# taz.de -- Ruandas junge Generation: „Einfach ruandaful“ | |
> Schnelles Internet, schöne Models. Wie eine Generation ein neues | |
> Lebensgefühl sucht – jenseits von Trauer und Depression. | |
Bild: Vertreter einer neuen Generation: Josh, Mouna, Amri, Augustin (von links … | |
KIGALI taz | Vier Wörter in weißer Farbe, gemalt auf zwei Autoreifen, | |
markieren die Hofeinfahrt: Hoffnung, Träume, Liebe, Leben. „Das Leben ist | |
eine Reise, und das ist unser Motto“, sagt Augustin Hakizimana. Er steht im | |
verwilderten Garten der Kunstwerkstatt „Uburanga“ und grundiert eine | |
Leinwand. Hakizimana ist 25. Der Kittel, das Gesicht und die langen | |
Rastalocken des Künstlers sind mit Farbklecksen bedeckt. | |
Die Kunstwerkstatt liegt mitten in einem Wohnbezirk der Mittelschicht auf | |
einem der zahlreichen Hügel von Ruandas Hauptstadt Kigali. Augustin | |
Hakizimana und seine Künstlerfreunde haben sich in ihrer bunten Villa | |
hinter den hohen Mauern eine eigene Welt erschaffen: Die Baumstämme im | |
Garten haben farbige Kringel, Skulpturen aus Schrott und Eisenwaren stehen | |
dazwischen. Die Grundstücksmauer, das Gartentor, die Hausfassade, der | |
Fußboden der geräumigen Veranda – alles ist in grellen Farben bemalt. | |
„Wir wollten einen Ort schaffen, der jeder noch so ausgefallenen Idee Raum | |
gibt“, sagt Hakizimana. So dient die Villa mal als Laufsteg für | |
Modeschauen, dann als Kulisse für Kurzfilme, als Bühne für Musiker oder als | |
Treffpunkt, um am Lagerfeuer Gedichte vorzutragen. „Das Hoftor steht jedem | |
offen“, sagt Hakizimana und legt den Pinsel weg. | |
Als Ruandas berühmtester Künstler stellt er in Tokio und Speyer aus, | |
gewinnt Wettbewerbe in Italien. Wenn er gerade nicht durch die Welt reist, | |
unterrichtet er in Kigalis Grundschulen Malen und Zeichnen. Augustin | |
Hakizimana ist in einem Ruanda groß geworden, das den Völkermord hinter | |
sich lassen will. Er gehört zu einer neuen Generation, die den Genozid | |
nicht bewusst erlebt hat oder erst danach geboren wurde. | |
Das kleine Land mitten in Afrika entwickelt sich rasant. In Kigalis | |
Innenstadt entstehen ständig neue Bürotürme und Einkaufszentren, am | |
Stadtrand Reihenhaussiedlungen und Industrieparks. Überall gibt es WLAN. | |
Selbst die Staumeldungen in Kigalis Innenstadt kommen online. Werbeplakate | |
europäischer Fluglinien locken die ruandische Mittelschicht an den | |
Mittelmeerstrand. Kigali ist anders als die anderen Hauptstädte der Region. | |
Aufgeräumter, sauberer. | |
Ruanda versucht, sich neu zu erfinden. „Ruanda – das sind du und ich“ ste… | |
auf Postern und Aufklebern in der Innenstadt, auf Autostoßstangen und | |
Motorradhelmen. „Einfach ruandaful“ lautet der Slogan eines Radiosenders. | |
Wie: wonderful. | |
Ruandas Regierung hat einen Entwicklungsplan „Vision 2020“ aufgesetzt. Die | |
Hauptstadt wird radikal grundsaniert. Man kann das Regime unter Präsident | |
Paul Kagame als Entwicklungsdiktatur beschreiben. | |
Auch jenseits der Hauptstadtgrenze sollen die Ruander von den Plänen | |
profitieren. Bisher leben die meisten dort noch von Landwirtschaft. Die | |
Bevölkerung ist arm, und die jungen Leute vom Land haben wenig mit Kigalis | |
Großstadtjugend zu tun, die mit ihren Smartphones via Facebook und Twitter | |
kommuniziert. | |
## Die Künstler auf dem Freiluftsofa | |
Augustin Hakizimana hat sich im Garten der Künstlervilla zu seinen Freunden | |
gesetzt auf das Sofa zwischen den bemalten Baumstämmen. Da ist | |
beispielsweise Celestine Ntawirema. Er ist 30. Seine Eltern und Geschwister | |
wurden 1994 getötet. Er wuchs als Straßenkind auf, hat erst spät eine | |
Schule besucht. Ntawirema tanzt bei Hochzeiten und Staatsempfängen | |
traditionelle Tänze, schreibt Kurzgeschichten auf seinem Blog. Er | |
produziert Kurzfilme, damit ist er auf Youtube berühmt geworden. | |
Oder Amri Mbera, 23, der Ingenieurwesen studiert und schon zwei Firmen | |
gegründet hat. In einem Dorf lässt er Pilze anbauen, die er in Kigali an | |
teure Restaurants verkauft. Vor Kurzem hat er die Modelagentur Irebe | |
gegründet. Mbera ist 1992 geboren und hat nur verschwommene Erinnerungen an | |
den Genozid im Kopf: „Bilder von Leichen auf den Straßen, aber ich habe | |
damals nicht verstanden, was da eigentlich passiert“, sagt er. | |
Das Trauma des Völkermordes sitzt tief in Ruanda. Die jährlichen | |
Gedenkrituale von April bis Juli – die hundert Tage, in denen die Massaker | |
1994 geschahen – rufen die Erinnerungen immer wieder wach. Die Stimmung zu | |
Hause vor der diesjährigen Gedenkfeier sei schrecklich, sagt Mbera, es gebe | |
Streit. Der Vater war 1994 Soldat in der Rebellenarmee, die von Uganda aus | |
einmarschierte, er habe den Genozid gesehen und das Trauma nie überwunden. | |
Gerade sei es besonders schlimm: „Er trinkt den ganzen Tag“, sagt Mbera. | |
Er selbst nehme zu Hause Rücksicht und versuche das Trauma des Vaters zu | |
verstehen. Aber seine Schwester, die 16 ist, hört laut Musik und hat keine | |
Lust auf kollektive Volkstrauer. Deshalb streiten sie. | |
Auch Mouna Dukunde hat sich am Wochenende noch schick gemacht, sich ein | |
buntes Kleid angezogen, war in den Nachtclubs unterwegs, hat die ganze | |
Nacht getanzt. Dukunde ist 18 und zählt zu Ruandas Topmodels, sie hat vor | |
wenigen Wochen an der „Miss Ruanda“-Wahl teilgenommen, studiert Finanzwesen | |
und will einmal in einer Bank arbeiten. Nebenher jobbt sie als Hostess bei | |
Empfängen für Investoren. Sie ist sich ihrer Schönheit sehr bewusst: „Klar, | |
wir Mädels ziehen auch Investoren an“, sagt sie, während sie auf dem Sofa | |
im Garten sitzen. | |
## Keine Disco während der Trauerzeit | |
In Ruanda haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Diskotheken eröffnet, | |
die bis zum Morgengrauen laute Musik spielen. Das ist neu in Kigali. Früher | |
wirkte selbst die boomende Hauptstadt am Wochenende nach Sonnenuntergang | |
gespenstisch ruhig für eine afrikanische Stadt. Die Leute besuchten | |
höchstens Restaurants. | |
Während der 100 Gedenktage schließen die Discos, in den Bars wird nur leise | |
Musik gespielt. Mouna Dukunde nervt das. „Ich wollte noch mal ordentlich | |
Spaß haben“, sagt sie. Auch dafür soll die Villa hinter den hohen Mauern | |
Platz bieten. Depressionen, Trauer, Albträume sollen draußen bleiben. | |
Keiner der jungen Leute aus der Kunstwerkstatt wird am Montag ins Stadion | |
von Kigali gehen zur großen Trauerfeier. Celestine Ntawirema, der | |
Filmemacher, zeigt auf sein Smartphone: „Ich schaue online zu, aber wenn | |
man da hingeht, muss man still sitzen bleiben, bis alle Reden zu Ende sind | |
– das dauert ewig“, sagt er und verdreht ein wenig die Augen. „Dafür gib… | |
dann ja die Kurzform auf Twitter.“ | |
Ruandas Regierung twittert, was das Zeug hält. Präsident Paul Kagame | |
schickt so seine Grußbotschaften an die Jugend. Die jungen Leute in der | |
Künstlervilla mögen ihn. Er garantiert Sicherheit, das sagen viele im Land. | |
Und verbindet Ruanda mit der Welt, über Internetkabel – und über | |
Investoren. | |
Oft wird Ruanda das Singapur Afrikas genannt – auch weil es so rigide | |
sauber gehalten wird mit Bußgeldern und Polizisten. Unter Afrikas Staaten | |
wird Ruanda so zur Marke. Null Korruption, Sauberkeit, Ordnung und | |
Entwicklung. Die Regierung schaltet Anzeigen weltweit und präsentiert sich | |
– etwa auf der Berliner Tourismusmesse. | |
## „Bei uns ist Hutu oder Tutsi egal“ | |
Die junge Generation soll diese Idee von einem neuen Ruanda leben – | |
jenseits der ethnischen Teilung. Unter den Freunden im Garten der | |
Kunstwerkstatt sei das auch so, sagen sie. „Bei uns ist es total egal, | |
welcher Ethnie die Freundin angehört, solange man sich liebt“, sagt | |
Augustin Hakizimana. Das unterscheidet diese Generation von ihren Eltern. | |
Hakizimana erzählt, wie Hutu-Milizen seiner schwangeren Schwester 1994 das | |
Baby aus dem Leib schnitten. Die Mutter habe das nicht überwunden. „Sie | |
wollte nie wieder einen Hutu im Haus haben, und dann entschied sich mein | |
Bruder zu ihrem Entsetzen, seine Hutu-Freundin zu heiraten“, sagt er. Die | |
Mutter kam nicht zur Hochzeit. Um das neue Ruanda zu leben, entfernt sich | |
die Jugend von ihren Eltern. | |
Viele Ruander wie Celestine Ntawirema haben gar keine Eltern mehr. Die | |
jungen Frauen und Männer in der Kunstvilla sind seine kleine Familie. Im | |
Waisenhaus, in dem Ntawirema groß wurde, lebten Tutsi-Kinder, deren Eltern | |
getötet wurden, mit den Kindern der Hutu-Täter, deren Väter im Gefängnis | |
saßen. „Wir waren alle arm und elternlos, wir Kinder waren alle gleich“, | |
sagt er. | |
Josh Kubkiayo, der als Flüchtling im Nachbarland Uganda aufwuchs und jetzt | |
als Model arbeitet, sieht das genauso. In seiner ugandischen Schule | |
stammten etwa 200 Mitschüler aus Ruanda. Ob Hutu oder Tutsi sei nie die | |
Frage gewesen. „Im Gegenteil, wir mussten uns doch gemeinsam als Ruander | |
gegen unseren ugandischen Klassenkameraden durchsetzen.“ Wie viele im Exil | |
geborenen Ruander will er über den Genozid nicht allzu viel nachdenken. | |
Alle fünf wollen in einem Land leben, das nicht nur mit tausendfachen | |
Morden verbunden wird. Sie interessieren sich für Moden aus Paris, | |
Design-Trends aus New York. „Wir schaffen uns unsere eigenen Jobs, gründen | |
Firmen und entwickeln unser Land“, sagt der Jungunternehmer Amri Mbera. | |
„Genau“, ergänzt Augustin Hakizimana, immer noch Farbkleckse im Gesicht. | |
„Von den aufgehetzten Jugendbanden, die 1994 mit Macheten durch das Land | |
zogen, sind wir Lichtjahre entfernt.“ | |
7 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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