# taz.de -- Aufarbeitung des Genozids in Ruanda: Herr Professor vor Gericht | |
> Lange Zeit weigerten sich westliche Staaten, Täter an Ruanda | |
> auszuliefern. Mit neuem Vertrauen in die Justiz des Landes hat sich das | |
> geändert. | |
Bild: Gedenken an die Opfer des Genozids: TeilnehmerInnen einer Trauerfeier in … | |
KIGALI taz | Bis vor Kurzem lieferten westliche Länder grundsätzlich nicht | |
nach Ruanda aus. Ihnen könne in Ruanda kein faires Verfahren ermöglicht | |
werden, die Haftbedingungen seien unmenschlich, so die Bedenken des | |
Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in einem Urteil 2006. | |
Darauf hat Ruanda reagiert: Das Justizsystem wurde reformiert, | |
Staatsanwälte wurden zur Ausbildung in den Westen geschickt, ein für Afrika | |
luxuriöses Gefängnis nach internationalen Standards wurde errichtet, mit | |
Doppelbett und Fernseher in der Zelle, während sich die Mehrheit der | |
Ruander noch immer keinen Stromanschluss leisten kann. Bislang sitzen in | |
diesem Luxusknast Mörder, die vom internationalen Tribunal für Sierra Leone | |
verurteilt worden sind. | |
2011 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, | |
Auslieferungen nach Ruanda seien jetzt zulässig. Die Zusammenarbeit mit den | |
westlichen Justizsystemen habe sich in den vergangenen Jahren enorm | |
verbessert, sagt Jean-Bosco Siboyintore, der Chef der ruandischen | |
Sonderermittlereinheit für die internationale Suche nach flüchtigen | |
Völkermordverantwortlichen. | |
Im Jahr 2006 hatte Ruandas Außenministerium den ausländischen Botschaften | |
in Kigali eine Liste von 93 weltweit gesuchten Verdächtigen gezeigt, deren | |
Festnahme und Auslieferung es sich wünscht. Jahrelang geschah nichts. | |
Deutschlands Bundesstaatsanwaltschaft war eine der ersten, die aktiv | |
wurden. | |
## Beihilfe zum Völkermord | |
2008 nahm sie Ermittlungen gegen den in Hessen auf Asylstatus lebenden | |
Onesphore Rwabukombe auf, 1994 Bürgermeister im Osten Ruandas. Er wurde | |
verhaftet, 2011 vor Gericht gestellt und im Februar 2014 vom | |
Oberlandesgericht Frankfurt wegen Beihilfe zum Völkermord schuldig | |
gesprochen. Es ging um ein Massaker an über 1.000 Tutsi. Rwabukombe bekam | |
14 Jahre Haft. | |
Der Prozess gegen den Mann war für die deutsche Justiz ein komplexes | |
Verfahren. Ruandische Zeugen wurden nach Deutschland geflogen, um dort vor | |
Gericht auszusagen. Deutsche Ermittler suchten in Ruanda nach Beweisen. Per | |
Online-Videoübertragung aus Ruanda wurden ruandische Häftlinge von | |
deutschen Richtern vernommen. Drei Jahre dauerte der Prozess – eine ganz | |
neue Erfahrung für beide Länder. | |
In Schweden und Norwegen stehen jetzt mutmaßliche ruandische Genozid-Täter | |
vor Gericht. In Frankreich wurde im März Ruandas Exgeheimdienstchef Pascal | |
Simbikangwa in nur sechs Wochen in Paris wegen Beihilfe zum Genozid und | |
Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. | |
Der erste Völkermordverdächtige, der von einem westlichen Land an Ruanda | |
ausgeliefert und dort vor Gericht gestellt wurde, war Professor Leon | |
Mugesera. Das hochrangige Mitglied der einstigen Regierungspartei MRND soll | |
in einer Rede 1992 vor radikalen Hutu-Parteimitgliedern zum Völkermord an | |
den Tutsi aufgerufen haben, so die Anklage. | |
## Nach Kigali deportiert | |
Mugesera floh 1993, also noch vor dem Völkermord, nach Kanada, wo er zuvor | |
promoviert hatte. Dort verhandelten kanadische Gerichte bereits 1995 über | |
dessen Auslieferung. Damals entschieden sich die Gerichte dagegen, da in | |
Ruanda damals noch die Todesstrafe ausgeführt wurde. Diese wurde 2007 | |
abgeschafft. 2012 wurde der 62-jährigen Mugesera abgeschoben. Noch am | |
selben Tag wurde er nach Kigali deportiert. | |
Jetzt sitzt der Professor in seiner Heimat Ruanda in rosa Häftlingstracht | |
im Gerichtssaal Nummer eins in Kigali. Der Zuschauerbereich in dem großen | |
Gerichtssaal ist leer. Drei Richter in schwarzen Roben beugen sich auf | |
einem Podium über ihre Laptops. Zwei Staatsanwältinnen sitzen an einem | |
Tisch. Mugesera sitzt ihnen gegenüber. Mit seiner Lesebrille auf der Stirn | |
festgeklemmt, zahlreichen Büchern auf dem Tisch vor der Anklagebank, bunten | |
Notiz- und Klebezettel zwischen den Seiten wirkt er wie im Vorlesungssaal. | |
Er wirkt nicht wie ein mutmaßlicher Völkermörder auf der Anklagebank. | |
Das Verfahren hat noch nicht richtig begonnen, da gibt es schon | |
Verwirrungen. Er sei zum letzten Termin nicht erschienen, wirft ihm der | |
Richter vor. Mugesera wedelt mit der Strafprozessordnung. Er sei krank und | |
wenn er sich nicht gut fühle, müsse er nicht erscheinen, sagt er. Ruandas | |
Gerichte sind noch unerfahren; aber auf die Justiz wird demnächst viel mehr | |
Arbeit zukommen: Die Niederlande haben jetzt bereits angekündigt, fünf | |
Verdächtige auszuliefern. | |
11 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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