# taz.de -- Ruandisches Tagebuch Folge 7: Wider die Perspektivlosigkeit | |
> Safi musste mitansehen, wie ihre Mutter 1994 zerhackt wurde, und sie hat | |
> keine Angehörigen mehr. Jetzt will sie etwas tun für die Kinder der | |
> Völkermordüberlebenden. | |
Bild: Safi Mukundwa. | |
Samstag 12. April. Heute treffe ich Safi Mukundwa, die junge Frau, die mich | |
am Dienstag in der Genozidgedenkstätte Gisozi angesprochen hat. Wir treffen | |
uns in einem Café, dann begleite ich sie nach Hause. Sie hat wenig Zeit, | |
weil sie für ihre Examensprüfungen lernen muss, die nächste Woche anstehen. | |
Ich habe auf ihren Rat hin beim ruandischen Genozidarchiv nachgelesen, was | |
Safi ertragen musste. Genocide Archive (www.genocidearchiverwanda.org.rw) | |
ist ein Gemeinschaftsprojekt der Gedenkstätte, der staatlichen ruandischen | |
Kommission gegen Genozid und des britischen Aegis Trust als Träger: Opfer | |
und Täter können - oder sollen? - hier Zeugnis ablegen. | |
Safi stammt aus Kibuye, ganz im Westen Ruandas in der Nähe des Kivu-Sees. | |
Als 1994 das Morden begann, sie war 8 Jahre alt, flüchtete sie zunächst wie | |
viele andere Tutsi mit ihren Eltern und ihren beiden Brüdern ins Stadion. | |
Dort harrten sie zwei Wochen aus, doch dann kam die Hutu-Miliz Interahamwe. | |
Sie schafften es gerade noch rechtzeitig, zu entkommen. Zu Fuß flüchteten | |
sie, versteckten sich im Wald, wurden aber immer weiter gejagt. | |
Unterwegs verloren sie ihren Vater und einen ihrer Brüder. Zusammen mit | |
ihrer Mutter und dem zweiten Bruder versuchten sie, in den Kongo zu | |
gelangen. Sie wurden entdeckt und mussten helfen, Gräber auszuheben, um die | |
herumliegenden Leichen zu begraben. Die drei konnten noch einmal entkommen | |
und schafften es bis zum ruandischen Arbeitsministerium, wo Safis Mutter | |
gearbeitet hatte. Ihre Mutter hatte einem der Wächter dort zu seiner | |
Arbeitsstelle verholfen - nun hoffte sie, dass er ihnen helfen könnte. Doch | |
stattdessen verriet der Mann sie und rief bei ihrem Anblick laut „Inyenzi, | |
Inyenzi!“ (Kakerlaken, Kakerlaken). Und sofort kamen die Interahamwe | |
gelaufen und gingen mit Macheten auf Safi und ihre Angehörigen los. | |
Safi musste mitansehen, wie ihre Mutter und ihr Bruder zerhackt wurden. Sie | |
selbst überlebte schwer verletzt. Später nahm sie die Familie ihres einzig | |
überlebenden Onkels auf. | |
Die allerschwerste Machetenverletzung hatte Safi am rechten Bein: die | |
Mörder hatten versucht, es abzuhacken. Sechs Mal musste sie operiert werden | |
und monatelang lag sie im Krankenhaus. Sie zeigt mir ihre Narben, sie sind | |
sehr groß. | |
Ihre Mutter hat sie immer ermahnt fleißig zu lernen. Ihre Hoffnung war, | |
nach der Grundschule auch die Oberschule abzischließen. Auch ihr Onkel hat | |
sie immer angespornt, zu lernen und fleißig zu sein. Er hat ihr die Kraft | |
gegeben, weiter zu leben. Als er jedoch 2002 unerwartet starb, fiel sie in | |
eine tiefe Depression. Sie brauchte fast drei Jahre, um diesen Verlust zu | |
verkraften. Mir erzählt sie, dass das für sie genauso schmerzhaft war wie | |
der Genozid. Seitdem ist sie ganz alleine. | |
Safi wohnt jetzt zusammen mit zwei anderen Überlebenden in Kigali. 2007 hat | |
sie sich entschieden, ihre Geschichte im „Genozid-Archiv“ dokumentieren zu | |
lassen, damit von ihrer Familie wenigstens eine Erinnerung bleibt, falls | |
sie sterben sollte. | |
Und sie hat immer an den Rat ihrer Mutter und ihres Onkels gedacht. Weil | |
sie die Grundschule mit Auszeichnung abgeschlossen hat, bekam sie von der | |
Regierung ein Stipendium für den Besuch der Oberschule. Auch die hat sie | |
mit Auszeichnung bestanden und bekam dann auch ein Stipendium fürs Studium. | |
Sie ist davon überzeugt, dass sie nur mit Bildung weiterkommen kann hier in | |
Ruanda. Deshalb absolviert sie auch zur Zeit ihr Zweitstudium an der Mount | |
Kenya Universität-Finanzwesen. Vom ruandischen Überlebenden-Fonds erhält | |
sie etwas finanzielle Unterstützung. Wenn es ihr schlecht geht, sagt sie, | |
denkt sie an die Worte ihrer Mutter. Das gibt ihr die Kraft, nicht | |
aufzugeben und weiter ums Überleben zu kämpfen. | |
Diese junge Frau berührt mich zu tiefst. Trotz all ihrer grauenvollen | |
Erfahrungen schaut sie positiv in die Zukunft. Die Arbeitslosigkeit in | |
Ruanda ist dramatisch, die allermeisten jungen Universitätsabsolventen | |
stehen anschließend auf der Straße. Dennoch ist Safi zuversichtlich, | |
irgendwann einen guten Job zu finden, auch wenn sie keine Beziehungen hat. | |
Doch Safi hat auch einen großen Traum. Da sie ständig mit anderen | |
Überlebenden zu tun hat, weiß sie, dass viele aufgeben, dass viele nach der | |
Grundschule aufhören und weder eine Perspektive sehen noch haben. Die | |
meisten heiraten dann früh, bekommen Kinder und reichen ihre | |
Perspektivlosigkeit an die nächste Generation weiter. | |
Deshalb träumt Safi davon, auf dem Land eine Schule zu eröffnen, an der | |
Überlebende handwerkliche Fähigkeiten erlernen können - technical skills“, | |
sagt sie. Sie möchte eine Stiftung gründen und dann mit dieser nach und | |
nach diese Schule aufbauen. Längst hat sie ein Konzept ausgearbeitet und | |
aufgeschrieben. Und in Buchhaltung und Finanzwesen kennt sie sich gut aus. | |
Doch ihr fehlen die Kontakte, sie ist auf der Suche nach Unterstützern. | |
14 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Marie-Claude Bianco | |
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