| # taz.de -- Reportage aus der Ostukraine: Von Knarren und High Heels | |
| > Zu Besuch in der Heimatstadt von Wiktor Janukowitsch. Ein Ort mit wenig | |
| > zum Leben, aber viel Alkohol. Die Menschen dort setzen auf Putin. | |
| Bild: Hilft gegen Väterchen Frost: Wodka. | |
| ENAKIEWO taz | Geduldig wartet der Busfahrer auf dem Busbahnhof Süd von | |
| Donezk, bis auch der letzte der dreißig Plätze besetzt ist. Dann verlässt | |
| der Bus die graue und feinstoffhaltige Großstadt in Richtung Enakiewo, der | |
| Heimatstadt und einstigen Hochburg von Wiktor Janukowitsch. | |
| Es ist Frühling, die einstündige Fahrt in die grüne, kaum besiedelte | |
| Provinz könnte fast ein Maiausflug sein, wären da nicht die drei | |
| Checkpoints an einer Straßengabelung, der Ortschaft „Der Rote Partisan“ und | |
| die Abzweigung nach Slawjansk. Zelte und eine Feldküche an den Checkpoints | |
| belegen, dass man nicht daran denkt, das Feld so schnell zu räumen. | |
| Martialisch wirkende Männer mit Maschinengewehren hinter weißen Sandsäcken | |
| überwachen genauestens den Verkehr. Wer jetzt immer noch nicht sein | |
| westukrainisches Kennzeichen gegen eines des Gebiets Donezk eingetauscht | |
| hätte, der hätte Pech gehabt. Er würde aus dem Strom der Wagen | |
| herausgefischt und müsste sich im günstigsten Fall auf eine peinlich genaue | |
| Kontrolle gefasst machen, wenn nicht gar auf seine Inhaftierung als | |
| „verdächtiges Element“. | |
| Die jüngst im Osten der Ukraine ausgerufene „Republik Donezk“ zeigt Zähne. | |
| Zahlreich sind die Bewaffneten der „Republik Donezk“ nicht, aber sie | |
| postieren sich an den entscheidenden Stellen. Ohne sie geht nichts mehr in | |
| der Provinz um Donezk. Auch an einer Patrouille der Verkehrspolizei in | |
| unmittelbarer Nähe eines Checkpoints der Separatisten wird fieberhaft | |
| gearbeitet. Weitere Sandsäcke werden aufgeschichtet, Gräben am Straßenrand | |
| ausgehoben. Für Verkehrspolizisten unüblich, tragen auch sie | |
| Maschinengewehre. Dass die räumliche Nähe der Verkehrspolizisten zum | |
| Checkpoint der „Republik Donezk“ geduldet wird, legt nahe, dass man sich | |
| auch im Fall einer bewaffneten Auseinandersetzung nicht ins Gehege kommen | |
| wird. | |
| „Rette und Bewahre!“, prangt in großen Lettern unter einem orthodoxen | |
| Kreuz, 800 Meter vor dem Ortseingang Enakiewo. Am Ortseingang selbst | |
| begrüßt ein überlebensgroßer Bergarbeiter in Stahl die Besucher. Man ist | |
| angekommen in der Heimatstadt von Wiktor Janukowitsch. | |
| ## Schön und absolut sauber | |
| Zunächst einmal wähnt man sich wie im Himmel. Das Leben geht hier deutlich | |
| langsamer seinen Gang als in der Metropole. Die Stadt mit ihren kleinen, | |
| mehrstöckigen Reihenhäusern ist sehr schön und absolut sauber. Nicht ein | |
| einziger Zigarettenstummel auf den Straßen der Bergarbeiterstadt. | |
| Städtische Angestellte in orangefarbenen Jacken pflegen liebevoll | |
| Grünflächen und Bäume, fegen Bürgersteige und Straßen. Adrette | |
| Verkäuferinnen warten rauchend vor ihren Geschäften auf Käufer, in der | |
| Pizzeria Chicago trinken zwei Männer in aller Seelenruhe ihr Bier. | |
| Schüler sind auf dem Heimweg, Frauen in hochhackigen Schuhen verlassen mit | |
| ihren Kindern an der Hand den Supermarkt. Auf dem Leninprospekt flanieren | |
| Rentner mit ihren Enkeln unter dem Dach der Laubbäume – vorbei am | |
| Lenindenkmal und einer großen Gedenktafel für die Opfer von Tschernobyl. | |
| Gäbe eine Straßenkreuzung nicht den Blick frei auf die hässlichen | |
| Fabrikschlote auf der anderen Seite der Stadt, wo Rauchschwaden den Himmel | |
| verdunkeln, man könnte Enakiewo fast für einen Urlaubsort halten. | |
| Am Ende des Leninprospekts glänzen die Kuppeln der orthodoxen Kirche. Auch | |
| die Nachrichten im Radio der Imbissbude, wo das Schaschlik mit Ketchup | |
| vierzig Cent kostet und Männer wortlos den ganzen Tag vor ihrem Bier und | |
| ihrem iPhone sitzen, scheinen das Leben in der Provinzstadt nicht aus der | |
| Ruhe zu bringen. Von Hektik keine Spur. Unaufgeregt berichtet der | |
| Nachrichtensprecher, dass es bei einem Gefecht in der Nachbarstadt | |
| Slawjansk fünf Tote gegeben habe. | |
| Reich ist die Stadt wirklich nicht. Die Geschäfte sind weitgehend leer. | |
| Käufer finden sich nur in den Lebensmittelläden und auf dem Markt. Kein | |
| einziges Café im Stadtzentrum, lediglich eine billige Imbissbude. | |
| ## Janukowitsch, kein schlechter Kerl | |
| Sie sei nicht unbedingt stolz darauf, in der Heimatstadt von Wiktor | |
| Janukowitsch zu leben, meint die Verkäuferin Lilia auf dem Markt der | |
| Kleinstadt. Nun ja, Janukowitsch sei kein schlechter Kerl gewesen, im | |
| Gegensatz zu den Faschisten in Kiew. Er habe sich zumindest bemüht, etwas | |
| für die Menschen hier im Osten des Landes zu tun. Aber letztendlich sei er | |
| auch ein Feigling gewesen, der sich einfach in die Flucht habe schlagen | |
| lassen. | |
| In Südamerika solle es ja mal einen Präsidenten gegeben haben, der die | |
| Putschisten mit der Kalaschnikow in der Hand empfangen und seinen Palast so | |
| lange verteidigt habe, bis er selbst erschossen wurde. Aber von solchem | |
| Schlag sei Wiktor Janukowitsch nicht gewesen. Der habe lieber dem Geld und | |
| den Frauen hinterherjagen wollen. Und so sei Enakiewo weiterhin ein | |
| trostloser Ort geblieben, mit viel Arbeitslosigkeit und Renten von unter | |
| hundert Euro. | |
| Wer kann, der schaue, dass er wegziehen kann in eine Großstadt. Alle | |
| anderen würden hier gerade mal so überleben, mit wenig zum Leben und viel | |
| Alkohol. Allein in den letzten dreizehn Jahren habe ein Fünftel der | |
| Einwohner die Stadt verlassen. „Das waren unsere besten Leute. Wer | |
| irgendwie Kraft, Ideen und auch Geld hat, bleibt nicht hier“, sagt Lilia | |
| und räumt ihren Marktstand ab. „Ich bin einfach in Panik. Materiell kann | |
| ich hier nicht überleben, aber meine kranke Mutter einfach ihrem Schicksal | |
| überlassen, das kann ich auch nicht.“ | |
| ## Eng mit Russland verbunden | |
| Wahrscheinlich könne nur noch Russland die Region wieder auf die Beine | |
| bringen, so Lilia. „Das ist wirklich schrecklich, was die neuen Machthaber | |
| in Kiew anrichten. Sie machen unsere ganzen Beziehungen zu Russland kaputt. | |
| Für die mag das ja noch erträglich sein, aber unser Gebiet, der Donbass, | |
| kann ohne Russland nicht leben. Unsere Wirtschaft ist eng mit der | |
| Wirtschaft in Russland verbunden.“ | |
| Die Habenichtse von Enakiewo machen sich keine Illusionen über Janukowitsch | |
| oder auch Putin. Aber die Regierung in Kiew, die EU und die USA hassen sie. | |
| „Wenn wir erst mal in Europa sind, müssen wir den Gürtel noch enger | |
| spannen“, sagt ein Rentner, der sich die Stände auf dem Markt ansieht, aber | |
| dann doch nichts kauft. Der Einzige, der der Region noch helfen könne, sei | |
| Putin. Dass Putin das Internet zensiert und Regimegegner inhaftieren lässt, | |
| interessiert in Enakiewo niemanden. | |
| 25 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Clasen | |
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