# taz.de -- 20 Jahre nach dem Völkermord: Was geht uns Ruanda an? | |
> Im Frühjahr 1994 begann das Morden in dem Staat mitten in Afrika. Die | |
> Weltpolitik zieht Lehren daraus - danach handeln scheint sie nicht zu | |
> können. | |
Bild: Die Namen von Opfern des Genozids in einer Gedenkstätte in Kigali. | |
Zwanzig Jahre, nachdem in der Nacht zum 7. April 1994 in Ruanda der | |
organisierte Völkermord an den Tutsi begann und in den folgenden drei | |
Monaten bis zu eine Million Menschen getötet wurden, bewegt die Erinnerung | |
daran die ganze Welt. Hochrangige Gäste aus zahlreichen Ländern werden am | |
Montag in Kigali zur zentralen Gedenkfeier erwartet, in Deutschland hat der | |
Bundestag am Freitag beschlossen, dass er sich „im Gedenken verneigt“. | |
Offenbar begreift die Welt besser als früher, dass ihr Versagen vor zwanzig | |
Jahren nicht einfach in Vergessenheit geraten darf. Es stellt sich damit um | |
so mehr die Frage, was daraus folgt. | |
Ruanda hat diese Frage bereits in die Welt getragen. Jede ruandische | |
Botschaft im Ausland hat in den vergangenen Monaten unter dem Motto | |
[1][„Kwikuba20“] eigene Gedenkfeiern abgehalten und eigene Gedenkfackeln | |
gezündet. Das Land blickt dabei über den eigenen Tellerrand hinaus. | |
In Deutschland wurde die „Kwibuka“-Veranstaltung im Januar von jüdischen | |
Gesängen eingerahmt, und es fielen in Reden die Stichworte Syrien und | |
Zentralafrikanische Republik - zwei Länder, in denen die aktuelle Gewalt | |
die internationale Staatengemeinschaft ähnlich hilflos und konzeptlos | |
aussehen lässt wie damals in Ruanda. Die Lehren des Völkermordes sind zwar | |
scheinbar gezogen, aber sie auch anzuwenden übersteigt offenbar die | |
Gestaltungsmacht der Weltpolitik. | |
## | |
## Mehr als die Hälfte: Nachgeborene | |
Dieser 20. Jahrestag findet auch in Ruanda besondere Aufmerksamkeit. Eine | |
Gedenkfackel wird seit drei Monaten durch das Land getragen, ab Montag sind | |
100 Tage Trauer angesagt. Normalerweise betont der Staat von Präsident Paul | |
Kagame gegenüber seiner Bevölkerung immer die Notwendigkeit, nicht in der | |
Vergangenheit zu verharren, sondern nach vorne zu blicken und möglichst | |
schnell ein „neues Ruanda“ aufzubauen, das mit dem alten nichts mehr zu tun | |
hat. Jetzt aber geht es darum, die Erinnerung lebendig halten: Zum ersten | |
Mal sind dieses Jahr mehr als die Hälfte der Bevölkerung erst nach dem | |
Völkermord geboren. | |
Im Titel-Dossier der taz.am Wochenende vom 5./6. April 2014 beschreibt | |
taz-Autorin Marie-Claude Bianco, selbst in Ruanda geboren und vor zwanzig | |
Jahren auf Urlaub in ihrem Geburtsland, ihre persönliche Reise durch ihre | |
eigene Erinnerung, die sie in diesen Tagen auch selbst zurück nach Ruanda | |
führen wird. taz-Korrespondentin Simone Schlindwein, derzeit in Ruanda, | |
traf in Kigali Angehörige der neuen, jungen Generation von Ruandern. | |
taz-Redakteur Dominic Johnson, der schon 1994 in der Redaktion für Afrika | |
zuständig war, zeigt, welches politische Gedankengut hinter dem damaligen | |
Geschehen steckt und wie die Weltpolitik darauf bis heute keine adäquate | |
Antwort findet. taz-Autorin Bettina Gaus, 1994 als taz-Korrespondentin in | |
Ruanda und Zeitzeugin des Völkermordes, erinnert sich an ihre eigene Arbeit | |
damals, die den Journalismus an seine Grenzen stoßen ließ. | |
## Predigten vom neuen Ruanda | |
Der Weg von einem Ruanda voller Leichen zu einem Ruanda voller neuer | |
Hoffnung und großer Entwicklungspläne war und ist schwierig und | |
zwiespältig. Die juristische Aufarbeitung des Völkermords ist keineswegs | |
abgeschlossen, weder in Ruanda selbst noch international. Viele Täter, die | |
1994 in Hutu-Milizen oder in den damaligen ruandischen Streitkräften | |
mitmordeten, sind noch oder schon wieder auf freiem Fuß und leben auf | |
engstem Raum mit den Nachkommen ihrer Opfer, mit Tutsi-Überlebenden oder | |
mit aus Nachbarländern zurückgekehrten Exilanten. | |
Gerade die wenigen Tutsi, die die Massaker direkt überlebt haben, fühlen | |
sich oft an den Rand der Gesellschaft gedrängt, vor allem wenn diese | |
beständig die Modernisierung und das "neue Ruanda" predigt. Manche | |
einstigen Täter fühlen sich fremd in einem Land, das jetzt vom einstigen | |
Erzfeind regiert wird, nämlich von der damaligen Tutsi-Guerilla RPF | |
(Ruandische Patriotische Front), die im Juli 1994 das Völkermordregime | |
stürzte und vertrieb. Es bleibt der Generation der Nachgeborenen die | |
Aufgabe, das "neue Ruanda" mit Leben zu füllen und damit sich selbst neu | |
und damit auch das Land neu zu erfinden. | |
Welche Relevanz hat der Völkermord in Ruanda heute für die Weltpolitik? | |
Welche Lehren sind daraus zu ziehen? Und ist Ruanda seit 1994 auf dem | |
richtigen Weg? | |
Diskutieren Sie mit! | |
Das Titel-Dossier "Das Wunder von Ruanda" lesen Sie in der [2][taz.am | |
wochenende vom 5./6. April 2014]. | |
4 Apr 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kwibuka.rw/ | |
[2] /Ausgabe-vom-5/6-April/!136093/ | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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