# taz.de -- Zentralafrikanische Republik: Noch brutaler als die anderen | |
> Vor einem Jahr sah es aus, als könnte der Bürgerkrieg in Zentralafrika | |
> beendet sein. Nun ist die Hauptstadt ein Schlachtfeld. | |
Bild: Emotion Namsio, der Sprecher der Anti-Balaka. | |
BANGUI taz | Verschwitzt vom Fußballspielen stand Ahmat Adam vor der | |
kleinen Moschee in Miskine, einem Viertel von Bangui. Er wischte sich die | |
Schweißperlen von der Stirn und lachte. Der jüngste Sohn von Imam Ibrahim | |
Adam war damals 33 und gerade mit dem Studium fertig. In der Brusttasche | |
seines T-Shirts trug er ein paar hochkarätige Diamanten. Er kümmerte sich | |
um die Verwaltung der Moschee, da sein Vater alt und etwas senil war. | |
Heute, nicht einmal ein Jahr später, liegt die Leiche Ahmat Adams hinter | |
der Moschee – unter einem Schutthaufen. | |
Ahmat Adam hatte Träume: von einem entwickelten Zentralafrika, von Straßen | |
und Schulen in seiner Heimatregion Birao – und davon, dass er als Muslim im | |
eigenen Land nicht mehr ständig seine Geburtsurkunde vorzeigen muss. Im | |
tiefkatholischen Bangui werden Muslime als Fremde wahrgenommen. Die Familie | |
Adam ist eine Händlerfamilie, sie gehört zum Volk der Rhunga, muslimische | |
Halbnomaden, die im äußersten Nordosten zu Hause sind, nahe der Grenze zum | |
Sudan. | |
„All das wird die Séléka-Regierung jetzt verwirklichen“, hatte Adam gesag… | |
„Bald sieht Bangui aus wie Dubai.“ Das war im April 2013, vier Wochen | |
nachdem die Rebellenallianz Séléka die Hauptstadt erobert und Präsident | |
François Bozizé gestürzt hatte. Séléka, eine Koalition dreier muslimischer | |
Rebellengruppen aus dem Norden, installierte ihren eigenen Präsidenten: | |
Michel Djotodia, der erste Muslim an der Spitze der Zentralafrikanischen | |
Republik. Minister für Inneres und Sicherheit wurde Séléka-General | |
Noureddine Adam, Ahmats ältester Bruder. „Unser Land wird bald glitzern wie | |
ein Diamant“, versprach der General damals. | |
## Gezeichnet vom Bürgerkrieg | |
[1][Bangui vor einem Jahr], das war eine Stadt gezeichnet vom Bürgerkrieg, | |
aber nicht völlig ohne Hoffnung. Die Séléka-Führer dachten, sie könnten | |
einen neuen Staat aufbauen. | |
Sie schafften es aber nicht einmal, ihre eigenen Kämpfer unter Kontrolle zu | |
bringen, die Ministerien, Geschäfte, Häuser plünderten. Die töteten, | |
vergewaltigten und die Bevölkerung terrorisierten. Der Bürgerkrieg brach | |
neu aus. Brutaler als zuvor. | |
In den vergangenen Monaten haben zornige Jugendbanden, sie nennen sich | |
Anti-Balaka, im ganzen Land eine Hetzjagd auf Muslime gestartet. | |
Anti-Balaka, wie: gegen die Kugeln der AK-47. Mit Macheten, Messern und | |
Äxten gingen sie auf die Rebellen und die übrigen Muslime los. Vor allem in | |
Miskine, wo viele Séléka-Kämpfer bei Verwandten wohnten. | |
Miskine war einmal ein lebendiger Stadtteil von Bangui mit seinen 700.000 | |
Einwohnern. Christen und Muslime lebten Tür an Tür. Moscheen standen neben | |
Kirchen, Teestuben reihten sich an Kneipen und Nachtclubs. Ahmat Adam | |
spielte hier Fußball – zusammen mit christlichen Freunden. | |
## Nur noch ein verkohltes Schlachtfeld | |
Jetzt liegt seine Leiche unter dem Schutthaufen. Die Hauptstraße vor der | |
Moschee ist gespenstisch leer. Dutzende verbrannte Autos, verkohlte Reifen | |
und Schutt häufen sich am Straßenrand. Viele Häuser sind zerstört. | |
Ruandische Soldaten der Eingreiftruppe der Afrikanischen Union Misca | |
patrouillieren. Wo einmal die Wahlheimat der muslimischen Völker in Bangui | |
war, ist heute nur noch ein verkohltes Schlachtfeld. | |
Von der Adam-Moschee sind nur Trümmer übrig. Lose Seiten des Korans, | |
Gebetsketten und Reste des Schilfdaches bedecken den Boden, auf dem einst | |
grüne Bastteppiche lagen. Hinter der Moschee, wo die Häuser der | |
Adam-Familie standen, sind fast nur noch Ruinen. Es riecht nach Verwesung. | |
Ein kleiner alter Mann mit einer Taschenbibel steht am Wegrand. Er deutet | |
auf eine Schutthalde, über der ein halb verbrannter Gebetsteppich liegt: | |
„Das ist das Grab des kleinen Adam-Sohns“, sagt er. Er sei ein Nachbar. Der | |
Mann zeigt auf das einzige Haus, das noch steht: „Die Muslime hatten sich | |
in die Moschee geflüchtet, doch dann kamen die Anti-Balaka, sie mussten | |
fliehen.“ Nur Ahmat habe es nicht geschafft: „Sie haben ihn einfach in | |
Stücke gehackt, wir haben ihn mit Schutt beerdigt.“ | |
Und was ist aus der Adam-Familie geworden, dem alten, senilen Vater, dem | |
General, den übrigen 16 Brüdern und Schwestern? | |
Drei Jugendliche biegen um die Ecke. Sie schwingen Macheten und eine Axt. | |
Sie grölen. Der Alte duckt sich. | |
Einer streckt die Machete gen Himmel wie eine Fackel bei einer | |
Siegesparade: „Erzähl es ruhig, wir haben die Muslime vertrieben. Jetzt | |
werden wir unsere Häuser hier bauen!“ Zum Beweis setzt er ein paar | |
Backsteine aus den Trümmern aufeinander. Der Nachbar schleicht davon. | |
## Ein zweigeteiltes Land | |
Erst als das Morden längst begonnen hatte, landeten französische und | |
afrikanische Truppen in Bangui, im Januar musste Rebellenpräsident Djotodia | |
nach internationalem Druck zurücktreten. Eine Übergangsregierung wurde | |
ernannt. Die Séléka flohen in den Norden. Und mit ihnen fast die gesamte | |
muslimische Bevölkerung der Hauptstadt. Aber die Gewalt nahm kein Ende. | |
Jetzt ist das Land im Grunde zweigeteilt. | |
Menschenrechtsorganisationen sprechen von Tausenden Toten – Christen und | |
Muslimen. Hunderttausende Menschen sind geflohen, in manchen Landesteilen | |
sind alle Muslime tot, vertrieben oder eingekesselt. Das Rote Kreuz kommt | |
kaum hinterher, die Leichen aufzusammeln. Viele verschwinden. Andere werden | |
beerdigt, weil sie niemand abholt und sie einfach verwesen. So wie die | |
Leiche von Ahmat Adam in Miskine. | |
Die Ali-Babolo-Moschee ist eine der drei muslimischen Gebetshäuser, die in | |
Bangui noch stehen. Sie liegt versteckt in einer Seitengasse, unweit von | |
Miskine. Rund um die Moschee haben die Jugendbanden der Anti-Balaka | |
gewütet, Läden von Muslimen geplündert, Häuser zerstört. Nur noch ein paar | |
hundert Männer leben im Viertel. Frauen und Kinder haben sie schon per | |
Lastwagen weggeschickt. | |
Es ist ein Freitag im März, und Imam Mahamoud Awadalkarim predigt von | |
Geduld. Knapp hundert Männer sind gekommen. | |
„Unsere Koffer sind gepackt, wir warten noch auf eine Möglichkeit zu | |
fliehen“, sagt der Imam nach dem Gebet. Er sitzt in einem weißen Gewand auf | |
einem Teppich im Innenhof der Moschee, dunkle Schatten unter den Augen, | |
tiefe Falten auf der Stirn. Nachts würden sie aus Angst nicht schlafen, | |
viele übernachten in der Moschee, weil sie sich nur da sicher fühlen, | |
erzählt er. | |
## „Das sind keine Menschen, das sind Kannibalen“ | |
„Wir leben umzingelt von Bestien wie in einem Gefängnis – wenn wir ein paar | |
Straßen weitergehen, schlachten sie uns ab wie Tiere.“ Er zeigt ein Video | |
auf seinem Smartphone, er hat es im Dezember aufgenommen: Ein | |
Anti-Balaka-Milizionär hackt einem Mann das Bein ab und beißt dann ins | |
Fleisch. „Das sind keine Menschen, das sind Kannibalen“, sagt der Imam. | |
Einer dieser Anti-Balaka erklärte später, dies sei die Rache für den Tod | |
seiner schwangeren Frau, die von Séléka-Rebellen ermordet worden war. | |
Jeder will in solchen Gruppen beweisen, dass er noch brutaler sein kann als | |
die anderen. Gliedmaßen der Opfer wurden als Trophäen durch die Straßen | |
getragen. Kannibalismus, ein Siegesritual. | |
Im Hof der Moschee stinkt es nach Verwesung. Hinter einer Leinwand liegen | |
sechs Leichen, mit Zeltplanen bedeckt. Geronnenes Blut färbt den Boden. | |
Fliegen schwirren herum. Ein 13 Jahre alter Junge sei lebendig verbrannt | |
worden, einem 15-Jährigen seien Arme und Beine abgehackt worden, erzählt | |
der Imam. | |
## Die Leichen bleiben liegen | |
Er hat in den vergangenen Wochen mehrere hundert Leichen gewaschen und dann | |
das Rote Kreuz angerufen, damit sie die Toten in die Massengräber bringen. | |
„Der muslimische Friedhof ist drei Kilometer entfernt, wir können dort | |
nicht hin“, sagt er. Einige Leichen seien von Angehörigen abgeholt worden. | |
Doch die meisten blieben liegen. „Niemand will so enden, wir werden alle | |
fliehen“, sagt er. In wenigen Tagen sei auch dieses Viertel leer, sagt | |
Awadalkarim. „Dann sieht es auch hier aus wie in Miskine.“ | |
Weiß er, was aus der Familie Adam geworden ist? | |
„Inschallah“, sagt der Imam. Sie sei in den Sudan geflohen. General Adam | |
habe ihn von Khartoum aus angerufen. „Nur der kleinste Adam hat es nicht | |
geschafft – wir beten für ihn.“ | |
Schon im Januar warnte ein UN-Verantwortlicher, in der Zentralafrikanischen | |
Republik werde „die Saat eines Völkermordes“ gesät: „Alle Elemente, die… | |
aus Ruanda und Bosnien kennen, sind vorhanden“, sagte der UN-Koordinator | |
für humanitäre Angelegenheiten, John Ging. | |
Weil der antimuslimische Mob mit seinen Macheten an die Hutu-Milizen | |
erinnert, die 1994 in Ruanda fast eine Million Tutsi abschlachteten, | |
schickte Ruandas Regierung mehr als 800 Soldaten. Aber die afrikanischen | |
und französischen Truppen haben die Gewalt nicht beendet. | |
Auch die Séléka-Rebellen hatten im vergangenen Jahr brutal geherrscht. | |
Internationale Truppen fanden nach dem Abzug der Rebellen Massengräber in | |
den Kasernen. Unzählige Verwandte und Mitarbeiter der nach Kamerun | |
geflohenen Angehörigen der gestürzten Regierung starben, sogar Fahrer oder | |
Sekretäre. | |
## Die Rache der Anti-Balaka | |
Der Terror der Séléka ließ erniedrigte junge Männer zurück, oft | |
traumatisiert und voll Hass. Als Anti-Balaka nahmen sie Rache. | |
Rache? Imam Awadalkarim überlegt eine Weile: „Wut und Hass der Anti-Balaka | |
richtet sich zwar gegen die Séléka. Doch seit die abgezogen ist, | |
beschuldigen sie jeden Muslim, zur Séléka zu gehören oder mit ihnen | |
verwandt zu sein“. Sudanesen, Tschader, Mauretanier, Senegalesen und | |
Zentralafrikaner: alle seien zum Ziel der Milizen geworden. „Niemand wird | |
je zurückkehren, denn was sie uns angetan haben, das ist einfach zu | |
grausam“, sagt er. | |
Wenige Tage nach dem Freitagsgebet fahren Lastwagen, begleitet von Truppen | |
aus dem Tschad, vor der Moschee vor und holen die Männer ab, um sie in | |
Sicherheit zu bringen. Ein weiteres Viertel von Bangui ist ohne Muslime. | |
Zwei Kilometer von Miskine entfernt versperrt ein aus Stofffetzen | |
geknüpftes Seil die Zufahrtsstraße ins Stadtviertel Boy-Rabe. Einige | |
Jugendliche stehen daneben und schauen grimmig. Sie tragen Lederriemen mit | |
allerlei Fetischen um den Oberkörper: Gewehrkugeln, Vorhängeschlösser, | |
Patronenhülsen, Pulverdöschen, aus denen sie gemahlene Kokainblätter | |
schnupfen, gemischt mit stimulierenden Kräutern aus dem Busch. Das alles | |
schützt gegen Gewehrkugeln, glauben sie. | |
Schüsse hallen aus den engen Gassen. Die Jugendlichen an der Straßensperre | |
holen ihre Messer, Macheten und Äxte aus dem Hosenbund. Sie grölen, | |
schwingen die Waffen wie beim Tanz. Von überall kommen bewaffnete Männer, | |
Jugendliche, sogar Kinder angelaufen – aus den Kneipen, den Seitengassen, | |
vom Marktplatz. Das Geschrei wird immer lauter. Boy-Rabe ist die Hochburg | |
der Anti-Balaka in Bangui. | |
Ein großer Mann in sauberer Armeeuniform tritt an die Sperre, eine | |
Kalaschnikow in der Hand. Es ist Emotion Namsio, der Sprecher der | |
Anti-Balaka. Er stößt einen Pfiff aus. Die Jugendlichen stehen still, | |
stecken ihre Waffen weg und ziehen ab. | |
## Die Macht zurückerobern | |
Boy-Rabe war einst der Wahlbezirk des gestürzten Präsidenten Bozizé. Wer | |
von seinen entfernten Verwandten, den Familien seiner Leibwächter und | |
seinen politischen Verbündeten noch lebt, wohnt hier. Namsio arbeitete beim | |
Zoll, bis die Séléka ihn nach Hause schickte. Jetzt führt er eine Miliz, um | |
für den Bozizé-Klan die Macht zurückzuerobern. | |
Vor einem Jahr wirkte das Viertel noch, als sei ein Wirbelsturm | |
hindurchgefegt. Türen standen offen oder waren aus den Angeln gerissen. In | |
Boy-Rabe wollten die Séléka-Rebellen das Bozizé-Lager besonders gründlich | |
bestrafen. 16 Einschusslöcher sprenkeln noch heute das grüne Tor vor dem | |
Anwesen von Patrice Eduard Ngaissona, einst Jugend- und Sportminister sowie | |
Chef des Fußballverbandes. Er floh im März 2013 mit Bozizé nach Kamerun. | |
Die Rebellen zerschossen ihm das Hoftor. | |
Schon damals hausten in dem leeren Haus Jugendliche, verwahrlost, verstört. | |
„Es ist schrecklich, wir können nachts nicht schlafen aus Angst, das ist | |
wie blanker Terror“, hatte einer erzählt. Viele hatten zusehen müssen, wie | |
die Séléka ihre Eltern und Geschwister töteten. | |
Heute haben die Drogen und der Hass den Blick der Jugendlichen starr | |
gemacht. Man bekommt Angst, wenn man in diese Augen sieht. Das Haus ist zum | |
Hauptquartier der Anti-Balaka geworden. | |
Junge Männer sind in Zentralafrika, wie in vielen afrikanischen Ländern, | |
der vernachlässigte Teil der Gesellschaft. Die Geburtenrate ist hoch, die | |
Einkommen sind niedrig. Zur Schule oder gar zur Universität zu gehen ist | |
für viele zu teuer. Seit dem Bürgerkrieg sind die wenigen staatlichen | |
Schulen ohnehin geschlossen. Wer in der Staatsverwaltung, dem größten | |
Arbeitgeber des Landes, einen Job will, braucht Beziehungen. | |
## Ventil für die Wut | |
Die Vetternwirtschaft im Land hat schon immer nur wenige Gewinner erzeugt – | |
und viele Verlierer. Einer Rebellengruppe anzugehören gibt ihnen eine | |
Identität, die Machete oder die Kalaschnikow verleiht ihnen Macht, ein | |
Ventil für die Wut. | |
Im Innenhof hinter dem grünen zerschossenen Tor schleichen sie im Kreis um | |
einen Stuhl, Messer in den Händen. Auf dem Stuhl sitzt ein junger Mann in | |
Unterhose und T-Shirt, Blutergüsse und tiefe Wunden am Körper. „Das ist | |
unser Gefangener“, sagt Namsio stolz. „Und das ist Oberst 12-Volt, der | |
Kommandant der Anti-Balaka.“ Er zeigt auf einen bulligen Mann. | |
Oberst 12-Volt trägt Rastalocken unter einer Baseballmütze und einen | |
schwarzen Jogginganzug. Seine Stimme ist tief. Er brüllt: „Erzähl, dass du | |
keiner von uns bist, aber dass du diese Muslime getötet hast!“ Der | |
Gefangene bebt. „Wenn du einer von uns wärst, dann werden die Kugeln an dir | |
abprallen, wenn ich auf dich schieße“, droht 12-Volt. | |
Dann klingelt ein Telefon. Der Kommandeur zieht sein Handy aus der | |
Hosentasche. „Der Chef ist dran“, raunzt er und beendet mit einem | |
Handzeichen die Schau-Exekution. | |
Während 12-Volt mit Ex-Minister Ngaissona telefoniert, erklärt Namsio die | |
Lage: „Wir Anti-Balaka sind die wahren Befreier des Volkes, wir haben die | |
Séléka bekämpft und vertrieben. Doch dann gingen Kriminelle auf die | |
muslimischen Zivilisten los und hackten sie in Stücke. Das sind keine | |
wahren Anti-Balaka, die das tun.“ | |
Dabei kramt er unter seiner Uniform eine ID-Karte hervor: Foto, Name, Rang, | |
Einheit und Personalnummer, daneben ein Stempel und die Unterschrift von | |
Ngaissona. „Nur wer diese ID-Karte trägt, ist ein echter Anti-Balaka. Die | |
anderen sind Banditen und wir werden sie verhaften“, sagt er. | |
Dasselbe hatte vor einem Jahr Séléka-General Adam gesagt. Auch er hatte | |
Ausweise für seine Rebellen drucken lassen. Die Anti-Balaka-IDs sehen ihnen | |
zum Verwechseln ähnlich. | |
## Keine einheitliche Gruppe | |
Wie die Séléka ist auch die Anti-Balaka keine einheitliche Gruppe mit | |
eindeutiger Befehlskette. Sie ist ein loser Zusammenschluss vieler | |
einzelner Milizen. Befehlshaber sind selbsternannte Oberste wie 12-Volt | |
oder Offiziere der Armee des ehemaligen Präsidenten Bozizé. | |
Mitunter bekriegen sie sich auch untereinander. Der Gefangene auf dem Stuhl | |
gehört laut 12-Volt zur Einheit von Jean-Jacques Démafouth, einst ein | |
Erzrivale Bozizés. Sein Hauptquartier liegt im Stadtviertel Combattant am | |
Flughafen. | |
Anti-Balaka werden oft als „christliche“ Milizen bezeichnet. Viele tragen | |
sogar Kruzifixe als Teil ihres Fetischs um den Hals. Das hebt sie vom Feind | |
ab. Doch es ist kein religiös motivierter Kreuzzug, sondern ein Aufstand | |
gegen eine für sie fremde Besatzungsmacht. Es interessiert sie wenig, wenn | |
der katholische Erzbischof von Bangui zu Versöhnung aufruft und dem | |
führenden Imam des Landes in der Kathedrale Schutz bietet. | |
Bewacht von zwei Leibwächtern und einer Handvoll ruandischer Soldaten sitzt | |
Séléka-Oberst Ousmane Algoni in der Militärkaserne auf Kilometer 11 des | |
Unabhängigkeits-Boulevards, am Stadtrand von Bangui. Über und unter seinem | |
Schreibtisch hängen bunte Flaggen der Zentralafrikanischen Republik. Blau, | |
weiß, grün, gelb, rot – Verweise auf die ethnische und religiöse Vielfalt | |
des Landes. | |
Oberst Algoni, 40 Jahre alt, gehört zur letzten verbliebenen Séléka-Einheit | |
in Bangui. „Ich bin Zentralafrikaner, ich werde mich nicht vertreiben | |
lassen“, sagt er. In seiner schmutzigen Uniform wirkt er geschlagen. Vom | |
einstigen Stolz der Séléka-Offiziere ist nichts mehr übrig. | |
Er sei einmal Offizier in Bozizés Armee gewesen, erzählt er. Doch dann habe | |
der Präsident seinen Sohn zum Verteidigungsminister ernannt, nur noch | |
Offiziere aus seiner eigenen Ethnie der Gbaya seien befördert worden. | |
Daraufhin sei er desertiert. Er stamme aus dem Norden. „Mein Vater ist | |
Muslim, doch meine Mutter Christin“, sagt er. Die meisten Kämpfer seiner | |
400 Mann starken Einheit seien „Mischlinge“. | |
## „Man wirft nur Granaten auf uns“ | |
Er deutet aus dem Fenster in den Kasernenhof. Rund um ein leeres | |
Schwimmbecken hocken verwahrloste Séléka-Kämpfer, gekleidet eher in Lumpen | |
als in Uniformen. Einige spielen Karten, andere dösen vor sich hin. Viele | |
seien krank: Malaria, Durchfall. Sie schlafen unter freiem Himmel, es gebe | |
kein Essen, keine Medikamente. „Man wirft nur Granaten auf uns“, sagt | |
Oberst Algoni. | |
Die Rebellen haben sich aus Bangui zurückgezogen. Sie halten sich im Busch | |
versteckt, etwa 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt. „Was sie planen, | |
weiß ich auch nicht“, sagt der Oberst: „Einige wollen weiter kämpfen, | |
andere in den Tschad fliehen, in die neue nationale Armee integriert werden | |
oder als Zivilisten nach Hause gehen.“ | |
Und er? Er guckt wieder zu der bunten Flagge: „Unsere neue Präsidentin hat | |
in ihrer Antrittsrede gesagt, dass wir Séléka wie auch die Anti-Balaka ihre | |
Söhne seien – das hat mich berührt“, sagt er. | |
„Inschallah, irgendwann werde ich einmal in einer Armee dienen, die ihr | |
Volk verteidigt: Muslime und Christen, ganz egal“, sagt er. | |
„Amen“, murmeln seine Leibwächter. | |
1 Apr 2014 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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