| # taz.de -- Ruanda gedenkt des Völkermordes: Alte Wunden brechen neu auf | |
| > Als im Stadion von Kigali der Genozid nachgespielt wird, ist das manchen | |
| > im Publikum zu viel. Traumatisierte können einen Ruheraum aufsuchen. | |
| Bild: Schauspieler stellen im Stadion von Kigali den Völkermord nach. | |
| KIGALI taz | Dicker feuchter Nebel hängt über den Hügeln von Ruandas | |
| Hauptstadt Kigali. Am frühen Morgen ist es gespenstisch ruhig in der | |
| Innenstadt, es fahren kaum Autos; Läden, Banken, Cafes sind geschlossen. | |
| Die Einwohner bereiten sich vor, zu Fuß zum großen Stadion zu marschieren. | |
| In einer gigantischen Inszenierung gedenkt Ruanda des Völkermords vor 20 | |
| Jahren. Am Abend des 6. April 1994 wurde über Kigali die Maschine des | |
| Hutu-Präsidenten Juvenal Habyarimana abgeschossen; kurz darauf begannen die | |
| radikalen Hutu-Milizen, Interahamwe genannt, und Soldaten der Armee mit dem | |
| Massenschlachten an der Tutsi-Minderheit. Nach hundert Tagen waren über | |
| 800.000 Tutsi und regimefeindliche Hutu tot. | |
| Zwanzig Jahre später hat Ruandas Regierung die ganze Welt zum Gedenken | |
| eingeladen. Die Straßen wurden gesäubert, Grünanlagen angelegt und Hecken | |
| geschnitten, das Stadion in den Nationalfarben Blau, Geld und Grün neu | |
| angemalt. | |
| „Erinnern, vereinen und erneuern“ lautet das Motto der Gedenkzeremonien. | |
| Eine Fackel wanderte seit Januar durch alle Provinzen, getragen von | |
| 20-jährigen Mädchen und Jungen – die erste Generation, die nach dem | |
| tragischen Jahr 1994 geboren wurde, die das moderne und aufstrebende Ruanda | |
| heute verkörpern soll. Vergangene Woche erreichte diese Flamme die | |
| Hauptstadt und brannte seitdem an der zentralen Gedenkstätte in Kigali, | |
| Gisozi, wo eine Viertelmillion Leichen in einem Massengrab beerdigt sind. | |
| ## Schreie und Schluchzen | |
| Als tausende Ruander am Montag Vormittag in Richtung Stadion strömen, klart | |
| der Nebel auf, die Sonne scheint. Unter strahlend blauem Himmel legt | |
| Ruandas Präsident Paul Kagame in Begleitung von sieben Amtskollegen einen | |
| Kranz auf dem Massengrab in Gisozi nieder und entzündet an der Flamme eine | |
| Fackel, um sie ins Stadion zu bringen. | |
| Die Sitzreihen im sind bis auf den letzten Platz besetzt. Die Stimmung ist | |
| keine freudige – im Gegenteil. Ein Überlebender erzählt in grausamen | |
| Details die Ereignisse des 7. April 1994, als er zusehen musste, wie die | |
| Hutu-Milizen seine dreijährige Tochter töteten. Schreie und Schluchzen | |
| hallen durch das Stadion. Das Rote Kreuz muss Dutzende Menschen wegtragen. | |
| Für diese Traumatisierten ist extra ein Ruheraum eingerichtet. | |
| Jugendliche führen auf dem grünen Rasen ein Schauspiel auf: Die Geschichte | |
| des Genozids. Wie einst Hutu und Tutsi friedlich in zusammen lebten. Doch | |
| dann kamen die weißen Kolonialherren und teilten die Ruander in Rassen auf. | |
| Als die Weißen abzogen, hinterließen sie ein zutiefst gepaltenes Volk, das | |
| sich gegenseitig umbringt. Symbolisch legen sich die Jugendlichen | |
| hundertfach auf den Rasen, als wären sie tot. Laute Musik hallt aus den | |
| Lautsprechern. | |
| Es geht vielen Menschen auf den Zuschauerrängen ins Mark, sie fangen ganz | |
| real an zu schreien. Dann marschieren als Teil der Inszenierung Soldaten im | |
| Laufschritt herein, richten die auf dem Rasen liegenden Jugendlichen auf. | |
| Sie erwachen sozusagen wieder zum Leben. Die Tutsi-Befreiungsarmee RPF | |
| (Ruandische Patriotische Front), die 1994 das Land eroberte und den | |
| Völkermord stoppte, stellt heute die nationale Armee. Sie wird in diesem | |
| Szenario als Helden gefeiert. | |
| ## „Die Fakten sind hartnäckig“ | |
| Die Botschaft ist klar, und in seiner anschließenden Rede wird Paul Kagame | |
| sehr deutlich: „Die Menschen, die den Völkermord planten und ausführten, | |
| waren Ruander, aber die Geschichte und Gründe gehen über dieses | |
| wunderschöne Land hinaus“, sagt der ruandische Präsident. „Deswegen suchen | |
| wir Ruander weiterhin die möglichst vollständige Erklärung dafür, was | |
| geschah“. Es geht um die belgische Kolonialzeit, aber auch um Frankreich. | |
| „Kein Land ist mächtig genug, die Tatsachen zu verändern, auch wenn es das | |
| denkt, denn“, sagt Kagame und wechselt unvermittelt ins Französische: „Die | |
| Fakten sind hartnäckig“. | |
| Dies ist eine klare Botschaft an Frankreich und Belgien. Kagame hat jüngst | |
| erneut wieder Frankreich bezichtigt, dem damaligen Hutu-Regime zum | |
| Massenmord verholfen zu haben. Daraufhin kündigte Frankreichs Regierugn | |
| zwei Tage vor der Gedenkfeier an, doch keine Delegation nach Kigali zu | |
| schicken. In Reaktion wurde der französische Botschafter ausgeladen. | |
| UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erkennt in seiner Rede im Stadion das | |
| Versagen der internationalen Gemeinschaft 1994 an. „Wir hätten viel mehr | |
| tun können“, sagt er. Doch heute habe die Welt einen „Fortschritt | |
| vollzogen, der Hoffnung macht“, so Ban Ki Moon. Er nennt als Beispiel die | |
| UN-Friedensmission in Südsudan, die während der jüngsten Gewalt Flüchtigen | |
| Schutz geboten hat. | |
| Andererseits befinde sich „Syrien in Flammen und Zentralafrika im Chaos“. | |
| Ban warnt: „Die Welt muss immer noch ihre Spaltung und ihre | |
| Gleichgültigkeit überwinden.“ | |
| 7 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schlindwein | |
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