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# taz.de -- Kolumne Macht: Hoppla, ein Krieg
> Weltmächte sichern ihre Einflusszonen. Es geht um Interessen. Wenn man
> dies in eine Glaubensfrage ummünzt, endet es meist blutig.
Bild: Friedenstauben mit ungewissem Schicksal.
Die Aufständischen waren mutig. Um ihre Freiheit zu verteidigen, griffen
sie die Vertreter des Tyrannen an und warfen sie aus dem Fenster auf einen
Misthaufen. Der Prager Fenstersturz gilt als Anlass für den Ausbruch des
Dreißigjährigen Krieges.
Das mit dem Misthaufen stimmt übrigens nicht. Die Angegriffenen fielen fast
17 Meter tief in einen Burggraben. Es grenzt an ein Wunder, dass alle drei
überlebten. Und ob die Angreifer moralisch im Recht oder mitverantwortlich
für eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte waren, hängt
vom Standpunkt ab. Wenn jemand von einem Misthaufen statt von einem
Burggraben spricht, dann ist der Standpunkt allerdings klar.
Ob ich die längst widerlegte Legende nur deshalb in meiner Hamburger Schule
gelernt habe, weil die Hansestadt protestantisch ist? Hat sich dort noch
immer eine, vermutlich unbewusste, Solidarität mit den Glaubensbrüdern in
Böhmen erhalten, die um das kaiserlich garantierte Recht der
Religionsfreiheit fürchteten?
Möglich. Jedenfalls ist mir der Prager Fenstersturz vor allem wegen des
erfundenen Misthaufens im Kopf geblieben. Propaganda ist zählebig. Ob
Luther je seine Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg genagelt hat, ist
zweifelhaft. Unwahrscheinlich ist es, dass Galilei trotzig murmelte „Und
sie bewegt sich doch“, als er in Rom vor dem Inquisitionsgericht stand. Wen
kümmert’s. Wo kämen wir hin, wenn wir uns die Geschichten über unsere
Lieblingshelden durch Fakten zerstören ließen.
## Die reine Objektivität?
Es ist nicht egal, wie über Protest und Widerstand berichtet wird.
Natürlich sind einem manche Bewegungen sympathischer als andere, und man
kann sich auch als seriöse Reporterin und als ernsthafter Redakteur dagegen
nicht wehren. Wer als Journalist oder Journalistin meint, die reine
Objektivität sei möglich, ist naiv.
Also jubeln unabhängige westliche Medien denen zu, die gegen islamistische
Regierungen kämpfen, und erklären jene zu Fantasten, die Plätze besetzen
als Zeichen des Protests gegen die internationale Finanzmafia. Na schön.
Aber die Art und Weise, wie im Zusammenhang mit der Ukraine mit zweierlei
Maß gemessen wird, ist nur noch schwer erträglich.
Wer auch immer auf dem Maidan für die Annäherung an Europa gekämpft hat,
gilt nun als Freiheitsheld – und wer auch immer jetzt in der Ostukraine für
den Anschluss an Russland demonstriert, muss ein bezahlter Söldner des
Satans sein. Geht’s noch? Ich finde, es gibt für eine Hausfrau in Charkiw
derzeit gute Gründe, lieber von Moskau als von Kiew regiert werden zu
wollen.
Zugegeben: Demokratie spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Aber
wollen wir wirklich behaupten, bei unserer – der westlichen – Außenpolitik
sei es immer nur um Demokratie gegangen? Und nicht auch um Einflusszonen?
## Den Gesslerhut grüßen
Mein verstorbener Vater hat mir erklärt, man müsse den Gesslerhut grüßen,
wenn man in einer Diskussion nicht ins Abseits geraten will. Also grüße ich
hier den Gesslerhut, und es ist mir sogar ernst damit: Putin ist ein
zynischer Diktator, von dem ich nicht regiert werden möchte.
Aber jetzt, Herr Gessler, treten Sie bitte beiseite. Denn ich möchte auch
nicht von all denen regiert werden, die von den USA unterstützt wurden. In
Chile, in El Salvador, in Grenada. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Weltmächte haben es – leider – so an sich, dass sie versuchen, ihre
Einflusszonen zu sichern. Unerfreulich genug. Aber alle Versuche, das in
einen Glaubenskampf zu verwandeln, enden im Regelfall blutiger als
beabsichtigt. Man kann nämlich auch in einen Krieg hineinstolpern. Wie sich
1618 in Böhmen zeigte.
26 Apr 2014
## AUTOREN
Bettina Gaus
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