# taz.de -- Restauratorin über Erhalt von Leichen: „Ich nehme die Bilder mit… | |
> Restauratorin Monika Lehmann säubert Leichen des Völkermords in Ruanda. | |
> Sie empfindet das als Geschenk, stößt aber auch an ihre Grenzen. | |
Bild: Bearbeitet die menschlichen Überreste respektvoll: Monika Lehmann | |
taz: Frau Lehmann, wie unterscheidet sich die Reinigung der Opfer des | |
Völkermords in Ruanda von der Arbeit mit Moorleichen aus Niedersachsen? | |
Monika Lehmann: Für uns archäologische Restauratoren zählt zunächst einmal | |
das Ausgangsmaterial: Hier handelt es sich um Menschen. Es geht um Haut, | |
Knochen, Haare, Zähne und Textilien. Es kommt aber auch auf den Zustand der | |
Überreste an. Was hat zu ihrer Erhaltung geführt? In Deutschland ist bei | |
Moorleichen die natürlich konservierende Bodenzusammensetzung in den Mooren | |
verantwortlich. In Ruanda sind die Leichen durch den regelmäßigen Auftrag | |
von Kalk erhalten. | |
Das ist eine sehr technische Antwort. Berührt Sie diese Arbeit auch? | |
Je mehr von einem Menschen erhalten ist, desto persönlicher und emotionaler | |
ist die Auseinandersetzung. In Deutschland haben wir es sehr häufig nur mit | |
skelettartigen Überresten aus der Vergangenheit zu tun. Wenn man nur noch | |
einen Fingerknochen aus einem sächsischen Gräberfeld hat, ist es | |
unpersönlicher. Beim Völkermord in Ruanda ist es sehr viel emotionaler. Er | |
ist vor noch nicht einmal 25 Jahren geschehen. Wir hätten diese Menschen | |
noch kennenlernen können. | |
Das heißt, der Faktor Zeit macht den Unterschied? | |
Sicherlich hat es auch damit zu tun, dass der Völkermord noch nicht so lang | |
zurückliegt und ich mich gut an die entsetzlichen Ereignisse erinnern kann. | |
Die Auseinandersetzung mit den Opfern des Genozids in Ruanda ist für mich | |
in meinem bisherigen Berufsleben tatsächlich die emotionalste | |
Herausforderung. | |
Wie sind Sie zu der Arbeit mit menschlichen Überresten gekommen? | |
Durch meinen Beruf als archäologische Restauratorin. Wir werden in unserem | |
Berufsleben immer wieder mit menschlichen Überresten konfrontiert. | |
Ausschlaggebend für den Kontakt in diesem Projekt ist aber bestimmt meine | |
Erfahrung, die ich bei der Bearbeitung von Moorleichen machen konnte. | |
Sie kümmern sich beim Landesamt für Denkmalpflege um archäologische | |
Objekte, die in Niedersachsen gefunden wurden. Wie passen da die Opfer des | |
Völkermords in Ruanda hinein? | |
Niedersachsen hat viele Moore und wir haben bekannte Moorleichen. Bei ihrer | |
Erforschung gibt es eine langjährige Zusammenarbeit mit der Rechtsmedizin | |
des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Die Uniklinik kooperiert zudem | |
schon lange mit mehreren Institutionen in Kigali in Ruanda. Dies betrifft | |
den Wissenstransfer auf den Gebieten der forensischen Arbeit, Medizin und | |
Psychologie. Vor eineinhalb Jahren hat sich mit der Nationalen Kommission | |
für den Kampf gegen Völkermord (CNLG) ein neues Projekt ergeben. | |
Und zwar? | |
Man wollte menschliche Überreste aus der Zeit des Genozids in der | |
Gedenkstätte Murambi in Ruanda, die seit 20 Jahren regelmäßig mit Kalk | |
behandelt werden, reinigen. Sie sollen so langfristig erhalten und | |
würdevoll präsentiert werden. | |
Und wie kamen Sie da ins Spiel? | |
Die Kollegen aus Hamburg haben sich bei dieser speziellen Fragestellung an | |
uns erinnert und uns um Hilfe gebeten. Zur Vorbereitung sind daher zwei | |
kleine Asservate für eine Probereihe nach Hannover gekommen. So konnten wir | |
schon vor unseren Reisen nach Ruanda im Juli 2017 und Februar 2018, ein | |
Reinigungskonzept entwerfen. | |
Wie sieht das aus? | |
Die Kollegen aus Ruanda haben die knapp 850 in Murambi erhaltenen | |
menschlichen Überreste jedes Jahr mit einer neuen Kalkschicht versehen, um | |
sie zu konservieren. Wir haben diese Schicht abgetragen, mit einem | |
Feinstrahlgerät und Korkmehl als Strahlgut. Damit kann die Oberfläche mit | |
geringem Druck gespritzt und freigelegt werden. Ziel ist es, die | |
menschlichen Überreste ohne Einbringung weiterer Konservierungsmittel | |
langfristig zu erhalten. So wie es auch bei den Moorleichen in | |
Niedersachsen – etwa dem Roten Franz, der im Jahr 1900 im Emsland gefunden | |
wurde – gelungen ist. | |
Welche Parallelen gibt es denn zwischen Moorleichen wie dem Roten Franz und | |
den Genozid-Opfern in Ruanda? | |
Im Gegensatz zu den Moorleichen ist die Mumifizierung der Genozid-Opfer | |
keine natürliche, sondern auf die Behandlung mit Kalk zurückzuführen. Auch | |
dabei wird Körperflüssigkeit entzogen, es kommt zu Schrumpfungen und | |
Gewichtsverlust. So wiegt beispielsweise der Körper eines erwachsenen | |
Mannes von etwa 1,80 Meter Größe nur noch ungefähr 18 Kilo. | |
Sie haben auch Überreste von Kindern gereinigt. Konnten Sie das ohne | |
Weiteres? | |
Das ist eine besondere Herausforderung. Wenn man das erste Mal in einen | |
Raum geht, in dem 20, 30 Leichen liegen, berührt einen das schon sehr. | |
Meine Kollegen und ich konnten aber in einen professionellen Modus schalten | |
und haben uns mit unserer Aufgabe identifiziert. Aber klar, je mehr man von | |
einer Leiche freilegt, desto deutlicher wird das Schicksal. | |
Sie konnten also Rückschlüsse auf die Taten ziehen? | |
Nach der Reinigung konnten manche Verletzungen noch besser identifiziert | |
werden. Man sieht die Verletzungen deutlicher, sieht, wo vielleicht der | |
Schlag mit der Machete traf. Bei manchen Opfern haben die Täter zunächst | |
die Achillesferse verletzt, damit sie nicht fliehen konnten. Man konnte | |
auch Abwehrverletzungen an Händen erkennen. Oder Macheten-Hiebe auf den | |
Köpfen. Es waren Verletzungen, die mit äußerstem Willen der Vernichtung | |
durchgeführt wurden. | |
Wie hält man das aus? | |
Da mussten wir schon schlucken. So eine Arbeit kann man auch nur in einem | |
Team machen. Und man muss sich manchmal eine Auszeit an der frischen Luft | |
nehmen. | |
Ist das alles? | |
Natürlich nehme ich Bilder und Eindrücke von der Arbeit auch mit nach | |
Hause. Es sind aber ebenso Bilder und Eindrücke von der Gastfreundschaft | |
und der wirklich guten Zusammenarbeit mit den Kollegen. Es hilft auch | |
immer, über das Erlebte zu reden. | |
Was bedeutet Ihnen die Arbeit in Ruanda? | |
Wenn wir in ein paar Jahren zurückschauen, werden wir wohl sagen, dass das | |
ein herausragendes und bewegendes Projekt war. Ich habe in meinen kühnsten | |
Träumen nicht daran gedacht, dass wir einmal in Ruanda für die Reinigung | |
von Genozid-Opfern unsere Berufserfahrung einbringen werden. Das ist ein | |
Vertrauensbeweis und ein großes Geschenk. | |
Was passiert nun mit den gereinigten Überresten? | |
2019 jährt sich der Genozid der Hutu-Mehrheit an den Tutsi zum 25. Mal. In | |
der Gedenkstätte in Murambi sollen 20 gereinigte und konservierte Leichen | |
ausgestellt werden. Sie sind stumme Zeitzeugen. Ruanda will sich ganz | |
bewusst seiner Vergangenheit stellen. Denn so wie wir in Deutschland | |
Holocaust-Leugner haben, gibt es dort Menschen, die sagen, dass der | |
Völkermord so nicht stattgefunden hat. Ruanda hat darum mit dem CNLG eine | |
Kommission zum Kampf gegen Völkermord eingerichtet. Das soll eine Grundlage | |
sein, um sich zu versöhnen. Das wirkt den Tätern entgegen, die niemanden | |
übrig lassen wollten, der die Geschichte der Opfer erzählen kann. | |
Was ist Ihre Rolle in dieser Geschichte? Sind Sie es, die die Geschichten | |
der Opfer erzählt? | |
Ich spiele in der Geschichte des Völkermordes keine Rolle und ich erzähle | |
schon gar nicht die Geschichte der Opfer. Meine Rolle ist es, den Kollegen | |
vom CNLG in Ruanda zu helfen, ihren Wunsch, die Human Remains zu reinigen | |
und eine gute Lösung für eine Konservierung zu finden, umzusetzen. Die | |
Geschichte wird von den Menschen in Ruanda selbst erzählt und die | |
menschlichen Überreste in Murambi helfen dabei, diese Geschichte nicht zu | |
vergessen und die Leugner Lügen zu strafen. | |
6 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Philipp Schulte | |
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