| # taz.de -- Kolumne Macht: Hotel „Ibis“, Ruanda | |
| > Der Völkermord in Ruanda vor zwanzig Jahren löste keinen Aufschrei bei | |
| > uns aus. Heute sollte uns das eine Mahnung sein. | |
| Bild: Mahnung an den Völkermord in Ruanda: Knochen von Opfern der Gemetzel vor… | |
| Marie Nyanawumuntu wäre heute vermutlich Großmutter, und vielleicht würde | |
| sie weiterhin im Hotel „Ibis“ in der ruandischen Stadt Butare die Zimmer | |
| putzen. Das Hotel gibt es noch, aber Marie arbeitet dort nicht mehr. | |
| Gemeinsam mit ihren drei kleinen Kindern wurde sie 1994 Opfer des | |
| Völkermords. | |
| Die junge Frau war zu mir stets besonders hilfsbereit gewesen. Als ich sie | |
| zum letzten Mal sah, hatte das Gemetzel bereits begonnen, aber in Butare | |
| herrschte noch trügerischer Frieden. Beim Abschied nahm Marie mich in den | |
| Arm und sagte beruhigend: „Vielleicht werden wir ja überleben.“ | |
| Sie war eben ein freundlicher Mensch. Statt mich anzuschreien, dass ich ihr | |
| gefälligst helfen möge, tröstete sie mich. Eine absurde Situation. | |
| Andererseits: so absurd vielleicht nicht. Schließlich konnte ich ja nichts, | |
| gar nichts tun, um sie und ihre Kinder zu retten. Oder doch? Ich weiß es | |
| bis heute nicht. | |
| Etwas allerdings weiß ich: Die Welt hätte mehr tun können, als sie tat – | |
| nämlich gar nichts. Über Möglichkeiten wurde ja nicht einmal ernsthaft | |
| geredet. Um seriöse Debatten zu erzwingen, muss der öffentliche Druck stark | |
| sein. Zumindest dann, wenn keine geostrategischen Interessen berührt sind. | |
| In Ruanda spielten solche Interessen nur eine im wörtlichen Sinne periphere | |
| Rolle. | |
| Aber warum ist angesichts von Hunderttausenden hingemetzelter Zivilisten | |
| eigentlich kein Aufschrei durch die Welt gegangen? Warum gab es kaum | |
| Demonstrationen und Proteste? Weil Leichenberge keine Erschütterung | |
| auslösen. | |
| Entsetzen, ja, gelegentlich auch voyeuristisches Gruseln. Aber selten | |
| Mitgefühl. Je geringer die Möglichkeit der Identifikation, desto geringer | |
| die Bereitschaft zum Engagement. Das „Tagebuch von Anne Frank“ hat die | |
| Schrecken des Völkermords an den europäischen Juden stärker als jedes | |
| andere Dokument ins Bewusstsein gerufen. | |
| Obwohl von dem Völkermord darin gar nicht die Rede war und obwohl wir sehr | |
| wenig darüber wissen, was Anne Frank im Konzentrationslager erlebt hat. Es | |
| genügt, dass sie vermochte, dem Holocaust ein Gesicht zu geben. Solange | |
| Opfer hingegen anonym bleiben, so lange lässt sich deren Leid in anderen | |
| Teilen der Welt ganz gut aushalten. Das ist kein Vorwurf. Niemand kann | |
| dauerhaft über all das verzweifelt sein, was andernorts geschieht. | |
| Jedenfalls nicht, ohne wahnsinnig zu werden. | |
| Aber das bedeutet zugleich: Ausgerechnet in Afrika, wo – durchaus aus | |
| geostrategischen Gründen – besonders viele Gräueltaten geschehen, scheinen | |
| wir die Menschen nur schlecht verstehen zu können. Allzu fern wirkt das | |
| Leben dort. Da mischen wir uns besser nicht ein, oder? | |
| Jedenfalls stören uns die Schrecken nicht so besonders, die derzeit in der | |
| Zentralafrikanischen Republik zu besichtigen sind. Marie Nyanawumuntu hätte | |
| es allerdings wohl gestört. Und ihrem Andenken wäre vermutlich am besten | |
| gedient, wenn wir künftig nicht nur auf strategisch interessante | |
| Schauplätze blickten. Soll heißen: nicht nur auf die Ukraine. Sondern eben | |
| auch: auf die Zentralafrikanische Republik. | |
| 7 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Gaus | |
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