# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Ruanda: Afrikas Antreiber | |
> Ruandas Präsident Paul Kagame möchte sich im Amt bestätigen lassen. | |
> Kagame ist beliebt, die Opposition chancenlos. | |
Bild: Zu seinen Rallies werden Kranke in Rollstühlen angekarrt: Ruandas Präsi… | |
Immer schneller, immer höher, immer weiter. Paul Kagame, der sich am | |
kommenden Freitag als Präsident Ruandas wiederwählen lassen will, treibt | |
sich und sein Land ständig nach vorn. Wir haben viel erreicht, sagt er auf | |
seinen gigantischen Wahlkampfkundgebungen, zu denen täglich | |
Hunderttausende strömen – aber wir müssen noch viel mehr tun. Nicht bloß | |
Entwicklung und Sicherheit. Keine Armut mehr. Strom und Wasser für alle. | |
Nach der Wahl werden die Anstrengungen verdoppelt. Nichts kann uns | |
aufhalten. | |
Seit rund einem Vierteljahrhundert bestimmt Kagame die Geschicke Ruandas. | |
Noch Jahrzehnte will der 59-Jährige weitermachen. „Wir wollen die Art | |
Fortschritt erzielen, die Ruanda nicht mehr wiedererkennbar macht“, prangt | |
als Motto auf seiner Webseite. Ein neues Ruanda – sein Ruanda. | |
Nie wieder soll es das alte Ruanda geben, das des ethnischen Hasses, das | |
Kagame wie so viele andere Tutsi zu unerwünschten Personen erklärte und | |
verjagte wie Ungeziefer. Im Alter von vier Jahren musste Kagame, geboren | |
1957 in einen alten Königsclan, mit seiner Familie Ruanda Richtung Uganda | |
verlassen. Rings um den heimatlichen Hügel brannten die Hütten, die | |
jahrhundertealte Tutsi-Monarchie wurde gestürzt und die Republik Ruanda | |
entstand als Republik der Hutu, mit dem Segen der katholischen Kirche und | |
der belgischen Kolonialmacht. | |
Ruanda sollte Kagame erst Jahrzehnte später wiedersehen – als junger | |
Guerillaführer der „Ruandischen Patriotischen Front“ (RPF), die ab 1990 mit | |
der Waffe in der Hand aus Uganda nach Ruanda zurückkam. Es folgten | |
Aufrüstung, Bürgerkrieg, Machtergreifung der Extremisten im Staatsapparat | |
im April 1994 und daraufhin die organisierten Massaker an allen Tutsi und | |
ihren mutmaßlichen Sympathisanten. Der Völkermord kostete rund eine Million | |
Menschen das Leben. Die RPF eroberte schließlich das Land und vertrieb die | |
Mörder in den Kongo. Seitdem regiert sie unbestritten, im Selbstverständnis | |
immer noch militärische Kaderorganisation. | |
## „Meister der psychologischen Kriegsführung“ | |
Kagame war zwar anfangs nur Verteidigungsminister und Vizepräsident, aber | |
immer der starke Mann des Regimes. 2000 stieg er zum Staatschef auf. Um | |
Kagame ranken sich viele Mythen, und an ihm scheiden sich die Geister. Für | |
die einen ist er der Held, der Ruanda befreit hat. Für die anderen ist er | |
der Teufel, der das Afrika der Großen Seen mit Terror überzogen hat. Viele | |
seiner ältesten Mitstreiter haben sich im Streit von ihm getrennt, manche | |
haben das nicht überlebt. International wird seine Bilanz diskutiert: Sind | |
Ruandas Entwicklungsfortschritte real oder nur Fassade? Geht es den | |
Menschen wirklich besser oder scheint das nur so? | |
Für Kagame sind solche Fragen Zersetzungsmanöver. Die Welt ließ die Ruander | |
einst im Stich, also hat niemand das Recht, uns heute zu kritisieren, | |
findet er, und damit ist er im Land keineswegs allein. Die Ruander haben | |
aus seiner Sicht ihr Land selbst neu aufgebaut, in Würde und mit Stolz. Auf | |
seiner Wahlkampf-Webseite erinnert er: „Sie haben uns begraben – aber sie | |
wussten nicht, dass wir Saatgut waren.“ | |
Wenn Kagame vom Aufbau im Hier und Jetzt und den glorreichen Visionen von | |
morgen spricht, ist der Horror von gestern stets gegenwärtig. Er steht | |
dafür, dass dieser Horror nie wiederkehrt, und damit schart er die Massen | |
hinter sich. Bevor Kagame 1990 die Führung der RPF übernahm, war er Ugandas | |
Militärgeheimdienstchef gewesen. An die Kriegsfront stieß der damals | |
32-Jährige frisch von der berühmten Militärführungsakademie der USA in Fort | |
Leavenworth. Roméo Dallaire, kanadischer UN-Kommandant in Ruanda 1994, | |
bezeichnete Kagame als „Meister der psychologischen Kriegsführung“. | |
Wenn „PK“, wie ihn die Ruander nennen, durch Dörfer tourt, werden Kranke | |
aus ihren Betten geholt und in Rollstühlen zur Kundgebung gekarrt. Manche | |
seiner Auftritte wirken wie Erweckungsgottesdienste: Menschen aus dem Volk | |
erzählen, dass sie erstmals in Würde leben, erstmals auf eigenen Füßen | |
stehen. Jeder in Ruanda weiß, was er öffentlich zum Chor der Lobpreisungen | |
beisteuern muss. Was nicht zu dieser Erzählung passt, lässt sich oft nicht | |
mal im Privaten ausdrücken. Abweichler werden in Ruanda nicht gern gesehen. | |
## Keine Hauptstadt Afrikas ist so sauber wie Kigali | |
Kagame stellt hohe Ansprüche an sich selbst und an die Ruander. Sie werden | |
bis in jeden Winkel ihres Alltags hinein beäugt, ermuntert, gemaßregelt, zu | |
Höchstleistungen aufgefordert. Die Ergebnisse sind sichtbar: Keine | |
Hauptstadt Afrikas ist so sicher und so sauber wie Kigali, keine hat sich | |
so rasant modernisiert. Um vieles kümmert sich der Präsident selbst. Bei | |
der ruandischen Kehrwoche „Umuganda“ steht Kagame auch mal selber mit | |
Schaufel und Gummistiefeln im Dreck. Ob Häuser dem neuen Zubringer zum | |
Flughafen weichen oder eine Fußgängerzone entstehen soll – darüber wird auf | |
seinem Lieblingsmedium Twitter debattiert und der Präsident twittert mit. | |
Dann entscheidet er. Am nächsten Tag rollen die Bagger an. Basta. | |
Längst reicht Kagames Führungsanspruch über die Grenzen Ruandas hinaus. Er | |
preist sein Land als Modell für Afrika und viele Afrikaner sind neidisch | |
auf Ruanda, wo scheinbar alles funktioniert. Dieses Jahr hat er die | |
Präsidentschaft der Afrikanischen Union übernommen und will den verstaubten | |
Staatenbund „effizienter“ machen, ganz nach Ruandas Vorbild. Er jettet | |
durch den Kontinent, um Befürworter zu finden. | |
Yoweri Museveni, 72-jähriger Präsident des Nachbarlandes Uganda und eine | |
Art Königsmacher der Region, sieht das gar nicht gern. Immerhin hat er | |
Kagame, den er neckisch „Paul“ nennt, einst den Beginn seiner militärischen | |
Karriere ermöglicht. Jetzt stellt der Ziehsohn den Königsmacher in den | |
Schatten. Ruandas Geheimdienste mutmaßen, Museveni hofiere flüchtige | |
ruandische Dissidenten – und stütze in Ruandas anderem Nachbarland Burundi | |
Hutu-Präsident Pierre Nkurunziza, der in Kagames Augen ethnische | |
Säuberungen an Tutsi begeht. | |
Kagame fühlt sich umzingelt – umso mehr muss die Kontrolle in Ruanda selbst | |
ausgebaut werden. Die jüngste Pensionierung zweier mächtiger Generäle | |
macht das deutlich. Die alte Garde, die mit Kagame einst das Land eroberte, | |
wird in den Ruhestand geschickt. In allen Institutionen hat er nun das | |
letzte Wort – Parlament, Kabinett, Partei, Armee. Sollte er als Kapitän je | |
das Schiff verlassen, fehlen sämtliche Koordinaten. | |
## Die Weltsicht eines Getriebenen | |
Kagame sieht sich und sein Land im Wettlauf gegen die Zeit: Zum Zeitpunkt | |
des Völkermords hatte Ruanda 8 Millionen Einwohner. Heute sind es 12, und | |
bis 2050 werden es 20 Millionen sein – alles auf einer kleineren Fläche als | |
Brandenburg. Wovon sollen sie leben, wenn sie mehrheitlich arme Bauern | |
sind? Deswegen muss sich Ruanda revolutionieren. | |
Diese Weltsicht eines Getriebenen führt paradoxerweise dazu, dass Kagame | |
immer mehr Zeit braucht. Bei seiner ersten Wahl 2003 gab es noch ein Limit | |
von zwei siebenjährigen Amtszeiten. Bei seiner Wiederwahl 2010 beharrte er, | |
das sei wirklich das letzte Mal. 2015 hob ein Referendum die Beschränkung | |
auf. Der Präsident darf nun nochmal für sieben Jahre gewählt werden und | |
dann zweimal für fünf Jahre – insgesamt also bis 2034. 98,3 Prozent | |
votierten für die Verfassungsänderung, bei ebenso hoher Wahlbeteiligung. | |
Ein Vorbild für die Wahl 2017? Erstmals kandidiert zwar mit Frank Habineza | |
von den Grünen eine Oppositionspartei, und dazu kommt als Unabhängiger ein | |
ehemaliger Hutu-Flüchtling, Philippe Mpayimana. Aber beide gelten als | |
chancenlos. Zu Beginn seiner Wahlkampagne hielt Kagame eine Rede: „Das | |
Wahlergebnis steht doch schon fest. Was nun?“, fragte er die Massen und gab | |
selbst die Antwort: „Lasst uns statt Wahlkampf lieber Party feiern.“ | |
29 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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