| # taz.de -- Papst Franziskus zum Genozid in Ruanda: Als Priester Mörder wurden | |
| > 23 Jahre nach dem Völkermord an den Tutsi stellt sich die katholische | |
| > Kirche endlich ihrer Mitschuld. Das berührt die ganze Landesgeschichte. | |
| Bild: Ruandas Präsident Kagame beim Papst | |
| Brüssel taz | Es hat 23 Jahre gedauert: Zum ersten Mal seit dem Genozid an | |
| über einer Million Menschen in Ruanda 1994 – zumeist Tutsi, außerdem Hutu, | |
| die sich gegen die Massaker wandten – hat das Oberhaupt der katholischen | |
| Kirche dieses Jahr das Schweigen seiner Vorgänger zur katholischen | |
| Mitverantwortung gebrochen. Papst Franziskus bat bei einer Audienz des | |
| ruandischen Präsidenten Paul Kagame im Vatikan am 20. März um „die | |
| Vergebung Gottes für die Sünden und Verfehlungen der Kirche und ihrer | |
| Mitglieder“. | |
| Es geht darum, dass während der mehrmonatigen Massaker ab dem 7. April | |
| 1994, der heute weltweit gedacht wird, zahlreiche Kirchen im sehr | |
| katholisch geprägten Ruanda zunächst verfolgten Tutsi Zuflucht boten – und | |
| dann ihre Grabstätten wurden, weil sie ihre Tore den Mordmilizen öffneten. | |
| Einige Kirchen sind bis heute Gedenkstätten, wo die Gebeine Tausender Toter | |
| aufgebahrt sind. | |
| Über 100 Priester und Kirchenverantwortliche Ruandas gelten als | |
| mitschuldig. Im Jahr 2008 wurde der katholische Priester Athanase Seromba | |
| vom UN-Völkermordtribunal für Ruanda zu lebenslanger Haft verurteilt: Er | |
| hatte 1.500 Tutsi in der Kirche der Gemeinde Nyange versammelt und dann den | |
| Befehl gegeben, das volle Gebäude mit einem Bulldozer einzuebnen. | |
| In Frankreich lebt der Priester Wenceslas Munyeshyaka, dem Überlebende | |
| vorwerfen, sich an Massakern an Tutsi in der Kirche Sainte Famille mitten | |
| in der Hauptstadt Kigali beteiligt zu haben. Belgiens Justiz verurteilte im | |
| Jahr 2001 zwei Nonnen des Benediktinerklosters Sovu, die Hutu-Milizionäre | |
| mit Benzinkanistern ausgestattet hatten, damit sie die Garage und die | |
| Pflegestation des Klosters mit den darin befindlichen 2.000 Tutsi anzünden. | |
| Dass der Papst jetzt um Vergebung bittet, ist nicht vom Himmel gefallen. | |
| Schon im April 2014 hatte er Ruandas Bischöfe zur „nationalen Versöhnung“ | |
| aufgerufen. Im November 2016 hatte Ruandas katholische Kirche in einem | |
| Hirtenbrief, der in allen Kirchen des Landes verlesen wurde, um Vergebung | |
| gebeten. Der Präsident der ruandischen Bischofskonferenz, Bischof Philippe | |
| Rukamba, hatte damals allerdings präzisiert, es gehe um Vergebung für die | |
| Sünden Einzelner, nicht der Kirche insgesamt. „Die Kirche war am Völkermord | |
| nicht beteiligt“, hatte er behauptet. Ruandas Regierung nannte daraufhin | |
| den Hirtenbrief „zutiefst ungenügend“ und sagte, der Vatikan selbst müsse | |
| sich äußern. | |
| ## Kirche ordnete sich „Akten der Barbarei“ unter | |
| Der Papst ging nun weiter als erwartet. Er äußerte nicht nur „tiefe Trauer�… | |
| über den Völkermord, sondern sprach von den „Verfehlungen der Kirche und | |
| ihrer Mitglieder, darunter Priester, und religiösen Männern und Frauen, die | |
| sich dem Hass und der Gewalt hingegeben und ihre Mission verraten haben“. | |
| Ruandas Außenministerin Louise Mushikiwabo erklärte: „Es ist ein Schritt | |
| nach vorn in den Beziehungen zwischen Ruanda und dem Heiligen Stuhl auf der | |
| Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses der ruandischen Geschichte und | |
| der Notwendigkeit, Völkermordideologie zu bekämpfen.“ Das ermögliche die | |
| „Wiederherstellung von Harmonie zwischen Ruandern und der katholischen | |
| Kirche“. | |
| Hintergrund dieser Debatte ist die Macht der katholischen Kirche in Ruanda | |
| bis 1994, ein Erbe der belgischen Kolonialzeit, und die | |
| Institutionalisierung des Hasses gegen Tutsi durch Staatsmacht, | |
| Kolonialmacht und Kirche vor und nach der Unabhängigkeit 1962. | |
| Im Einparteienregime des 1994 getöteten Hutu-Präsidenten Juvénal | |
| Habyarimana saß der Erzbischof von Kigali, Vincent Nsengiyumva, im | |
| Zentralkomitee der Staatspartei MRND (Revolutionäre Nationalbewegung für | |
| Entwicklung). 1991, kurz nach Ende des Einparteiensystems, kritisierten | |
| Priester der Diözese Kabgayi die „Unterordnung“ der Kirche unter die | |
| Staatsmacht und das Schweigen gegenüber „Akten der Barbarei“. | |
| Die Kirche habe zu einem Klima beigetragen, das Massaker an Tutsi als | |
| logisch erscheinen ließ, sagt Christian Terras, Chefredakteur der | |
| kritischen katholischen Zeitschrift Golias in Lyon. Katholische Missionare | |
| setzten Anfang des 20. Jahrhunderts auf die Tutsi-Elite als Träger der | |
| Missionierung, aber als diese nach 1950 Ruandas Unabhängigkeit forderten, | |
| wiegelten sie stattdessen die Hutu gegen das Tutsi-„Herrenvolk“ auf. Die | |
| Kirche, so Terras, wollte damit nicht nur ihre ruandischen Seelen, sondern | |
| auch ihren beträchtlichen ruandischen Landbesitz behalten. | |
| Nicht alle Katholiken stützten das Hutu-Regime. Schon 1992 wurden | |
| ausländische Missionare getötet, weil sie Massaker verurteilten, derer sie | |
| Zeuge geworden waren: die Schweizerin Antonia Locatelli und der Kanadier | |
| François Cardinal. Vor ihnen starb 1989 der Chefredakteur der katholischen | |
| Zeitung Kinyamateka, Padre Silvio Sindanbiwé, weil er die Diktatur | |
| Habyarimanas kritisiert hatte. | |
| Aber die Existenz dieser Märtyrer unterstreicht eher, dass sie die Ausnahme | |
| waren. Und nachdem Tutsi-Rebellen Mitte 1994 den Völkermord beendeten und | |
| die Hutu-Staatsmacht floh, half weltweit die katholische Kirche im Einklang | |
| mit der europäischen Christdemokratie, Täter außer Landes zu bringen und | |
| ihnen Schutz zu gewähren. | |
| 6 Apr 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| François Misser | |
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