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# taz.de -- Ruandisches Tagebuch Folge 4: Alptraum als Wirklichkeit
> Der bisher schwerste Gang unserer Autorin: Ein Besuch in Ruandas
> zentraler Gedenkstätte in Gisozi 20 Jahre nach dem Völkermord.
Bild: Der Eingang zur Gedenkstätte Gisozi.
Mittwoch 9. April. Als ich letzten Oktober in der zentralen
Genozid-Gedenkstätte im Stadtteil Gisozi war, hat mir das ziemlich den
Boden unter den Füßen weggezogen – und ich habe stundenlang geheult. Mal
sehen wie es sich heute anfühlt.
Als ich unter dem Bogen des Eingangstores durchlaufe, merke ich gleich,
dass es nicht einfach werden wird. Ich setzte mich auf eine Bank im
Schatten. Schon laufen mir die Tränen herunter. Ich lasse es einfach
geschehen. Die Leute, die an mir vorbeilaufen, nehme ich kaum wahr. Langsam
werde ich etwas ruhiger.
Erst jetzt sehe ich, dass der Vorplatz der Gedenkstätte verändert ist –
dort wo im Oktober noch ein Becken mit Springbrunnen und einem
Flammenhalter stand, ist jetzt der Boden ebenso gepflastert wie der Rest
des Platzes.
Ich gehe um das Museum herum in den Rosengarten. Dort ist es ruhig und
angenehmer. Doch die Trauer überkommt mich hier wieder, diesmal mit voller
Wucht. Es dauert, bis ich mich wieder fange. Jetzt kann ich zu den
Massengräbern gehen, ich möchte zuerst den dort beerdigten 250.000 Menschen
die Ehre erweisen.
Die Grabstätten sind mit Betonplatten abgedeckt und auf drei Ebenen in
langen Reihen angelegt. Viele einzelne rote Rosen und große Blumengestecke
schmücken sie. Auf den Trauerbändern stehen Sätze wie „Papa, Mama – ihr
fehlt“.
Ich laufe die einzelnen Grabreihen entlang. In der zuunterst gelegenen
wurde eine der Betonplatten etwas versetzt, das Grab ist offen. Ich schaue
auf Reihen bis unter die Decke aufeinander gestapelter Särge.
Ich laufe ziellos über das weitläufige Gelände, vorbei an der „Wand der
Namen“, an der eines Tages alle Namen der hier beigesetzten Toten
eingraviert sein sollen. Ich lese eine Reihe von Namen, suche auch ein
wenig ängstlich nach Bekannten, obwohl ich weiß, dass von unserer Familie
hier vermutlich niemand verzeichnet ist. Obwohl noch Tausende fehlen,
scheint mir die Auflistung endlos.
## Obstbäume zum Gedenken an die Kinder
Für den 20. Jahrestag wurde ein neuer Außenbereich angelegt. Im Mittelpunkt
steht eine große Fackel, die Präsident Kagame am 7. April in einer
feierlichen Zeremonie entzündet hat. Auf einem riesigen Plakat steht das
Motto von Kwibuka20 – „erinnern, vereinen, erneuern“.
Jetzt verstehe ich auch, warum der Springbrunnen mit dem Flammenhalter
verschwunden ist. Die „Flamme der Erinnerung“ wurde ja seit Anfang des
Jahres von den Kwibuka-TrägerInnen durch sämtliche Provinzen des Landes
getragen, um dann hier zum Jahrestag die Fackel der Erinnerung zu
entfachen.
Oberhalb dieses Bereichs ist der „Garten der Kinder“ angelegt, ein Garten
mit vielen Obstbäumen, denn Kinder symbolisieren die Früchte der Welt.
Ich brauche eine Atempause und setze mich in das Café der Gedenkstätte.
Traurig sitze ich vor einer Tasse Tee und starre vor mich hin. „Was habe
ich eigentlich anderes erwartet“, frage ich mich selbst. Es ist nicht
einfach ein Friedhof - hier liegen Zehntausende Ermordete.
Ich überlege, ob ich mir tatsächlich noch die Ausstellung ansehen soll. Im
Oktober hatte ich nur die Hälfte geschafft - die untere Etag,e in der die
Geschichte Ruandas vor, während und nach dem Völkermord eindrücklich
dokumentiert ist. Die obere Etage hatte ich gemieden. Dort gibt es unter
anderem die „Kinderzimmer“ zum Gedenken an die bestialisch ermordeten
Kinder. Diesmal habe ich mir eigentlich fest vorgenommen, mir auch diese
zweite Etage anzusehen.
Ein Mann nähert sich langsam meinem Tisch, ich erkenne ihn sofort: Yassel,
der junge Mann, der mich im Oktober selbstlos getröstet hat. Er freut sich,
mich zu sehen, mir geht es ebenso. Ein vertrautes Gesicht, das hilft mir.
Also beschließe ich doch in das Museum zu gehen. Am Eingang steht Serge,
der „Head of Guide“. Er kann sich noch an mich erinnern. Freut sich, dass
ich wiedergekommen bin. Er sagt, dass er überzeugt davon ist, dass jeder
Besuch auch ein winziges Stück Heilung gibt. Ungefragt drückt er mir eine
Flasche Wasser und ein Headset in deutscher Sprache in die Hand und wünscht
mir viel Kraft.
## Dann geht es voll zur Sache
Ich finde die Ausstellung extrem gut kuratiert. Große Wandbilder, Videos,
Erklärtafeln, Fotos ergänzt von einem sehr gutem Audioführer in perfektem
Deutsch, über die einzelnen Bereiche verteilt sind Sitzbänke, zum
Innehalten, sogar die Beleuchtung ist sehr gut darauf abgestimmt.
Der Rundgang beginnt mit der Zeit vor der Kolonisierung, die Erschaffung
der Ethnien durch die rassistische Denke der Deutschen und besonders der
Belgier, anschließend die Zeit der Unabhängig und die Entstehung der
Hutu-Extremisten.
Und dann geht es voll zur Sache – das Schlachten von 1994 ist eindrücklich
in Wort und Bild festgehalten. Ich kenne die Ausstellung ja schon, dennoch
ist es sehr krass. Doch Serge hat auch irgendwie recht, es fühlt sich
anders als letztes Mal an. Der Rundgang mündet in einem runden Raum, in dem
wunderschöne geschnitzte lebensgroße Holzfiguren stehn. Ich berühe das
glatte Holz. Es fühlt sich gut an.
Ich weiß aber auch, was nun kommt. Drei besondere Räume gehen von hier ab.
Im ersten befinden sich über 2000 Fotos von hier beerdigten Menschen.
Männer, Frauen, Kinder - Familienfotos, so intim. Der Völkermord ist mit
einem Mal sehr persönlich mit diesen konkreten Gesichtern.
Der zweite Raum ist nicht weniger berührend - mehrere Vitrinen mit
Schädeln, andere mit Gebeinen. Im dritten Raum schließlich sind
Kleidungsstücke ausgestellt, die in einem der Massengräber in Kigali
geborgen wurden.
Mit Beklemmung verlasse ich die untere Etage. Jetzt also hoch in den
zweiten Stock.
## Vor der Tür zum Kinderzimmer
Auch hier ein eindrücklicher Rundgang. Zahlreiche Räume klären über weitere
Völkermorde des letzten Jahrhunderts auf: an den Armeniern, den Juden, in
Kambodscha, auf dem Balkan. Die Bilder, Zahlen und historischen Fakten sind
eindrücklich und erschütternd. Und die Botschaft ist eindeutig: Hass und
Genozid ist nichts Singuläres. Überall auf der Welt werden Menschen immer
wieder geplant und organisiert abgeschlachtet.
Dann stehe ich vor der Tür zu den Kinderzimmern. Ich habe kein Wort für das
Gefühl, das mich ergreift. Ich muss an meine eigenen Kinder denken, die
jetzt in Berlin ihrem Schulalltag nachgehen. Das Tiefdurchatmen hilft nicht
wirklich. Ich gehe dennoch hinein - und muss sofort weinen.
Ein großes Portraitfoto hängt dort. Das lachende Mädchen auf dem Bild
durfte nur 12 Jahre alt werden. Auf einer Tafel steht ihr Name, ihr Alter,
was sie am liebsten gegessen hat, dass ihre letzten Worte waren: „Mama,
wohin soll ich denn weglaufen?“ Und darunter steht, dass sie erschossen
wurde.
Und so geht es über mehrere Räume hinweg weiter. Vierjährige und
Fünfjährige, die zerhackt wurden. Zweijährige, die an die Wand geschleudert
wurden. Ein Geschwisterpaar von 4 und 2 Jahren, die durch eine Granate in
ihren Betten zerfetzt wurden. Säuglinge, die totgeschlagen wurden. Ein
10-jähriger, den man zu Tode geqäult hat. Weinend laufe ich durch diesen
Alptraum, der Wirklichkeit ist. Diese Kinder sind wirklich alle tot.
## Ich muss hier raus und schäme mich beinahe
Ich muss hier raus. Durch einen Hinterausgang gelange ich hinaus, setze
mich auf die Treppe und kann garnicht aufhören, zu weinen. Die frische Luft
und die Sonne holen mich schließlich ein wenig zu mir zurück. Betäubt gehe
ich wieder ins Café, setze mich an abseits an einen Tisch im Schatten und
versuche, zu begreifen.
Ich bin so in Gedanken, dass ich nicht bemerke, wie sich eine junge Frau an
meinen Tisch setzt. Sie heißt Safi, spricht sie mich an. Ich sehe so
traurig aus, deshalb möchte sie mir ihre Gesellschaft anbieten. Ich bin
verwirrt, aber auch dankbar. Weiß nicht was ich sagen soll. Dann erzählt
sie mir, dass sie selber Überlebende ist. Sie war acht, als sie ihren
Mördern entkommen ist. Dabei lächelt sie mir aufmunternd zu.
Ich bin sprach- und fassungslos, schäme mich beinahe meiner ohnmächtigen
Verzweiflung. Ich bin schließlich keine Überlebende wie sie.
Safi gibt mir ihre Telefonnummer. Sobald sie Zeit hat, wollen wir uns
treffen.
10 Apr 2014
## AUTOREN
Marie-Claude Bianco
## TAGS
Völkermord
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