Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ruandisches Tagebuch Folge 5: Deutschland liegt in Kigali
> Ruanda? Hinter deutsch anmutenden Reihenhäusern geht es zum deutsch
> geförderten Kwetu-Filminstitut und schließlich zur Station der Deutschen
> Welle.
Bild: Vor 20 Jahren war hier eine Sandpiste und Felder.
Donnerstag 10. April. Ich habe schon viel von Eric Kabera gehört und
gelesen, Ruandas preisgekröntem Filmemacher. Seine Filme gehören zu den
besten und eindringlichsten, die es zum Völkermord überhaupt gibt. Das
liegt bestimmt auch an Kaberas eigener Geschichte. Er ist im Kongo geboren
und aufgewachsen, seine Eltern hatten schon in den 60ern vor den Massakern
aus Ruanda fliehen müssen. 1994 hat er einen Großteil seiner Familie
verloren.
Während des Völkermords hat die ganze Welt auf Ruanda gestarrt. Nachdem das
Abschlachten der Tutsi im Juni 1994 endlich von der RPF gestoppt wurde, war
es mit der medialen Aufmerksamkeit aber auch schnell wieder vorbei. Als
Kabera 1997 seinen Film „100 Tage“ fertigstellte, hat sich niemand mehr für
den Völkermord in Ruanda interessiert. Deshalb gelang es ihm erst 2001 den
Film auf Festivals vorzustellen - dafür aber mit umso eindrucksvollerem
Erfolg und drei Oscarnomminierungen. Im Grunde genommen war das die
Geburtsstunde der ruandischen Filmszene.
Seitdem hat Kabera mehrere sehr starke Filme gedreht, das Kwetu Film
Institut auf die Beine gestellt, das Rwandan Film Festival gegründet und
steckt außerdem sehr viel Engagment in die Nachwuchsausbildung. Den Mann
möchte ich gerne persönlich kennenlernen und beschließe, mir das
Kwetu-Film-Institut anzuschauen.
## Ich erkenne die Gegend nicht wieder
Also mache ich mich auf den Weg nach Nyarutarama, einem Stadtteil, den es
erst seit wenigen Jahren gibt. Als wir am Golfplatz vorbei fahren, erkenne
ich erst, dass wir ganz in der Nähe der Deutsche-Welle-Station sein müssen,
wo vor über zwanzig Jahren mein Vater arbeitete. Aber bis auf die
vertrauten Antennenmaste erkenne ich die Gegend nicht wieder. Vor 20 Jahren
war hier eine Sandpiste, einfache, ärmliche Häuser und viele Felder. Jetzt
fahre ich über eine gut ausgebaute Teerstraße; so weit das Auge reicht,
stehen und entstehen Häuser.
Ein Einkaufszentrum, eine Tankstelle, riesige Villen, Straßenlaternen,
Zebrastreifen. Ich komme aus dem Staunen kaum noch heraus. Der Taxifahrer
biegt in eine Nebenstraße ein und fährt mich mitten in eine dieser neuen
Reihenhaussiedlungen. Unglaublich, hier sieht es aus wie in einer typischen
deutschen Kleinstadt.
Das Kwetu-Film-Institut ist ein einem schönen, orangefarbenen zweistöckigen
Gebäude untergebracht. Am Empfang erfahre ich, dass Eric Kabera gar nicht
im Lande ist, er hat seinen neuesten Film fertiggestellt und befindet sich
gerade in den USA. Toll für ihn, Pech für mich. Ich werde aber von einem
seiner Kollegen sehr herzlich willkommen geheißen.
In einem kleinen Café bekomme ich eine Einführung. 2001 hat Kabera das
Rwandan Cinema Center gegründet mit dem Ziel, Filmemacher in Rwanda
auszubilden. Das Interesse war und ist so groß, dass das Zentrum schnell
größer wurde und mittlerweile ein richtiges Filminstitut geworden ist - in
zahllosen Workshops haben sich über die Jahre schon Hunderte Studenten
weitergebildet.
Eric Kabera, erfahre ich, hat das ganze Institut inklusive diesem Gebäude
selbst finanziert. Um den laufenden Betrieb zu finanzieren, hat er zunächst
das Filminstitut im Erdgeschoss angesiedelt und in den beiden oberen Etagen
Hotelzimmer eingerichtet.
## Volker Schlöndorff und "Volker's Class"
2008 hat der Filmemacher Volker Schlöndorff den damaligen Bundespräsidenten
Horst Köhler auf eine Afrika-Reise begleitet, und dabei haben sich Kabera
und Schlöndorff kennengelernt und offenbar sympathisch gefunden. Der
Oscarpreisträger Schlöndorff hat mittlerweile die Schirmherrschaft für
Kwetu übernommen und auch Workshops angeboten. Mittlerweile hat Kabera mit
seinen Mitstreitern so ein komplexes Ausbildungskonzept ausgetüftelt, dass
das Institut ab diesen Juli eine zweijährige Ausbildung zum
Mediengestallter anbieten kann, und seit 2013 unterstützt das BMZ die
Filmschule.
Die Ausbildungsordnung ist nach sehr anspruchsvollen und sehr strengen
deutschen Maßgaben konzipiert und hat damit auch die Deutsche Welle mit
ihrer Ausbildungsakademie und das Europäische Filmzentrum Babelsberg e.V.
mit ins Boot geholt. Die 15 Studenten, die im Juli mit ihrer Ausbildung
anfangen werden, sind heiß begehrt und haben alle jetzt schon eine
100%-Jobzusage.
Ich bin ganz schön beeindruckt. Eine Hausführung bekomme ich auch.
Hotelzimmer gibt es jetzt nur noch im zweiten Stock. Jetzt gibt es in der
ersten Etage ein Tonstudio, Schneideräume, ein Lager für das ganze
Filmequipment, einen kleinen Kinosaal und auch das Büro. An den Wänden in
den Fluren hängen viele verschiedene Gemälde, kleine Preisschilder
darunter. Im Kwetu-Institut können junge Künstler ihre Werke ausstellen.
Schön: ich entdecke auch ein Bild von Augustin, dem ich vor ein paar Tagen
das Muzungu-T-Shirt abgekauft habe. Im Erdgeschoss sind die Klassenräume
eingerichtet, an der einen Tür hängt ein Schild mit der Schrift „Volkers
Class“. Schlöndorff lässt grüßen.
## Der Traum: Ein Kino in Kigali
Hinter dem Haus ist eine große Baustelle. Kaberas größter Traum ist ein
richtiges Kino einzurichten, mit einem Filmarchiv und einer Theaterbühne.
Aber die Finanzierung ist schwierig, da geht es Kabera genau so wie den
jungen Künstlern vom Uburanga Studio: In Kultur wird in Ruanda (noch) nicht
investiert. Immer wenn ein wenig Geld übrig ist, wird es in das Bauprojekt
gesteckt.
Wir klettern auf den Rohbau, quasi aufs Dach des Erdgeschosses, und haben
einen sagenhaften Ausblick auf die Hügel in der Umgebung. Ein grandioser
Abschluss. Ich muss nämlich schon wieder weiter, da ich zwischenzeitlich
einen Anruf vom Stationsleiter der Deutschen Welle bekommen habe, wann ich
denn nun käme, man erwartet mich schon. Nach einer herzlichen
Verabschiedung stehe ich wieder in der Reihenhaussiedlung. Und da sehe ich
einen wunderschönen Regenbogen über einem der Hügel.
Ich freu mich, perfekter Abschluss, wie ich finde. Und ahne nicht, dass der
Regenbogen nur der Verbote eines unglaublich heftigen Wolkenbruchs ist. Ich
kann mich gerade noch unter das Dach der Tankstelle retten. Seit meiner
Ankunft hat es nicht so doll geregnet wie heute. Es ist erst 17 Uhr aber
mit einem Mal so dunkel als sei es Nacht.
Ich rufe auf der Station an, und frage ob mich bitte jemand abholen kommt,
es ist ja nicht so weit. Machen sie. Eine halbe Stunde später, der Regen
lässt auch endlich nach, sitze ich in einem Geländewagen der Welle.
## Zeitreise in die Kindheit
Stationsleiter Heinz Büsink holt mich zusammen mit seinem Kollegen Dietmar
Wolf persönlich ab. Ich staune. Was ich nicht wusste: Beide kennen meinen
Vater persönlich und wissen natürlich auch, dass ich 1994 zu Besuch auf der
Station war. Die Straße zur Welle war früher die einzige vernünftige
Teerstraße hier, jetzt ist sie die schlechteste Schlaglochpiste
wahrscheinlich in ganz Kigali. Obwohl zudem eine große Militärkaserne und
eine Teerfabrik Anrainer sind wurde der Deutschen Welle nahegelegt, sie
könne ja die Erneuerung der Straße finanzieren. Nun ja.
Ich bin gespannt. Ich war nicht nur 1994 hier, ich habe einige Jahre meiner
Kindheit hier verbracht und freue mich darauf, das alles wieder zu sehen.
Meine Gastgeber und ich sind schnell beim Du. Ich bekomme eine Rundfahrt
über das Gelände. Es sieht noch fast genau so aus wie früher - auch wenn
viele Häuser nicht mehr genutzt werden, es sind nur noch fünf deutsche
Techniker vor Ort, früher waren es doppelt so viele.
Die Rundfahrt endet am Pool, hier habe ich schwimmen gelernt. Hier ist auch
eine große gemütliche Hütte, amtlich wie damals - inklusive Bartresen und
Kühlschrank. Bei einem Bier unterhalten wir uns über 1994, aber auch, wie
das Leben in Ruanda heute ist, was sich verändert hat und vieles mehr. Als
es Zeit ist, aufzubrechen, kommt ein dritter Kollege hinzu und bietet mir
an, mich zurück nach Kigali zu fahren.
Und weil es noch nicht allzu spät ist, gehen wir noch ins Hotel des Mille
Collines - das durch den Film „Hotel Ruanda“ berühmt wurde und wo damals
viele Tutsi Zuflucht vor den Völkermordmilizen suchten - und trinken noch
ein Bier zusammen. Ich war als Kind oft hier: Zum Schwimmen, für Konzerte.
Und natürlich hat es auch für mich seit 1994 nochmal eine speziellere
Bedeutung.
11 Apr 2014
## AUTOREN
Marie-Claude Bianco
## TAGS
Ruanda
Kigali
Volker Schlöndorff
Horst Köhler
Deutsche Welle
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Deutsche Welle
Ruanda
Ruanda
Ruanda
Völkermord
Ruanda
Ruanda
Ruanda
Ruanda
## ARTIKEL ZUM THEMA
Zukunft der deutschen Deutschen Welle: Brandbrief der 130
Die Deutsche Welle muss sparen. Intendant Limbourg überlegt, das
TV-Programm auszuknipsen. 130 Künstler und Intellektuelle protestieren.
Ruandisches Tagebuch Folge 8: Auch ein wenig mein Land
Zum Abschluss ihres Ruanda-Aufenthalts zieht unsere Autorin Bilanz – Bilanz
ihrer Reise und eine Bilanz des Wandels in Ruanda.
Ruandisches Tagebuch Folge 7: Wider die Perspektivlosigkeit
Safi musste mitansehen, wie ihre Mutter 1994 zerhackt wurde, und sie hat
keine Angehörigen mehr. Jetzt will sie etwas tun für die Kinder der
Völkermordüberlebenden.
Ruandisches Tagebuch Folge 6: Die gute Frau von Kaduha
Die deutsche Ordensschwester Milgitha rettete 1994 viele Tutsi. Ihr Orden
hat sich von ihr losgesagt, aber Ruanda ist für sie zur Heimat geworden.
Ruandisches Tagebuch Folge 4: Alptraum als Wirklichkeit
Der bisher schwerste Gang unserer Autorin: Ein Besuch in Ruandas zentraler
Gedenkstätte in Gisozi 20 Jahre nach dem Völkermord.
Ruandisches Tagebuch Folge 3: Die Kunst des Neuanfangs
Mal was Schönes aus Kigali: Besuch bei Fred, der eine neue Kulturszene
aufbauen hilft. „Wir werden es schaffen“, sagt er optimistisch.
Ruandisches Tagebuch Folge 2: Dieses kranke Land
Immer wieder Schreie und Zusammenbrüche. Ich habe Gänsehaut. Was haben
diese Frauen auszuhalten! Die Mörder sind alle noch hier.
Ruandisches Tagebuch Folge 1: Tag der Ankunft
Marie-Claude Bianco, die in der taz ihre Erinnerungen an Ruanda 1994
aufgeschrieben hat, ist zur Gedenkwoche nach Kigali zurückgekehrt.
Erinnerung an den Völkermord in Ruanda: Draußen knallen Schüsse
Unsere Autorin wuchs in Deutschland auf. Geboren wurde sie in Ruanda. Im
Frühjahr 1994 beginnt das Morden in dem Land. Da macht sie dort gerade
Urlaub.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.