir beten für ihn.“ | |
| Schon im Januar warnte ein UN-Verantwortlicher, in der Zentralafrikanischen | |
| Republik werde „die Saat eines Völkermordes“ gesät: „Alle Elemente, die… | |
| aus Ruanda und Bosnien kennen, sind vorhanden“, sagte der UN-Koordinator | |
| für humanitäre Angelegenheiten, John Ging. | |
| Weil der antimuslimische Mob mit seinen Macheten an die Hutu-Milizen | |
| erinnert, die 1994 in Ruanda fast eine Million Tutsi abschlachteten, | |
| schickte Ruandas Regierung mehr als 800 Soldaten. Aber die afrikanischen | |
| und französischen Truppen haben die Gewalt nicht beendet. | |
| Auch die Séléka-Rebellen hatten im vergangenen Jahr brutal geherrscht. | |
| Internationale Truppen fanden nach dem Abzug der Rebellen Massengräber in | |
| den Kasernen. Unzählige Verwandte und Mitarbeiter der nach Kamerun | |
| geflohenen Angehörigen der gestürzten Regierung starben, sogar Fahrer oder | |
| Sekretäre. | |
| ## Die Rache der Anti-Balaka | |
| Der Terror der Séléka ließ erniedrigte junge Männer zurück, oft | |
| traumatisiert und voll Hass. Als Anti-Balaka nahmen sie Rache. | |
| Rache? Imam Awadalkarim überlegt eine Weile: „Wut und Hass der Anti-Balaka | |
| richtet sich zwar gegen die Séléka. Doch seit die abgezogen ist, | |
| beschuldigen sie jeden Muslim, zur Séléka zu gehören oder mit ihnen | |
| verwandt zu sein“. Sudanesen, Tschader, Mauretanier, Senegalesen und | |
| Zentralafrikaner: alle seien zum Ziel der Milizen geworden. „Niemand wird | |
| je zurückkehren, denn was sie uns angetan haben, das ist einfach zu | |
| grausam“, sagt er. | |
| Wenige Tage nach dem Freitagsgebet fahren Lastwagen, begleitet von Truppen | |
| aus dem Tschad, vor der Moschee vor und holen die Männer ab, um sie in | |
| Sicherheit zu bringen. Ein weiteres Viertel von Bangui ist ohne Muslime. | |
| Zwei Kilometer von Miskine entfernt versperrt ein aus Stofffetzen | |
| geknüpftes Seil die Zufahrtsstraße ins Stadtviertel Boy-Rabe. Einige | |
| Jugendliche stehen daneben und schauen grimmig. Sie tragen Lederriemen mit | |
| allerlei Fetischen um den Oberkörper: Gewehrkugeln, Vorhängeschlösser, | |
| Patronenhülsen, Pulverdöschen, aus denen sie gemahlene Kokainblätter | |
| schnupfen, gemischt mit stimulierenden Kräutern aus dem Busch. Das alles | |
| schützt gegen Gewehrkugeln, glauben sie. | |
| Schüsse hallen aus den engen Gassen. Die Jugendlichen an der Straßensperre | |
| holen ihre Messer, Macheten und Äxte aus dem Hosenbund. Sie grölen, | |
| schwingen die Waffen wie beim Tanz. Von überall kommen bewaffnete Männer, | |
| Jugendliche, sogar Kinder angelaufen – aus den Kneipen, den Seitengassen, | |
| vom Marktplatz. Das Geschrei wird immer lauter. Boy-Rabe ist die Hochburg | |
| der Anti-Balaka in Bangui. | |
| Ein großer Mann in sauberer Armeeuniform tritt an die Sperre, eine | |
| Kalaschnikow in der Hand. Es ist Emotion Namsio, der Sprecher der | |
| Anti-Balaka. Er stößt einen Pfiff aus. Die Jugendlichen stehen still, | |
| stecken ihre Waffen weg und ziehen ab. | |
| ## Die Macht zurückerobern | |
| Boy-Rabe war einst der Wahlbezirk des gestürzten Präsidenten Bozizé. Wer | |
| von seinen entfernten Verwandten, den Familien seiner Leibwächter und | |
| seinen politischen Verbündeten noch lebt, wohnt hier. Namsio arbeitete beim | |
| Zoll, bis die Séléka ihn nach Hause schickte. Jetzt führt er eine Miliz, um | |
| für den Bozizé-Klan die Macht zurückzuerobern. | |
| Vor einem Jahr wirkte das Viertel noch, als sei ein Wirbelsturm | |
| hindurchgefegt. Türen standen offen oder waren aus den Angeln gerissen. In | |
| Boy-Rabe wollten die Séléka-Rebellen das Bozizé-Lager besonders gründlich | |
| bestrafen. 16 Einschusslöcher sprenkeln noch heute das grüne Tor vor dem | |
| Anwesen von Patrice Eduard Ngaissona, einst Jugend- und Sportminister sowie | |
| Chef des Fußballverbandes. Er floh im März 2013 mit Bozizé nach Kamerun. | |
| Die Rebellen zerschossen ihm das Hoftor. | |
| Schon damals hausten in dem leeren Haus Jugendliche, verwahrlost, verstört. | |
| „Es ist schrecklich, wir können nachts nicht schlafen aus Angst, das ist | |
| wie blanker Terror“, hatte einer erzählt. Viele hatten zusehen müssen, wie | |
| die Séléka ihre Eltern und Geschwister töteten. | |
| Heute haben die Drogen und der Hass den Blick der Jugendlichen starr | |
| gemacht. Man bekommt Angst, wenn man in diese Augen sieht. Das Haus ist zum | |
| Hauptquartier der Anti-Balaka geworden. | |
| Junge Männer sind in Zentralafrika, wie in vielen afrikanischen Ländern, | |
| der vernachlässigte Teil der Gesellschaft. Die Geburtenrate ist hoch, die | |
| Einkommen sind niedrig. Zur Schule oder gar zur Universität zu gehen ist | |
| für viele zu teuer. Seit dem Bürgerkrieg sind die wenigen staatlichen | |
| Schulen ohnehin geschlossen. Wer in der Staatsverwaltung, dem größten | |
| Arbeitgeber des Landes, einen Job will, braucht Beziehungen. | |
| ## Ventil für die Wut | |
| Die Vetternwirtschaft im Land hat schon immer nur wenige Gewinner erzeugt – | |
| und viele Verlierer. Einer Rebellengruppe anzugehören gibt ihnen eine | |
| Identität, die Machete oder die Kalaschnikow verleiht ihnen Macht, ein | |
| Ventil für die Wut. | |
| Im Innenhof hinter dem grünen zerschossenen Tor schleichen sie im Kreis um | |
| einen Stuhl, Messer in den Händen. Auf dem Stuhl sitzt ein junger Mann in | |
| Unterhose und T-Shirt, Blutergüsse und tiefe Wunden am Körper. „Das ist | |
| unser Gefangener“, sagt Namsio stolz. „Und das ist Oberst 12-Volt, der | |
| Kommandant der Anti-Balaka.“ Er zeigt auf einen bulligen Mann. | |
| Oberst 12-Volt trägt Rastalocken unter einer Baseballmütze und einen | |
| schwarzen Jogginganzug. Seine Stimme ist tief. Er brüllt: „Erzähl, dass du | |
| keiner von uns bist, aber dass du diese Muslime getötet hast!“ Der | |
| Gefangene bebt. „Wenn du einer von uns wärst, dann werden die Kugeln an dir | |
| abprallen, wenn ich auf dich schieße“, droht 12-Volt. | |
| Dann klingelt ein Telefon. Der Kommandeur zieht sein Handy aus der | |
| Hosentasche. „Der Chef ist dran“, raunzt er und beendet mit einem | |
| Handzeichen die Schau-Exekution. | |
| Während 12-Volt mit Ex-Minister Ngaissona telefoniert, erklärt Namsio die | |
| Lage: „Wir Anti-Balaka sind die wahren Befreier des Volkes, wir haben die | |
| Séléka bekämpft und vertrieben. Doch dann gingen Kriminelle auf die | |
| muslimischen Zivilisten los und hackten sie in Stücke. Das sind keine | |
| wahren Anti-Balaka, die das tun.“ | |
| Dabei kramt er unter seiner Uniform eine ID-Karte hervor: Foto, Name, Rang, | |
| Einheit und Personalnummer, daneben ein Stempel und die Unterschrift von | |
| Ngaissona. „Nur wer diese ID-Karte trägt, ist ein echter Anti-Balaka. Die | |
| anderen sind Banditen und wir werden sie verhaften“, sagt er. | |
| Dasselbe hatte vor einem Jahr Séléka-General Adam gesagt. Auch er hatte | |
| Ausweise für seine Rebellen drucken lassen. Die Anti-Balaka-IDs sehen ihnen | |
| zum Verwechseln ähnlich. | |
| ## Keine einheitliche Gruppe | |
| Wie die Séléka ist auch die Anti-Balaka keine einheitliche Gruppe mit | |
| eindeutiger Befehlskette. Sie ist ein loser Zusammenschluss vieler | |
| einzelner Milizen. Befehlshaber sind selbsternannte Oberste wie 12-Volt | |
| oder Offiziere der Armee des ehemaligen Präsidenten Bozizé. | |
| Mitunter bekriegen sie sich auch untereinander. Der Gefangene auf dem Stuhl | |
| gehört laut 12-Volt zur Einheit von Jean-Jacques Démafouth, einst ein | |
| Erzrivale Bozizés. Sein Hauptquartier liegt im Stadtviertel Combattant am | |
| Flughafen. | |
| Anti-Balaka werden oft als „christliche“ Milizen bezeichnet. Viele tragen | |
| sogar Kruzifixe als Teil ihres Fetischs um den Hals. Das hebt sie vom Feind | |
| ab. Doch es ist kein religiös motivierter Kreuzzug, sondern ein Aufstand | |
| gegen eine für sie fremde Besatzungsmacht. Es interessiert sie wenig, wenn | |
| der katholische Erzbischof von Bangui zu Versöhnung aufruft und dem | |
| führenden Imam des Landes in der Kathedrale Schutz bietet. | |
| Bewacht von zwei Leibwächtern und einer Handvoll ruandischer Soldaten sitzt | |
| Séléka-Oberst Ousmane Algoni in der Militärkaserne auf Kilometer 11 des | |
| Unabhängigkeits-Boulevards, am Stadtrand von Bangui. Über und unter seinem | |
| Schreibtisch hängen bunte Flaggen der Zentralafrikanischen Republik. Blau, | |
| weiß, grün, gelb, rot – Verweise auf die ethnische und religiöse Vielfalt | |
| des Landes. | |
| Oberst Algoni, 40 Jahre alt, gehört zur letzten verbliebenen Séléka-Einheit | |
| in Bangui. „Ich bin Zentralafrikaner, ich werde mich nicht vertreiben | |
| lassen“, sagt er. In seiner schmutzigen Uniform wirkt er geschlagen. Vom | |
| einstigen Stolz der Séléka-Offiziere ist nichts mehr übrig. | |
| Er sei einmal Offizier in Bozizés Armee gewesen, erzählt er. Doch dann habe | |
| der Präsident seinen Sohn zum Verteidigungsminister ernannt, nur noch | |
| Offiziere aus seiner eigenen Ethnie der Gbaya seien befördert worden. | |
| Daraufhin sei er desertiert. Er stamme aus dem Norden. „Mein Vater ist | |
| Muslim, doch meine Mutter Christin“, sagt er. Die meisten Kämpfer seiner | |
| 400 Mann starken Einheit seien „Mischlinge“. | |
| ## „Man wirft nur Granaten auf uns“ | |
| Er deutet aus dem Fenster in den Kasernenhof. Rund um ein leeres | |
| Schwimmbecken hocken verwahrloste Séléka-Kämpfer, gekleidet eher in Lumpen | |
| als in Uniformen. Einige spielen Karten, andere dösen vor sich hin. Viele | |
| seien krank: Malaria, Durchfall. Sie schlafen unter freiem Himmel, es gebe | |
| kein Essen, keine Medikamente. „Man wirft nur Granaten auf uns“, sagt | |
| Oberst Algoni. | |
| Die Rebellen haben sich aus Bangui zurückgezogen. Sie halten sich im Busch | |
| versteckt, etwa 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt. „Was sie planen, | |
| weiß ich auch nicht“, sagt der Oberst: „Einige wollen weiter kämpfen, | |
| andere in den Tschad fliehen, in die neue nationale Armee integriert werden | |
| oder als Zivilisten nach Hause gehen.“ | |
| Und er? Er guckt wieder zu der bunten Flagge: „Unsere neue Präsidentin hat | |
| in ihrer Antrittsrede gesagt, dass wir Séléka wie auch die Anti-Balaka ihre | |
| Söhne seien – das hat mich berührt“, sagt er. | |
| „Inschallah, irgendwann werde ich einmal in einer Armee dienen, die ihr | |
| Volk verteidigt: Muslime und Christen, ganz egal“, sagt er. | |
| „Amen“, murmeln seine Leibwächter. | |
| 1 Apr 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!116577/ | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schlindwein | |
| ## TAGS | |
| Zentralafrika | |
| Afrika | |
| Bürgerkrieg | |
| Seleka | |
| Anti-Balaka | |
| Bangui | |
| Internationaler Strafgerichtshof | |
| Zentralafrikanische Republik | |
| Zentralafrikanische Republik | |
| Zentralafrikanische Republik | |
| Zentralafrika | |
| Senegal | |
| Bangui | |
| Afrika | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Ruanda | |
| Zentralafrikanische Republik | |
| Ruanda | |
| Brüssel | |
| Zentralafrikanische Republik | |
| Zentralafrikanische Republik | |
| Zentralafrikanische Republik | |
| Zentralafrikanische Republik | |
| Zentralafrikanische Republik | |
| Zentralafrikanische Republik | |
| Bangui | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Urteil des IStGH: Zwölf Jahre Haft für zentralafrikanischen Warlord | |
| Wegen Kriegsverbrechen und Einsatz von Kindersoldaten muss Patrice Eduard | |
| Ngaïssona ins Gefängnis. Ebenfalls verurteilt wurde sein Kommandant. | |
| Internationaler Strafgerichtshof: Der Warlord von Bangui | |
| 2014 erlebte die taz in der Zentralafrikanischen Republik, wie in dem Haus | |
| von Patrice Ngaïssona eine Miliz wütete. Jetzt fällt über ihn das Urteil. | |
| Den Haag ermittelt in Zentralafrika: Den Horror aufklären | |
| Der Internationale Strafgerichtshof startet Ermittlungen gegen Milizen der | |
| Zentralafrikanischen Republik. „Die Liste der Gräueltaten“ sei endlos. | |
| Zentralafrikanische Republik: Gescheiterte Regierung wirft hin | |
| Der glücklose Premier Zentralafrikas tritt mit seinem gesamten Kabinett ab. | |
| Kommen die Seleka-Rebellen zurück an die Macht? | |
| Zentralafrikanische Republik: Ein geteiltes Land | |
| UN-Experten und Menschenrechtler ziehen düstere Bilanz der Gewalt der | |
| letzten Monate in der Zentralafrikanischen Republik. Die Politik tut so gut | |
| wie nichts. | |
| Konflikt im Senegal: Hoffnung auf Waffenruhe | |
| Der Anführer der Rebellenbewegung MFDC hat im Süden des Senegal einen | |
| Waffenstillstand ausgerufen. Ob sich die Aufständischen dem anschließen, | |
| ist nicht gesichert. | |
| Zentralafrikanische Republik: Bangui von Muslimen „gesäubert“ | |
| Afrikanische Eingreiftruppen eskortieren fast alle der noch in der | |
| zentralafrikanischen Hauptstadt verbliebenen Muslime aus der Stadt | |
| Gewalt in Zentralafrika: Über 20 Tote bei Anschlag in Bangui | |
| Muslimische Rebellen rissen bei einem Anschlag auf ein Krankenhaus der | |
| Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen am Wochenende mehr als 20 Menschen in | |
| den Tod. | |
| Zentralafrikanische Republik: UN beschließen Blauhelm-Einsatz | |
| 12.000 Soldaten sollen ab September im Krisenland für Stabilität sorgen. | |
| Die von Frankreich vorgelegte Resolution wurde vom UN-Sicherheitsrat | |
| angenommen. | |
| Kolumne Macht: Hotel „Ibis“, Ruanda | |
| Der Völkermord in Ruanda vor zwanzig Jahren löste keinen Aufschrei bei uns | |
| aus. Heute sollte uns das eine Mahnung sein. | |
| Zentralafrikanische Republik: Ban Ki Moon warnt vor Völkermord | |
| Der UN-Generalsekretär fand bei einem Kurzbesuch in dem Bürgerkriegsland | |
| deutliche Wort. Der Tschad wehrt sich gegen Vorwürfe, dass seine Soldaten | |
| Zivilisten getötet hätten. | |
| 20 Jahre nach dem Völkermord: Was geht uns Ruanda an? | |
| Im Frühjahr 1994 begann das Morden in dem Staat mitten in Afrika. Die | |
| Weltpolitik zieht Lehren daraus - danach handeln scheint sie nicht zu | |
| können. | |
| EU-Afrika-Gipfel in Brüssel: „Wiederherstellung des Rechtsstaats“ | |
| In Brüssel tagt derzeit der EU-Afrika-Gipfel. Der Kommandeur der EU-Truppe | |
| in der Zentralafrikanischen Republik erklärt, was er vorhat. | |
| Intervention in Zentralafrika: Europa kommt, Muslime gehen | |
| Während die EU ihre Bangui-Truppe lanciert, will das UNHCR die letzten | |
| Muslime aus der Stadt evakuieren. Sie seien nicht mehr zu schützen. | |
| Zentralafrikanische Republik: Granaten zerfetzen Trauernde | |
| Ein neues Massaker in Bangui verschärft die Spannungen in der Bevölkerung. | |
| Deutschland will sich jetzt doch verstärkt an einer EU-Intervention | |
| beteiligen. | |
| Zentralafrikanische Republik: Diamantenschürfer zu Killern | |
| Das Bürgerkriegsland ist aus dem legalen Diamantenhandel verbannt. Das | |
| Ergebnis: Händler schmuggeln und Schürfer werden Milizionäre. | |
| Zentralafrikanische Republik: Faule Kredite, betrogene Staatsdiener | |
| In dem kriegszerstörten Land wird die Auszahlung der ersten Beamtengehälter | |
| seit sechs Monaten zum Fiasko. Viele gehen leer aus. | |
| Zentralafrikanische Republik: Mission: Impossible | |
| Die Hauptstadt ist voller Soldaten: aus Frankreich, Kongo, Kamerun, Ruanda. | |
| Die Eingreiftruppe fasst beinahe 8.000 Soldaten. Die Koordination ist | |
| schwierig. | |
| Kommentar Zentralafrikanische Republik: Erst denken, dann handeln | |
| Die Entsendung von EU-Truppen in die Zentralafrikanische Republik ist | |
| überfällig – die Debatte um deren Auftrag aber auch. | |
| Zentralafrikanische Republik: UNO will große Blauhelmmission | |
| Der UN-Generalsekretär will knapp 12.000 Soldaten und Polizisten entsenden. | |
| Die bisherigen Eingreiftruppen sind zu wenige und zu schlecht koordiniert. |