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# taz.de -- Debatte Ruanda als Musterland Afrikas: Sich selbst kitzeln und dann…
> Sicherheit, gute Straßen und Glitzerfassaden in der Hauptstadt. Doch der
> Aufschwung in Ruanda kommt längst nicht bei allen an.
Bild: 2. August: Eine halbe Million Menschen strömten zu Präsident Kagames Ab…
Es gibt kaum eine Sprachkultur in Afrika, in welcher sich die Menschen so
doppeldeutig ausdrücken wie die Ruandas. Sprichwörter, Zitate,
Prophezeiungen – um komplexe Verhältnisse zu erklären, werden auf
Kinyarwanda Floskeln benutzt, um zu vermeiden, etwas direkt auf den Punkt
zu bringen.
Das war schon immer so. Derzeit ist es aber besonders augenfällig. Am
Freitag sind Präsidentschaftswahlen in dem kleinen Land, das durch seinen
brutalen Völkermord 1994 traurige Berühmtheit erlangte. An Präsident Paul
Kagames Sieg zweifelt niemand. Es geht einzig darum, das Volk an die Urnen
zu treiben.
Dafür wird Massenpsychologie vom Feinsten eingesetzt: In jedem Dorf mahnen
die lokalen Führer die Leute, zur Wahl zu gehen. Die Jugend singt und tanzt
zu Popsongs, die Kagames Errungenschaften preisen. Straßenlaternen,
Leitplanken und Bäume sind mit blau-weiß-roten Wimpeln und Lichterketten
geschmückt, den Farben der Regierungspartei.
„Wer Hunger hat, der isst, was auf den Tisch kommt“, drückt sich ein junger
Ruander aus – mit einem Sprichwort. Und was kommt da auf dem Tisch? Die
Antwort: „Sicherheit und geteerte Straßen.“
## Afrikanischen Entwicklungsdiktatur
Ruanda wird international viel gepriesen. In vielen Berichten gilt es als
„Musterland“ Afrikas. Die Weltbank spricht von „beeindruckenden
Fortschritten seit 1994“. In internationalen Rankings belegt Ruanda
afrikanische Spitzenplätze, etwa was Investitionssicherheit und
Korruptionsbekämpfung angeht. Das Land wird oft mit Singapur verglichen und
als Vorbild einer afrikanischen Entwicklungsdiktatur gehandelt.
Sicher ist: In keinem Land der Region wurde in den vergangenen Jahren so
viel gebaggert und geteert wie in Ruanda. Mitten in der Nacht rücken die
Dampfwalzen an. Zum Sonnenaufgang glitzert der frische Asphalt vor der
Haustür. In Kigali ist der Bauboom schier atemberaubend. Da schrauben sich
Hochhäuser in den Himmel, Luxushotels, Messezentren, Straßen, Gehwege,
Brücken, Banken, Villen, Reihenhaussiedlungen, Einkaufszentren.
Doch die meisten der neuen Glitzergebäude stehen fast leer. Sie sind auf
Pump gebaut, Teil einer Theaterkulisse, vor welcher das Stück „Wir
entwickeln uns alleine und sind stolz darauf“ gespielt wird.
Wer in die Dörfer fährt, der sieht extreme Armut. Es gibt Unterernährung,
die Entwicklung ist extrem ungleich verteilt. Doch sie zu hinterfragen, ist
gefährlich. „Nicht alle Wahrheit ist richtig“, sagt ein lokales Sprichwort.
Wer die ganze Wahrheit sagt, der bekommt Probleme.
Die offizielle Linie ist, man wolle sich aus der Abhängigkeit von
Entwicklungshilfe lösen und auf eigenen Füßen stehen. 2012 setzte Ruandas
Regierung dafür den Nationalen Fonds „Agaciro“ auf, als die internationale
Gemeinschaft aufgrund der Einmischung Ruandas im Kongo-Krieg Hilfsgelder
einfror. „Agaciro“ bedeutet übersetzt „Würde“. Teile der Gehälter von
Staatsangestellten werden direkt abgeführt. Unternehmen müssen in den Fonds
einzahlen, um im Geschäft zu bleiben.
Jeder Spender wird auf Twitter als Patriot gelobt. Wer nichts einzahlt,
fällt negativ auf. Transparenz laut einzufordern, wagt kaum jemand. Umso
lauter der Lobgesang ist, desto weniger lassen sich Dinge in Frage stellen.
Sicherheit und geteerte Straßen – von dem, was auf den ruandischen Tisch
kommt, werden die Menschen nicht satt. Vieles, was die Kagame-Regierung in
den vergangenen Jahren im Hauruckverfahren durchgedrückt hat, ist nicht
unbedingt erfolgreich gewesen.
## Die Zukunft ist Englisch
Das beste Beispiel ist der Bildungssektor. Von 2009 an wurde das
Schulsystem und die Sprachpolitik umgestellt – im Eiltempo. Französisch,
die Sprache der früheren belgischen Kolonialmacht, war nicht mehr angesagt,
die Zukunft ist Englisch, wie in ganz Ostafrika.
Von einem Schuljahr aufs andere mussten also französischsprachige Lehrer
Biologie oder Chemie auf Englisch unterrichten, mit fatalen Folgen: Das
Bildungssystem Ruandas ist heute im Vergleich zu den Nachbarländern das
schlechteste. Wer etwas Geld hat, schickt seine Kinder auf Privatschulen.
Wer viel Geld hat, schickt sie lieber gleich aufs Internat nach Kenia oder
Uganda, wo sie zumindest richtig Englisch lernen. So zementiert sich die
Ungleichheit nachhaltig.
Ruandas Jugend fühlt sich innerhalb der Ostafrikanischen Gemeinschaft, die
einen gemeinsamen Arbeitsmarkt eingeführt hat, extrem benachteiligt, das
geben viele auch offen zu, ohne sich in Sprichwörtern zu verfangen: „Wenn
man isst, was auf den Tisch kommt, ist man danach immer noch hungrig nach
Bildung.“
## An jeder Ecke ein Soldat
Spaziert man durch Ruandas Hauptstadt Kigali, fällt sofort auf: keine
Taschendiebe, kaum Einbrüche, keine betrunkenen Uniformierten an
Straßensperren – ganz anders als in den umliegenden Ländern. Sobald es
dunkel wird, postiert sich an jeder Straßenecke Kigalis ein Soldat:
Funkgerät und Maschinengewehr griffbereit, in Habachtstellung.
Diese Sicherheit ist nicht einfach gegeben, sie muss jeden Tag neu
aufrechterhalten werden. Der gigantische Militärapparat ist teuer, das
Verfahren arbeitsintensiv und einschüchternd, sie zeugen von Misstrauen.
In Sprichwörtern: „Wenn sich zwei verfeindete Tiere gemeinsam ein Haus
bauen und in zwei Zimmern schlafen, haben sie dennoch jede Nacht Angst,
dass der eine den anderen umbringt. So schlafen sie nie tief und sobald sie
ein Geräusch hören, rennen sie beide davon.“
## Das Misstrauen bleibt
Mit den beiden Tieren sind die beiden Bevölkerungsgruppen der Hutu und
Tutsi gemeint. 1994 versuchte ein Hutu-Regime, alle Tutsi umzubringen.
Heute, unter dem Tutsi Kagame als Präsident, gibt es laut Staatsideologie
nur noch „Ruander“. Das Misstrauen aber bleibt. Selbst in der
Post-Genozid-Generation werden die meisten Ehen noch immer innerhalb der
beiden Gruppen geschlossen.
Am Freitag geht zum ersten Mal jene Generation wählen, die nach dem
Völkermord geboren wurde, die sich nicht mehr nur mit Sicherheit zufrieden
gibt wie jene, die den Horror von 1994 noch vor Augen hat. Doch eine Wahl
haben sie nicht. Wer gewinnt, das steht schon lange fest. Auch dafür gibt
es ein Sprichwort: „Das ist, als ob man sich selbst kitzelt und dann
lacht“.
4 Aug 2017
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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